Dublin-Verfahren Berlin verschärft Kurs gegenüber syrischen Flüchtlingen

Berlin · Deutschland sendet Signale für eine Abkehr vom großzügigen Umgang mit syrischen Asylbewerbern. So sollen Menschen aus dem Bürgerkriegsland wieder nach dem sogenannten Dublin-Verfahren in EU-Länder zurückgeschickt werden, über die sie in die Europäische Union eingereist waren.

Sumte: Flüchtlinge bei der Ankunft
5 Bilder

Flüchtlinge kommen in Sumte an

5 Bilder

Dies bestätigte das Bundesinnenministerium am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Beim Familiennachzug für Asylbewerber aus Syrien will zumindest die Union die Hürden erhöhen und einen solchen Kurswechsel zunächst auf Innenminister-Ebene mit der SPD beraten.

Wie der Innenministeriumssprecher der dpa sagte, wendet Deutschland das Dublin-Verfahren aktuell für alle Herkunftsländer und alle Mitgliedstaaten außer Griechenland an. "Das gilt auch für syrische Staatsangehörige, seit dem 21. Oktober", fügte er hinzu. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüfe nun wieder in jedem Einzelfall alle Aspekte für einen sogenannten Selbsteintritt Deutschlands, also die Übernahme in das nationale Asylverfahren.

Dabei soll auch geschaut werden, wie groß tatsächliche Möglichkeiten für eine Überstellung in einen anderen EU-Mitgliedstaat sind.

Deutschland hatte im August beschlossen, das Dublin-Verfahren für Syrer vorübergehend auszusetzen. Normalerweise wird bei jedem Asylbewerber zwingend geprüft, ob er zuerst in einem anderen Land europäischen Boden betreten hat. Ist dem so, muss der Betroffene eigentlich dorthin zurück. Darauf wurde bei Syrern seit August offiziell verzichtet - aus humanitären Überlegungen, aber auch um das BAMF zu entlasten. Denn das Prüfungsverfahren ist sehr aufwendig.

BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise soll nach Darstellung aus SPD-Kreisen von der Wiederanwendung des Dublin-Verfahrens für syrische Asylbewerber nichts gewusst haben. Wie mehrere Teilnehmer der SPD-Fraktionssitzung am Dienstag der dpa berichteten, habe Weise als Gast der Fraktion beteuert, das sei auch für ihn eine Überraschung. Allerdings widersprach ein BAMF-Sprecher dieser Darstellung: "Der BAMF-Leiter Frank-Jürgen Weise war über die Anwendung des Dublin-Verfahrens für syrische Asylbewerber informiert", erklärte er.

Die SPD-Spitze wurde nach Informationen aus Parteikreisen von der Entscheidung de Maizières kalt erwischt. Dies sei im Vorfeld nicht in der Bundesregierung besprochen worden.

Die Union wolle offensichtlich ein "Ordnungssignal" aussenden, hieß es. In der SPD wird das kritisch gesehen: Kein EU-Land dürfte Flüchtlinge, die nach Deutschland wollen, nun noch registrieren, weil sie dann unter Umständen postwendend zurückgeschickt würden, hieß es aus hochrangigen SPD-Kreisen. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, sagte der dpa: "Das ist ein integrationspolitisches Fiasko, weil Zehntausende in monatelange Warteschleifen gedrängt werden. Eine Abschiebung so vieler Menschen nach Ungarn oder Kroatien ist unmenschlich und zugleich unrealistisch."

Die Rückführung von Asylbewerbern in andere europäische Staaten dürfte für Deutschland tatsächlich schwierig werden. Denn nur wenige der Flüchtlinge, die zuletzt ins Land gekommen waren, sind zuvor in einem anderen EU-Staat registriert worden. Inoffiziell ist von maximal drei Prozent die Rede. Im Innenministerium hieß es, die Rückkehr zum Dublin-Verfahren für Asylbewerber aller Nationalitäten sei eine von verschiedenen Maßnahmen, um "trotz hoher Flüchtlingszahlen wieder zu geordneten Verfahren bei der Einreise und bei der Durchführung von Asylverfahren zurückzukehren".

Beim Thema Familiennachzug für syrische Asylbewerber verwies Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag auf Beratungen der Innen-Ressortchefs von Bund und Ländern Anfang Dezember zum Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Während Unions-Politiker für eine Rückkehr zu Einzelfallprüfungen plädierten, wandten sich SPD-Vertreter gegen "Scheingefechte" von CDU und CSU.

Beim sogenannten subsidiären Schutz von Flüchtlingen mit beschränktem Nachzugsrecht für Familienangehörige habe es voriges Jahr auf Betreiben der Länder eine Umstellung weg von der Einzelfallprüfung gegeben, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Daher solle eine mögliche erneute Änderung nun auch erst einmal auf dieser Ebene diskutiert werden. Es müsse "Beschleunigung einerseits und Ordnung andererseits der Asylverfahren gewährleistet werden", hatte die Kanzlerin am Montagabend in Schwerin betont.

Merkel legte sich nicht konkret fest, ob sie den Vorstoß de Maizières unterstützt. Dieser habe seine Länder-Ressortkollegen um gemeinsame Klärung gebeten, und der Chef der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), habe grundsätzlich Bereitschaft signalisiert. "Dann warten wir auf die Antworten, weil ich glaube, diese Gruppe kann die fachlich besten Antworten geben", sagte Merkel.

Dem zunächst scharf kritisierten de Maizière waren am Wochenende CSU-Chef Horst Seehofer und dann auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beigesprungen. Seehofer sagte am Dienstag: "Die Politik der Begrenzung von Zuwanderung bekommt Schritt für Schritt Rückenwind - das war ja nicht immer so." SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Union deswegen vor, in der Flüchtlingskrise unverantwortlich zu agieren. Die SPD wolle sich nicht in den Konflikt beim Koalitionspartner hineinziehen lassen: "Wenn die ihre Kanzlerin demontieren, ist das für das Land ein Riesenproblem", sagte Gabriel nach Angaben von Teilnehmern am Dienstag in der SPD-Fraktion.

De Maizière hatte seine Forderung nach einem schwächeren Schutzstatus für Syrer am Freitag wieder zurückziehen müssen, da dies nicht Verhandlungsgrundlage eines von den Parteichefs am Donnerstag beschlossenen Asylpakets war. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wies darauf hin, dass seit Anfang 2014 in den von Flüchtlingsbewegungen direkt betroffenen deutschen Konsulaten im Nahen Osten mur 18 000 Anträge auf Familiennachzug gestellt worden seien. Die Union führe also eine Scheindebatte.

Liebe Leserinnen und Leser,
Ihre Meinung zu RP Online ist uns wichtig. Anders als sonst bei uns üblich gibt es allerdings an dieser Stelle keine Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen. Zu unserer Berichterstattung über die Flüchtlingskrise haben wir zuletzt derart viele beleidigende und zum Teil aggressive Einsendungen bekommen, dass eine konstruktive Diskussion kaum noch möglich ist. Wir haben die Kommentar-Funktion bei diesen Themen daher vorübergehend abgeschaltet. Selbstverständlich können Sie uns trotzdem Ihre Meinung sagen — per Facebook oder per E-Mail.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort