Barbara Hendricks (SPD) "Wir brauchen eine andere Stadtplanung"

Berlin · Umweltministerin Barbara Hendricks plädiert im Interview mit unserer Redaktion für eine veränderte Arbeitswelt, um die Klimaziele zu erreichen.

 Barbara Hendricks im Interview mit unserer Redaktion.

Barbara Hendricks im Interview mit unserer Redaktion.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Frau Hendricks, Feiern Sie Weihnachten im heimischen Kleve?

Barbara Hendricks Ja, ich feiere Weihnachten zuhause, im Familien- und Freundeskreis.

Gibt es eine bestimmte Tradition im Hause Hendricks?

Hendricks Wir machen zusammen Raclette und an einem der Feiertage gibt es für gewöhnlich eine Gans.

Ein klassisches Programm also.

Hendricks Bis auf die Lieder (lacht), die haben wir früher nicht gesungen.

Wieso? Was singen Sie denn so?

Hendricks Na ja, "In der Weihnachtsbäckerei" zum Beispiel, da kommen wir den Kindern entgegen, solche Lieder singen wir Erwachsene ja eher nicht.

Bald werden die Kinder auch den Schnee nur noch aus Weihnachtsliedern kennen. 14 Grad an Heiligabend — ist das schon der Klimawandel?

Hendricks Das kann auch einfach nur eine meteorologische Laune sein. Nicht alles, was nach Klimawandel aussieht, muss es auch sein. Aber natürlich merken die Menschen, dass sich etwas geändert hat. Es gibt ja bei uns schon ganz konkrete Auswirkungen des Klimawandels. Die Winzer zum Beispiel können heute ganz andere Rebsorten anbauen als früher. Und Weinanbau ist neuerdings sogar in Nordeuropa möglich.

Das wirkt ja nicht bedrohlich. Andere Länder erleben schlimmere Auswirkungen. Ist es für Sie schwieriger, konkrete Konsequenzen aus den Klimaschutzzielen umzusetzen, weil wir den Klimawandel noch nicht so heftig spüren?

Hendricks Es ist tatsächlich so, dass die Auswirkungen des Klimawandels in unseren Breiten relativ gut beherrschbar sind. Die Stürme, die auch bei uns mehrere Todesopfer forderten, sind nicht zu vergleichen mit den Zehntausenden Opfern in anderen Regionen, etwa infolge von Flutkatastrophen oder Dürren. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern hat der Klimawandel existenzielle Folgen. Deshalb ist der Pariser Weltklimavertrag so wichtig. In Deutschland hatten wir schon 2007 in der damaligen Großen Koalition weitsichtige Klimaschutzziele vereinbart. Aber bei der Umsetzung hat die Nachfolge-Koalition viel Zeit verplempert, deshalb ist es jetzt eine große Herausforderung den selbstgesteckten Zielen gerecht zu werden. Uns fehlten noch fünf bis sieben Prozentpunkte bis zu unserem Ziel, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 haben wir die Aufholjagd begonnen.

Also einen beschleunigten Ausstieg aus der Braunkohle?

Hendricks Nach meiner Überzeugung könnten wir bis 2040 die Braunkohleverstromung beenden, ohne dass es dabei zu Strukturbrüchen und sozialen Verwerfungen kommt. Spätestens bis 2050 sind wir durch unsere Klimaschutzverpflichtungen ohnehin dazu gezwungen, unsere Energieversorgung CO2-neutral zu organisieren. Wie lange die Braunkohle-Tagebaue genau laufen, wie viele Beschäftigte bis wann in Ruhestand gehen - das kann man doch alles heute schon kalkulieren. Die Bundesregierung muss sich jetzt mit den Bundesländern, den Energiekonzernen, den Gewerkschaften und allen Beteiligten zusammensetzen.

Das klingt nach einem langwierigen Prozess.

Hendricks Ja, aber ohne Einbindung aller Beteiligten geht es auch gar nicht. Unser Klimaschutzplan 2050 ist entsprechend breit aufgesetzt. Bis März 2016 sammeln wir alle Vorschläge ein und bis zum Sommer wollen wir damit ins Kabinett gehen. Ich bin sicher: Wir werden uns auf einen Weg verständigen, wie wir aus der Braunkohle aussteigen können.

Der RWE-Konzern plant noch weitere Braunkohle-Kraftwerke.

Hendricks Wir werden sehen, ob diese Pläne wirklich schon festgeklopft sind. Unübersichtlicher ist die Lage in den Revieren Ostdeutschlands, weil der Energiekonzern Vattenfall die entsprechende Sparte gerade verkaufen will. In NRW gibt es heute noch 10.500 Beschäftigte in der Braunkohle. In einer wirtschaftlich prosperierenden Region wie dem Städtedreieck Düsseldorf, Aachen, Köln sollte es gelingen, in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten einen unvermeidlichen Strukturwandel sozialverträglich hinzubekommen. Für Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt ist das eine viel größere Herausforderung. Aber auch dort ist es möglich.

