Berlin Sexy, aber schlecht regiert

Am Sonntag müssen die Regierungsparteien SPD und CDU in Berlin bei der Abgeordnetenhaus-Wahl mit herben Verlusten rechnen. Die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik sind ausnahmsweise nicht dafür verantwortlich.

 Weltweit gilt Berlin als cool, kreativ und hip. Die politische Führung in der Hauptstadt ist es aber nicht.

Weltweit gilt Berlin als cool, kreativ und hip. Die politische Führung in der Hauptstadt ist es aber nicht.

Foto: rtr, FAB/SN

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist auf seinem Wahlplakat nur verschwommen zu sehen. Im Vordergrund steht eine Frau mit Kopftuch. Das SPD-Logo fehlt auf diesem Wahlplakat gänzlich. Was Müller den Bürgern in der Hauptstadt damit sagen will, bleibt unklar.

Deutlich aber zeichnet sich inzwischen ab, dass die beiden Regierungsparteien SPD und CDU am Sonntag empfindliche Verluste im Vergleich zu den Abgeordnetenhaus-Wahlen 2011 werden hinnehmen müssen. Die AfD hingegen wird den Prognosen zufolge aus dem Stand heraus bei 13 bis 15 Prozent landen können. Doch die Misere der einstigen Volksparteien in Berlin kann man nicht zuerst der Bundespolitik und der Flüchtlingskanzlerin zuschieben.

Berlin ist immer noch Boom-Metropole

Im Gegenteil: In Berlin sind die Probleme hausgemacht. Das zeigt sich auch daran, dass jenseits der AfD die Nicht-Regierungsparteien auf gute Ergebnisse hoffen können. So darf die Linkspartei mit satten Zuwächsen rechnen. Die Liberalen werden nach nur 1,8 Prozent vor fünf Jahren wahrscheinlich wieder ins Parlament einziehen, und die Grünen können voraussichtlich an ihr historisch gutes Ergebnis von 2011 anknüpfen. Die Piraten werden einen erneuten Einzug wohl nicht schaffen, was in ihrer Selbstzerstörungskraft begründet liegt.

Die rot-schwarze Regierungsbilanz nach fünf Jahren ist ernüchternd. Dennoch findet sich nicht nur Schatten in der Stadt: Berlin ist immer noch Boom-Metropole. Jährlich ziehen rund 40.000 Menschen neu hinzu. Junge Unternehmen siedeln sich an und schaffen Arbeitsplätze. Erstmals seit der Wiedervereinigung ist die Arbeitslosenquote in der Hauptstadt auf unter zehn Prozent gesunken. Weltweit gilt Berlin als cool, kreativ und hip. Die politische Führung in der Hauptstadt ist es aber nicht.

Als Klaus Wowereit, der sich den Ruf als Berlins regierender Partykönig erarbeitet hatte, Ende 2014 abtrat, nahm seinen Platz einer ein, von dem erwartet wurde, dass er als eine Art Gegenentwurf zu Wowereit die Stadt führen wird. Müller ist ein unauffälliger, bodenständiger Typ. Für Berliner Verhältnisse mag man ihn gar als langweilig empfinden. Aber mit ihm war die Hoffnung verbunden, dass endlich einer kommt, der die Probleme der Stadt anpackt. Bis heute hat er nicht viel vorzuweisen.

Katastrophale Organisationsstrukturen

Geradezu sträflich ließ die von SPD und CDU geführte Koalition eine dringend notwendige Verwaltungsreform liegen. Berliner Bürger müssen oft wochenlang auf Termine bei den Ämtern warten. Neue Unternehmen wissen nicht, wo sie welche Genehmigung bekommen, weil es Durcheinander zwischen der Senatsverwaltung und den Bezirken gibt. Berlin ist für den Sog, das es als Metropole auslöst, gar nicht gerüstet, und es gibt noch nicht einmal den Versuch der politischen Führung, dies zu ändern.

Wie katastrophal die Organisationsstrukturen in dieser Stadt funktionieren, konnte die ganze Republik auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise besichtigen. Während die viel gescholtenen Bayern ihre Flüchtlinge humanitär und organisatorisch reibungslos versorgten, standen wochenlang verzweifelte Menschen in Berlin vor dem Lageso. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales wurde zum Symbol für Berliner Verwaltungsversagen.

Auch die Bilanz von Innensenator Frank Henkel (CDU), der sich auf Wahlplakaten mit seinem Sohn als netter Papa präsentiert, fällt mau aus. Sein Auftreten als Law-and-Order-Politiker ist nur rhetorischer Art. In den fünf Jahren, in denen er als Senator für die innere Sicherheit der Hauptstadt verantwortlich war, stieg die Zahl der Straftaten kontinuierlich. Auch im Vergleich zu anderen Großstadtregionen schneidet Berlin schlecht ab. Bei der Aufklärungsquote von Wohnungseinbrüchen trägt es bundesweit die rote Laterne. Internationale Banden organisieren sich auch im Taschen- und Fahrraddiebstahl, während die Polizei, die über schlecht funktionierende Funkgeräte klagt und teils ihre Privathandys bei der Verbrecherjagd nutzen muss, nicht hinterherkommt.

Unter Henkel hat sich auch das Verhältnis der Linksautonomen und der Polizei in der Stadt verschlechtert. Der 1. Mai wird zunehmend wieder zum Randale-Tag. In seinem Kampf gegen die Hausbesetzer an der Rigaerstraße, wo der Innensenator richtigerweise keinen rechtsfreien Raum und keine Angstzonen für Polizisten tolerieren wollte, musste er sich am Ende vorwerfen lassen, ein Haus ohne rechtlichen Titel in Teilen geräumt zu haben.

Für Fortsetzung der rot-schwarzen Koalition wird es nicht reichen

Der Pannenflughafen BER sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Über die immer neuen Eröffnungstermine lacht mittlerweile die ganze Welt. Die FDP in Berlin baut ihren Wahlkampf hauptsächlich auf die Botschaft, dass sie den Betrieb am citynahen Flughafen Tegel auch nach einer Eröffnung des BER aufrechterhalten will. Rechtlich ist das zwar nicht möglich, entspricht aber durchaus den Wünschen vieler Berliner.

Abgeordnetenhaus-Wahl Berlin 2016: Sexy, aber schlecht regiert
Foto: Radowski

Nach den jüngsten Umfragen ist absehbar, dass es für eine Fortsetzung der rot-schwarzen Koalition nicht reichen wird. Vielmehr stehen die Zeichen auf Rot-Rot-Grün. Berlin wurde schon einmal in Wowereits frühen Jahren von einer rot-roten Koalition regiert. Die Linken in Berlin sind ähnlich wie die ostdeutschen Linken eher pragmatisch, eher sozialdemokratisch als sozialistisch.

Die Grünen in Berlin gelten traditionell als ein linker Landesverband. Selbst wenn es rechnerisch für ein Bündnis mit der CDU reichen sollte, würden die Grünen in Berlin zum Bündnis im linken Lager neigen. Seine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hat die aus Rumänien stammende Spitzenkandidatin der Grünen, Ramona Pop, CDU-Innensenator Henkel persönlich übelgenommen.

(qua)
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