DRK hilft Flüchtlingen bei Angehörigen-Suche Wie Farhad S. seine Familie wiederfand

Berlin · Bereits seit 1870 hilft das Deutsche Rote Kreuz Menschen, die durch Krieg und Zerstörung von ihren Angehörigen getrennt wurden, bei der weltweiten Suche. Auch in der aktuellen Flüchtlingskrise sind die Helfer aktiv – und werden auch dank des Internets in jedem zweiten Fall fündig.

 "I am looking for my family", stand unter dem Foto, mit dem Farhad S. seine Familie wiederfand.

"I am looking for my family", stand unter dem Foto, mit dem Farhad S. seine Familie wiederfand.

Foto: DRK/Clemens Bilan

Bereits seit 1870 hilft das Deutsche Rote Kreuz Menschen, die durch Krieg und Zerstörung von ihren Angehörigen getrennt wurden, bei der weltweiten Suche. Auch in der aktuellen Flüchtlingskrise sind die Helfer aktiv — und werden auch dank des Internets in jedem zweiten Fall fündig.

Farhad S. lächelt. Ein wenig verlegen und schüchtern — aber er lächelt. Was angesichts dessen, was er in den zurückliegenden sieben Jahren alles durchmachen musste, bei Weitem keine Selbstverständlichkeit ist. Denn lange Jahre war ihm überhaupt nicht nach Lachen zu Mute.

Mehrere Jahre war Farhad S. auf der Suche nach seiner Familie. Gemeinsam mit seiner Mutter und drei Geschwistern floh er 2009 aus Afghanistan. Im Jahr 2011 erreichte er endlich Deutschland — allerdings alleine. Telefonate in die Heimat und ausgiebige Internetrecherchen halfen nicht weiter. Daher wandte sich der heute 26-Jährige Anfang 2015 an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Ein Foto mit der Unterschrift "I am looking for my family" wurde vom DRK ins Internet gestellt. Mit Erfolg: Schon einen Monat später wurde der afghanische Englisch-Lehrer seines Bruders auf S. aufmerksam, die Familie fand wieder zusammen.

Solche Geschichten sind es, die die Mitarbeiter des DRK-Suchdienstes anstacheln und motivieren. Bereits im Deutsch-Französischen-Krieg wurde diese Aufgabe im Jahr 1870 erstmals übernommen. Anlässlich des "Internationalen Tags der Vermissten" am kommenden Dienstag stellten DRK-Präsident Rudolf Seiters, der stellvertretende Leiter der DRK-Suchdienst-Leitstelle Ronald Reimann sowie Martin Schüepp, stellvertretender Regionaldirektor beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), die Arbeit des Suchdienstes am Donnerstag in Berlin vor. "Wir möchten auf das Schicksal der Menschen und die Herausforderungen des DRK aufmerksam machen und dafür sorgen, dass sich noch mehr Suchende an uns wenden", sagte Seiters.

Das DRK ist nach eigenen Angaben weltweit die einzige humanitäre Hilfsorganisation, die einen derartigen Suchdienst betreibt. Bei der Suche nach vermissten Familienangehörigen arbeitet die Hilfsorganisation mit insgesamt 190 nationalen Rot-Kreuz- und Roter-Halbmond-Gesellschaften sowie dem Zentralen Suchdienst des IKRK zusammen. Insgesamt erreichten das DRK in diesem Jahr bereits rund 1400 neue Suchanfragen. "Bis zum Ende des Jahres rechnen wir mit rund 3000. Das wäre eine Steigerung von 90 Prozent gegenüber 2015", sagt Rudolf Seiters. "Aber in fast der Hälfte der Fälle konnte der Suchdienst auch helfen, indem der Kontakt zu Vermissten wiederhergestellt wurde."

Doch gerade durch die Ausweitung des Angebots auf das Internet, nämlich die fotobasierte Suchplattform "Trace the face", hätten die Suchmöglichkeiten in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut und verbessert werden können, wie Ronald Reimann erläuterte. "Die Online-Suche vereinfacht die Arbeit enorm. Vorher gab es große Transkriptionsschwierigkeiten der Namen aus anderen Schriftsystemen, allein für den Namen Mohammed gibt es über 70 verschiedene Schreibweisen. Dadurch wurden die Übersetzungsergebnisse ungenau, ebenso wie die Suche."

Auf der Plattform "Trace the face" können Suchende daher ein Foto von sich hochladen und angeben, welche Familienangehörigen sie finden wollen. Werden sie erkannt, können die "Finder" sich über einen Button direkt an den Suchenden wenden und Kontakt herstellen. Seit Start der Plattform im Jahr 2015 wurden dort 1249 Fotos von Erwachsenen und 451 Minderjährigen hochgeladen. Insgesamt konnten dadurch bislang 36 Fälle aufgeklärt werden. "Wenn man bedenkt, dass dies ansonsten aussichtslose Fälle gewesen wären, ist das eine sehr schöne Zahl", erklärte Reimann.

Zu diesen 36 Fällen gehört auch die Geschichte von Farhad S. — oder eher gesagt seine Odyssee. Als 19-Jähriger musste er mit seiner Familie die Heimat Afghanistan verlassen. Sie alle wollten nicht von dort weg, aber sie mussten. Es war zu gefährlich für sie geworden. Farhads älterer Bruder hatte als Dolmetscher für die US-Streitkräfte gearbeitet. Das fanden Rebellen heraus und verschleppten ihn, er gilt seitdem als verschollen. Mit 3.000 Euro Bargeld im Gepäck brach Familie S. zur iranischen Grenze auf. Dort traf sie gemeinsam mit anderen Flüchtigen auf einen Schlepper. Dieser quetschte alle 13 Flüchtigen in ein Auto und brachte sie über die Grenze in den Iran.

Nach einigen Monaten ging es dann weiter, über die Türkei erreichten sie schließlich Griechenland. Farhad organisierte ein Boot, alle gemeinsam wollten sie nach Italien übersetzen. "Meine Mutter und meine Geschwister stiegen ins Boot. Ich nicht. Ich behielt das Geld und wollte erst am nächsten Tag nachkommen." Das tat er auch — doch von seiner Familie keine Spur. Niedergeschlagen machte er sich über Frankreich und Belgien alleine auf den Weg nach Deutschland. Zwei Jahre nach dem Aufbruch in Afghanistan erreichte er die Bundesrepublik schließlich im Jahr 2011.

Und die Suche nach seinen Angehörigen ging weiter. Jahrelang ohne Erfolg. Bis ihn eine Berliner Organisation Anfang 2015 schließlich auf das DRK-Angebot aufmerksam machte und er schon nach einem Monat fündig wurde. Heute weiß Farhad: Das Boot seiner Familie geriet in einen Sturm und wurde von der italienischen Küstenwache aufgegriffen. Die Insassen wurden zurück nach Griechenland geschickt. Da seine Mutter die strapaziöse Überfahrt nicht noch einmal durchmachen wollte, entschied sie sich für die Rückkehr nach Afghanistan.

Ohne Hilfe hätte Farhad S. davon aber wohl nie erfahren.

(m-p)
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