Wer wird 2013 Spitzenkandidat? Bei den Grünen tobt ein Machtkampf

Berlin · Die Spitzen von Fraktion und Partei bei den Grünen sind in einen erbitterten Kampf um die Frage geraten, wer 2013 als Spitzenkandidat antreten soll. Es herrscht ein Klima des Misstrauens.

Fifty/Fifty-Kampagne der Grünen
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Die Frage "Wer nervt mehr als Claudia?" war eigentlich lustig gemeint. Der Spruch mit dem Konterfei von Grünen-Chefin Claudia Roth sollte Teil einer Kampagne für mehr Gleichberechtigung sein. Das zweite Motiv der Kampagne zeigt Fraktionschef Jürgen Trittin samt des Spruchs "Wer sägt an Jürgens Stuhl?"

Vor dem Hintergrund, dass der Machtkampf der Grünen um die Besetzung der Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl 2013 mittlerweile auf offener Bühne ausgetragen wird, ist aus der spaßigen Werbung bitterer Ernst geworden. Denn der Machtkampf um 2013 wird wie in den weniger guten alten Zeiten der Grünen ausgetragen. Damals galt das Prinzip Hühnerhaufen - durcheinander gackern, aufeinander rumhacken.

Machtgefüge aus den Fugen

Kern des Streits ist die Frage, ob die Grünen zur Bundestagswahl 2013 mit einem, zwei oder mit ihrem gesamten Spitzenquartett bestehend aus den Fraktionschefs Jürgen Trittin und Renate Künast sowie den Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir antreten sollen. Das fein ausgeklügelte Machtgefüge des Führungsquartetts ist aus den Fugen geraten.

Der Realo-Flügel ist geschwächt. Seit ihrer Niederlage bei der Berlin-Wahl gilt Realo-Frau Künast als angezählt. Teile der Fraktion stänkern offen gegen sie. Ihr Verhältnis zu Cem Özdemir, der als Parteichef den Realo-Flügel vertritt, ist von Misstrauen geprägt. Und nachdem Künast mit dem Versuch, in Berlin eine grün-schwarze Mehrheit zu erlangen, eine Bruchlandung erlitten hat, ist die Öffnung zur Union bei den Grünen aus der Mode gekommen.

Im Saarland unter fünf Prozent

Die erfolglosen Koalitionen an der Saar und in Hamburg bestätigen bei den Grünen all jene, die die Partei schon immer fest im linken Lager verankert gesehen haben. Für das Konzept einer Öffnung der Grünen über die Lagergrenzen hinweg steht auch Özdemir. Der Parteichef hat den Grünen die Strategie der Eigenständigkeit eingeimpft und damit auch die schwarz-grünen Koalitionen ermöglicht. So lange die Grünen bei Landtagswahlen erfolgreich waren, galt das Rezept als zukunftsweisend. Jetzt liegen die Grünen im Saarland unter fünf Prozent. Özdemirs zusätzliches Problem besteht darin, dass er kein Bundestagsmandat hat und damit wie ein König ohne Reich agiert.

Angesichts einer Rückbesinnung der Grünen auf rot-grüne Bündnisse sind in der vergangenen Woche immer mehr Stimmen laut geworden, die sich für den linken Flügelmann Jürgen Trittin als alleinigen Spitzenkandidaten ausgesprochen haben. Sie verwiesen auf Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, der eine Ko-Spitzenkandidatin an seiner Seite abgelehnt hatte und nun das Land als Ministerpräsident regiert. Trittins Gegner wiederum werden nicht müde zu betonen, dass der Typus des versöhnlichen Landesvaters Winfried Kretschmann und der kantige Trittin nicht miteinander verglichen werden können.

Künast musste Federn lassen

Sie fordern, dass er wieder mit Renate Künast im Duo antritt. Doch auch das ist nicht mehr so einfach wie im Wahljahr 2009, als die beiden Ex-Minister auf Augenhöhe miteinander in den Wahlkampf gezogen sind. Durch ihre Niederlage in Berlin hat Künast Federn gelassen, während es Trittin gleichzeitig gelungen ist, sein Spektrum um das wichtige Feld der Finanzpolitik zu erweitern und sich als möglicher Finanzminister einer rot-grünen Regierung ins Spiel zu bringen. Trittin ist freilich zu klug, sich selbst in die Debatte einzumischen.

Dafür hat nun Parteichefin Claudia Roth die Notbremse gezogen. Denn wäre die Debatte so weitergelaufen, hätte erneut die Fraktionsführung die Spitzenkandidatur unter sich ausgemacht. Özdemir und Roth sehen es aber nicht mehr ein in der Parteizentrale immer nur die zweite Geige zu spielen.

Also verkündete Roth in der linksalternativen "taz" ihre Bereitschaft zur Spitzenkandidatur und sprach sich zugleich dafür aus, dass das ganze Quartett gemeinsam antreten solle. Zudem forderte sie eine Urabstimmung der Partei über die Kandidaten. Viele Strategen in Partei und Fraktion fürchten eine solche Urabstimmung. Denn sollte sie nicht gut laufen, starten die Kandidaten gleich beschädigt in den Wahlkampf.

Nur zwölf Prozent drin

Nach diesem Paukenschlag gibt es in Partei und Fraktion nun immerhin Einigkeit darüber, dass der Streit möglichst schnell aus der Welt geschaffen werden müsse. Denn während die Grünen vor rund einem Jahr noch in den Umfragen bei mehr als 20 Prozent lagen und sogar über einen Kanzlerkandidaten für 2013 nachdenken konnten, droht ihnen nun, dass sich gleich vier Spitzenkandidaten mit rund zwölf Prozent begnügen müssen.

Unterstützung für Roth aus NRW

Claudia Roth erhäkt derweil Unterstützung aus dem starken nordrhein-westfälischen Landesverband. Roth hatte ihren Anspruch deutlich gemacht, die Grünen als Teil eines Spitzenteams im Bundestagswahlkampf zu führen und die Spitzenkandidatur per Urwahl zu entscheiden. Der NRW-Landesvorsitzende Sven Lehmann sagte der Nachrichtenagentur dpa in Berlin: "Wenn vier sich streiten, freut sich die Basis. Eine Urwahl würde Klarheit schaffen, wer in der Partei breit getragen wird."

Lehmann erteilte der Variante einer Viererspitze aus Roth, dem Co-Vorsitzenden Cem Özdemir sowie den Fraktionvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin eine Absage. "Das mangelnde Teamwork im Spitzen-Quartett blockiert eine gute inhaltliche und strategische Vorbereitung des Wahlkampfes." Eine Vierer-Lösung sei ungeeignet.

Steffi Lemke, die als Bundesgeschäftsführerin die Urwahl zu organisieren hätte, bräuchte nach Angaben der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" etwa 12 bis 15 Wochen, um das zu organisieren. Es würde wohl beim nächsten kleinen Parteitag am 28. April in Lübeck ein Antrag gestellt, eine Urwahl über zwei Spitzenkandidaten durchzuführen, sagte Lemke. "Das sollte in den nächsten Wochen in den demokratisch gewählten Gremien geklärt werden."

Die nächste Gelegenheit dazu wäre an diesem Montag in Berlin.
Neben der regulären Sitzung des Grünen-Vorstands ist eine gemeinsame Sitzung des Bundesvorstandes, der Landesvorsitzenden und der Fraktionsvorsitzenden vorgesehen.

(RP)
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