München Seehofer in Not

München · Immer mehr CSU-Verbände gehen auf Distanz zum Parteichef. Unter Druck macht er Fehler.

Es klingt wie das berühmte ängstliche Pfeifen im Wald, wenn Horst Seehofer meint, er könne eigentlich gar keinen Druck spüren. Dabei vergeht inzwischen kaum noch ein Tag, an dem die politische Zukunft des CSU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten von einem seiner Bezirks-, Kreis- oder Ortsverbände nicht infrage gestellt wird. Nun hat eine Mehrheit der Kreisvorsitzenden in München einen personellen Neuanfang gefordert. Damit sind es nach Oberpfalz und Oberfranken schon drei der mächtigen Bezirksverbände, die dem erfolgsverwöhnten Seehofer die Gefolgschaft verweigern. Der CSU-Chef geht angeschlagen in die Jamaika-Sondierungen im Bund.

Wie fest er überhaupt noch im Sattel sitzt, wird am nächsten Montag im Parteivorstand geklärt. Es werde dort ordentlich krachen, sind sich Mitglieder der CSU-Spitze sicher. Auch die Seehofer-Vertrauten sind inzwischen ausgesprochen sauer. "Kontraproduktiv" und "unfair" seien die Rücktrittsforderungen zum jetzigen Zeitpunkt, moniert CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Er spielt damit auf die Situation in den Vorsondierungen an, in der es ganz besonders auf die Standfestigkeit des wichtigsten CSU-Vertreters ankommt - und ihm andauernd vors Bein getreten wird.

Wie sehr der Druck Seehofer schon jetzt belastet, lässt sich an seiner jüngsten Fehlentscheidung ablesen. Als er sein Verhandlungsteam für die Koalitionsbildung in Berlin zusammenstellte, dachte er an "jeden, der in der CSU Verantwortung trägt". Also neben Dobrindt, seinem Generalsekretär und den Bundesministern auch an so klangvolle Namen wie Angelika Niebler, Kurt Gribl und Barbara Stamm. Nur einer fehlte: Markus Söder, der mächtige Finanzminister, Bezirkschef und aussichtsreichste Favorit für die Seehofer-Nachfolge.

Er hätte ihn von Anfang an in die Verhandlungen einbinden müssen, um das zu zeigen, was er von allen CSU-Politikern einfordert: "Jetzt für einige Wochen den Versuch machen, wenigstens temporär zusammenzuhalten." Schon diese Wortwahl zeigt das ganze Ausmaß des Schlamassels, der mit dem Absturz der CSU auf 38,8 Prozent bei der Bundestagswahl über die Partei gekommen ist. Versuchen, wenigstens temporär zusammenzuhalten - so tönt kein brüllender bayerischer Löwe, das ist nicht mal die Selbstgewissheit des schnurrenden Katers, als den sich Seehofer auch schon bezeichnete. Das klingt eher nach dem Fiepen einer Maus, die ahnt, im nächsten Augenblick verschwinden zu müssen.

Bereits bei den ersten Prognosedaten am Wahlnachmittag sollen einzelne CSU-Verantwortliche in der Parteizentrale in Schockstarre und dann in Endzeitstimmung gefallen sein. Seit Günther Beckstein 2008 wegen 43,4 Prozent gehen musste, ist jedem klar, was ein Abschneiden mit einer 3 am Anfang für eine Partei bedeutet, die ihr Selbstverständnis von der absoluten Mehrheit abhängig macht.

Sie steckt in einer Orientierungskrise, seit Seehofer die CSU scharf gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik positionierte, mit der scharfen Kritik auch nicht nachließ, als Merkel Schritt für Schritt die Gesetze verschärfte und die Routen nach Deutschland dichtmachte, und der sich dann doch wieder als größter Bewunderer der Kanzlerin inszenierte. Beim letzten Parteitag erbat und bekam Seehofer Bewegungsspielraum - verbunden mit dem Versprechen, damit den Erfolg der CSU zu garantieren. Nun steht er mit leeren Händen vor seiner Partei.

Dazu trug auch das Lavieren mit der Obergrenze bei. Mal wollte er ohne sie keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, dann sollte sie durch die Flüchtlingsentwicklung nicht mehr dringlich sein, schließlich kam sie doch mit Nachdruck in den Bayernplan - und ist nun als Begriff in der von CDU und CSU ausgehandelten Zielbestimmung von bis zu 200.000 Flüchtlingen nicht enthalten. Dass Seehofer einem Konstrukt zugestimmt habe, das bei neuer Flüchtlingsdynamik auch mehr Migration zulasse, sei eine "Existenzsicherung für die AfD", hieß es in Kreisen der CSU-Landtagsfraktion.

Schon wird darüber spekuliert, den CSU-Parteitag von Mitte November bis in die unmittelbare Vorweihnachtszeit zu verschieben, damit Seehofer Gelegenheit hat, mit einem guten Verhandlungsergebnis vor die Delegierten zu treten. Doch er sieht sich durch die ständigen Querschüsse ausgerechnet in der extrem schwierigen Jamaika-Sondierungsphase einem herannahenden Vier-Fronten-Krieg ausgesetzt: Er muss sich nicht nur gegen die Schwesterpartei, den Lieblingspartner FDP und das Schreckgespenst Grüne durchsetzen, sondern auch die eigenen Leute bei Laune halten.

So wird der 68-Jährige denn nicht nur in der Staatskanzlei und in der CSU-Zentrale sowie am Verhandlungstisch in Berlin gebraucht, sondern auch in den einzelnen bayerischen Bezirksverbänden. "Die CSU Schwaben hat Horst Seehofer zu einem Gespräch eingeladen, um die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Wahlergebnis zu ziehen", sagt Bezirkschef Markus Ferber unserer Redaktion. Andere haben bereits ohne ihn angefangen, über die besten Chancen für die Landtagswahl 2018 nachzudenken. Streng vertraulich, heißt es. Noch.

(may-)
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