Was könnte jenseits eines früheren Kohleausstiegs noch helfen, die Klimaziele zu erreichen?

Hendricks Es gibt sehr viele unterschiedliche Ansätze, wir brauchen zum Beispiel eine ganz andere Stadtplanung. Früher war es richtig, Leben und Arbeiten zu trennen, um die Menschen vor dem Ausstoß giftiger Stoffe zu schützen. Heute hat sich die Arbeitswelt verändert — wir müssen lange Wege zwischen Arbeitsplatz und Wohnort vermeiden.

Nun wird nicht jeden Tag ein neues Stadtviertel nach den neuesten Erkenntnissen gebaut — welche anderen Möglichkeiten gibt es, die Pendelei mit dem Auto zur Arbeit zu begrenzen?

Hendricks Wir brauchen intelligente Konzepte für nachhaltige Mobilität in den Städten und Ballungsräumen, die die Abhängigkeit vom Auto senken. Ich rede nicht nur von Bussen und Bahnen, sondern auch vom Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur. Wir müssen zum Beispiel die Elektromobilität auch beim Fahrrad voranbringen. Eine Fahrstrecke von 15 bis 20 Kilometern ist mit einem E-Bike leicht zu bewältigen. Ich werde im kommenden Jahr erstmals kommunale Investitionen in die Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur fördern. Pro Projekt gibt es einen Zuschuss von bis zu 350.000 Euro. Daneben müssen wir natürlich auch den öffentlichen Nahverkehr auf dem Land ausbauen und die Taktzeiten verkürzen.

Nicht nur die Flüchtlinge benötigen ein Dach über dem Kopf. Bundesweit fehlen etwa 400.000 Wohnungen. Was tut die Bauministerin, um den Neubau zu beschleunigen?

Hendricks Ich bin mir mit dem Bundesfinanzminister einig, eine steuerliche Förderung für den Wohnungsbau in die Wege zu leiten. Darüber will der Finanzminister mit den Ländern reden. Wir sollten den Wohnungsbau durch eine steuerliche Abschreibung in degressiver Form schnell und wirksam ankurbeln. Ich bin sicher, dass wir dazu 2016 eine Lösung finden. Darüber hinaus sind wir dabei, zu prüfen, wie wir durch Beseitigung bürokratischer Hemmnisse den Wohnungsbau beschleunigen können.

Hunderttausende Flüchtlinge werden in Deutschland bleiben. Wie wollen Sie eine Ghettobildung verhindern?

Hendricks Indem wir eine kluge Stadtentwicklung machen und schon in der Bauplanung verhindern, dass bestimmte Stadtteile vom sozialen Wohnungsbau oder von niedrigen Einkommensschichten dominiert werden. Wir brauchen integrierte städtebauliche Konzepte, in denen Wohnen, Arbeiten möglich ist und in denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenleben.

Ist Sigmar Gabriel der richtige Kanzlerkandidat?

Hendricks Ja, absolut. Und übrigens dann auch der richtige Kanzler für Deutschland.

Ein Viertel der SPD-Delegierten auf dem Parteitag sieht das offenbar anders.

Hendricks Die Wege der SPD-Delegierten sind manchmal unergründlich.

Hat die SPD noch einen Plan B?

Hendricks Den brauchen wir nicht. Sigmar Gabriel wird das gut machen. Aber bis zum Bundestagswahlkampf ist es ja auch noch ein langer Weg.

Wie lange wird Bonn noch Sitz von Ministerien sein?

Hendricks: Das Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 ist nicht befristet. Wir müssen uns aber den Realitäten stellen. Entscheidend ist, dass wir die seit Jahren laufende ungesteuerte Verlagerung von immer mehr Ministerialjobs nach Berlin so nicht weiter laufen lassen. Ich werde Mitte 2016 einen umfassenden Statusbericht zum Berlin/Bonn-Gesetz vorlegen. Erst auf dieser Grundlage kann sinnvoll über notwendige Schlussfolgerungen diskutiert werden. Ob am Ende alle Ministerien in Berlin sein werden, halte ich für offen. Bonn wird auf jeden Fall Bundesstadt bleiben und zudem als UN-Standort an Bedeutung gewinnen.

MICHAEL BRÖCKER, MARTIN BEWERUNGE UND KIRSTEN BIALDIGA FASSTEN DAS INTERVIEW ZUSAMMEN.

(RP)
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