Innere Sicherheit Bedingt terrorabwehrbereit

Berlin · Die Terrorabwehr leidet unter der Zersplitterung in 18 Nachrichtendienste ohne zentrale Steuerung. Verschiedene Rechtsgrundlagen und die Trennung von Polizei und Diensten verursachen noch mehr Störanfälligkeit.

 Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bemängelt schlechte Steuerungsmöglichkeiten.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bemängelt schlechte Steuerungsmöglichkeiten.

Foto: dpa

Es ist nicht die Frage, ob Deutschland von einem weiteren Terroranschlag getroffen wird, es geht lediglich darum, wann das geschieht. 30 erfolgreiche Anschläge in Europa in den letzten 20 Monaten, davon sieben in Deutschland, lassen diesen Schluss zu. Umso dringlicher ist es, die Sicherheitslücken zu schließen. Doch die erste öffentliche Befragung der drei Nachrichtendienst-Chefs im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages lässt ahnen, dass die Lücken groß sind und sogar weiter wachsen.

"Eine Steuerung gibt es leider nicht"

Das Abtasten der deutschen Sicherheitsarchitektur auf Schwachstellen führt schnell zum F-Wort. Politiker sind stolz auf den deutschen Föderalismus, also die Erstzuständigkeit und Mitsprache der Bundesländer in vielen wichtigen Angelegenheiten. Doch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat eine andere Sicht darauf. Deutschland leiste sich 18 Inlandsnachrichtendienste. "Eine Steuerung gibt es leider nicht, insofern sind wir einzigartig", lautet sein Befund. Die Nachrichtendienste könnten sich nicht einmal auf eine einheitliche Formulierung dessen verständigen, was überhaupt nachrichtendienstliche Mittel sind, berichtet der Chef des Militärischen Abschirmdienstes, Christof Gramm. "Harmonisierung ist schwierig", sagt auch er.

Maaßen greift sie auf, die stets wiederholte Absicht, zu einer stärkeren Vereinheitlichung zu kommen. Doch in seiner Amtszeit seit 2012 ist "die Rechtslage eher noch auseinandergegangen". Für die Nachrichtendienste gelten 17 verschiedene Gesetze. Anders als bei der Polizei, wo die Bundespolizei Spezialaufgaben neben denen der Länder wahrnimmt, sind beim Verfassungsschutz die Landesämter und das Bundesamt jeweils für identische Aufgaben zuständig. Alle beobachten Rechts- und Linksextremismus, alle verfolgen Islamismus, alle kümmern sich um Terrorgefahren und Spionageabwehr, alle übernehmen Observationen, alle halten eine ähnliche Infrastruktur vor. "Ohne Zweifel hat der Föderalismus Vorteile, aber im Sicherheitsbereich nehmen wir immer wieder seine Nachteile wahr", fasst Maaßen trocken zusammen.

"In die Jahre gekommen"

Aber die Architektur ist noch viel störanfälliger, wenn es um Terrorabwehr geht. Das Stichwort liefert CDU-Innenexperte Armin Schuster: Trennungsgebot. Die strikte Abschottung von Nachrichtendiensten auf der einen und Justiz und Polizei auf der anderen Seite sei "in die Jahre gekommen", sagt der Abgeordnete, ein gelernter Polizist. Nach seinem Eindruck werden die Potenziale der Nachrichtendienste nicht mehr genutzt, sobald ein Staatsanwalt auf der Bühne erscheint.

Es sei "Teil der deutschen Mentalität", erklärt Maaßen, dass Strafverfolgung Vorrang vor Gefahrenabwehr habe. Nach diesem Prinzip wird detailliert die Schuld eines gefassten Straftäters untersucht, während die Nachrichtendienste außen vor sind, die zur selben Zeit aufklären könnten, ob der Verdächtige Teil eines Terrornetzwerks ist. Die problematische Seite des Trennungsgebots kommt schon semantisch zum Ausdruck. Solange es im Amtsdeutsch um "Gefährdungssachverhalte" geht, sind die Nachrichtendienste zuständig. Handelt es sich aber um "Gefährdersachverhalte", übernimmt die Polizei. Der Fall Amri, also der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, krankte offenbar genau daran: Die Polizei hatte Amri weiter als Gefährder geführt, also kümmerte sich der Verfassungsschutz nicht darum, welche Gefährdung von ihm ausging. "Dann haben wir doch eine Lücke", ruft Gremiumsvorsitzender Clemens Binninger (CDU). Es ist bei Weitem nicht die einzige.

Der Chef des Auslandsnachrichtendienstes BND, Bruno Kahl, beklagt die Art und Weise, in der Messenger-Kommunikation verschlüsselt sei. In Echtzeit komme die Terrorabwehr da nicht ran. Immer erst hinterher. Und wenn er bei der Aufklärung im Ausland auf einen Deutschen stoße, der verdächtige Kontakte pflege, dann könne der BND zwar einen Antrag stellen, um Telefonate mitzuhören. Aber seine Messenger-Kommunikation sei tabu. Noch eine Lücke.

Wichtige IP-Adressen

Maaßen äußert in diesem Zusammenhang Wünsche für seinen nachrichtendienstlichen Werkzeugkasten. So hätte er gerne alle IP-Adressen von Computern, über die intensiv Hinrichtungsvideos studiert werden. Die möchte er gerne mit seinen Daten aus dem islamistisch-terroristischen Potenzial abgleichen. Schließlich hätten sich immer wieder Attentäter in der Phase vor ihren Anschlägen mit solchen brutalen Videos für die Tat radikalisiert. Der Verfassungsschutzpräsident möchte zudem auf alle Beteiligten zugreifen können, die mit der Islamisten-Zentrale Rakka kommunizieren. Auch das geht rechtlich nicht. Genauso wie den Diensten die Hände gebunden sind, wenn sie im Ausland auf Server stoßen, die für Attacken gegen Ziele in Deutschland vorbereitet werden oder schon zugeschlagen haben. Dann wäre es sinnvoll, diese Server zu zerstören oder mindestens die in Deutschland abgezogenen Daten zu löschen, bevor die weitergeleitet werden können.

Die nächste Koalition hat also viele Hausaufgaben. Die Grünen wollen eine neue Sicherheitsarchitektur, die Liberalen Dienste zusammenlegen, CDU und CSU einheitliche Mustergesetze für Bund und Länder. Aber bei den Befugnissen der Dienste gehen die Meinungen auseinander. Eigentlich bräuchte man auch auf europäischer Ebene noch mehr Zusammenarbeit. Aber Rufe nach einem EU-Nachrichtendienst lehnen die deutschen Dienste ab. Das sei falsch, sagt Maaßen. Ähnlich sehen es indes die Verantwortlichen von Länder-Nachrichtendiensten mit Blick auf mehr Bundeskompetenz. Das lässt ahnen, dass die Lücken so schnell nicht geschlossen sind.

(may-)
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