Völkermord an Armeniern Gauck spricht über deutsche Mitverantwortung

Berlin · 1100 Menschen, darunter auch Bundespräsident Joachim Gauck, haben am Donnerstagabend in einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom des Völkermordes an christlichen Armeniern, Aramäern, Assyrern und Pontos-Griechen vor 100 Jahren gedacht.

 Bundespräsident Joachim Gauck (links) und die Vertreter der Armenischen Apostolischen Kirche stehen im Berliner Dom.

Bundespräsident Joachim Gauck (links) und die Vertreter der Armenischen Apostolischen Kirche stehen im Berliner Dom.

Foto: ap

Gauck hat dabei den Massenmord an den Armeniern als Völkermord bezeichnet und zugleich Deutschland eine Mitschuld gegeben. In einer Rede nach einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom ging Gauck am Donnerstag damit über eine Formulierung der Regierungskoalitionen hinaus, die der Bundestag am Freitag beschließen will.

"In diesem Fall müssen auch wir Deutsche insgesamt uns noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht", sagte Gauck mit Blick auf Militärvertreter des Kaiserreichs, die an den Deportationen beteiligt waren.

Gauck verwendete wortgleich auch einen Satz, den das Parlament auf Antrag der Fraktionen von Union und SPD am Freitag beschließen soll: "Mit unserem heutigen Wissen und vor dem Hintergrund politischer und humanitärer Schrecknisse der vergangenen Jahrzehnte steht uns heute klar vor Augen: Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist." Dieser Satz stand bereits im ersten Entwurf der Rede Gaucks und wurde von den Parlamentariern übernommen.

Bedenken aus dem Auswärtigen Amt

Bedenken gegen eine scharfe Formulierung der Parlamentarier hatten die Regierung und vor allem das Auswärtige Amt geäußert. Sie befürchteten, dass damit die türkische Regierung zu sehr verärgert werden könnte. Am Sonntag gab es deshalb Gespräche, nach denen sich die Regierungsfraktionen an der Wortwahl der Rede Gaucks orientierten. Die Türkei räumt ein, dass osmanische Truppen bei Massakern und Deportationen 1915 und 1916 armenische Christen töteten.

Die Regierung bestreitet aber, dass es Hunderttausende waren und dass es ein Völkermord gewesen sein soll. Nach Schätzungen wurden damals möglicherweise bis zu eineinhalb Millionen Menschen umgebracht. Das 100-jährige Gedenken löst seit Wochen diplomatischen Wirbel aus. Aus Protest gegen eine Genozid-Resolution des österreichischen Parlaments zog etwa die türkische Regierung am Mittwochabend ihren Botschafter aus Wien ab. In der Erklärung der Parlamentarier heißt es, man habe die Pflicht, die damaligen Ereignisse "als Genozid anzuerkennen und zu verurteilen".

Gauck betont deutsche Mitschuld

Gauck betont in seiner Rede auch die deutsche Mitverantwortung und stellte klar, dass es ihm nicht um eine Anklage der heutigen Türkei gehe. "Indem wir erinnern, setzen wir niemanden, der heute lebt, auf die Anklagebank", sagte er. Wichtig sei aber, sich an früheres Unrecht zu erinnern. Dies sei man den Nachfahren der Opfern schuldig. "Wir können uns nicht von Schuld befreien, wenn wir sie leugnen, verdrängen oder bagatellisieren." Auch die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit und die Ermordung der Juden habe in Deutschland mit "beschämender Verzögerung" stattgefunden.

Bei der Ermordung der Armenier forderte der Bundespräsident nicht nur eine türkische, sondern auch eine deutsche Aufarbeitung ein, weil das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg seinem Verbündeten direkt geholfen habe. Deutsche Militärs seien an der Planung und teilweise auch den Deportationen selbst beteiligt gewesen.

Er zitierte den damaligen Reichkanzler Theobald von Bethmann-Hollweg, der im Dezember 1915 gesagt habe: "Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht." Andererseits hätten gerade deutsche Publizisten das Leid der Armenier danach weltweit bekanntgemacht.

Erdogan: Osmanische Reich hat Völkermord begangen

Unterdessen hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zum 100. Jahrestag der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich ausgeschlossen, dass der Vorgängerstaat der Türkei einen Völkermord begangen hat. "Die armenischen Behauptungen zu den Ereignissen von 1915 entbehren jeder Grundlage", sagte er am Donnerstag auf einer als Friedensgipfel angekündigten Veranstaltung in Istanbul. Daran nahmen der britische Thronfolger Prinz Charles und die Regierungschefs von Australien und Neuseeland teil, deren Truppen vor 100 Jahren in der Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg kämpften.

Historiker schätzen, dass bis zu 1,5 Millionen Armenier von den osmanischen Türken getötet wurden und dass dies der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Die Türkei bestreitet das.

(REU)
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