Beschimpfungen bei Wahlkampfauftritt Wie umgehen mit dem Merkel-Hass?

Meinung | Berlin · Wüste Beschimpfungen erlebte Kanzlerin Angela Merkel bei Wahlkampfauftritten in Sachsen und Thüringen. Sie lässt die Attacken an sich abperlen. Das dahinter stehende Problem ist damit aber nicht erledigt.

Angela Merkel hatte alle Mühe, sich bei ihren Auftritten in Sachsen und Thüringen verständlich zu machen. Ihre Redebeiträge wurden niedergebrüllt und -gepfiffen, blanker Hass schien der Kanzlerin aus Teilen des Publikums entgegenzuschlagen.

Ihre Gegner waren auch nicht mit dem Hinweis zu beruhigen, während Merkels Regierungszeit sei die Arbeitslosigkeit im Erzgebirge von 20 auf 5 Prozent gesunken, wie es Merkels Mit-Wahlkämpfer Stanislaw Tillich versuchte.

Sie kommen aus einem Spektrum zwischen AfD und Pegida und leben in einem sich selbst bestätigenden Echo-Raum, in dem sich die vielen Strömungen und einander bekämpfenden Interessen immer auf eines verständigen können: "Merkel muss weg." Sie ist Reizfigur als Symbol für alles, was sie ablehnen: Ausländer, Migranten, Kriminalität, Terrorismus. Die Lösung ist typisch für Sympathisanten populistischer bis totalitärer Ideen: Mit Merkel verschwinden alle unsere Probleme.

Diese absurde Vorstellung war einmal beschränkt auf ein paar Schreihälse, wie es sie bei jedem Wahlkampf gibt und wie es auch immer wieder belebend für die Auseinandersetzung sein kann. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier etwa war selten so klar und deutlich wie 2014 auf dem Berliner Alexanderplatz, als er wütend auf Protestgebrüll reagierte.

Doch jetzt hatte es Merkel mit einer dreistelligen Zahl von Protestlern zu tun, und viele trugen AfD-Plakate. "Ja, kennen wir ja schon", war Merkels Reaktion. Was nur der Wahrheit entspricht. Und auch ihre Unterscheidung in Menschen, die nur schreien und solche, die auch gestalten wollen, ist nur zu richtig. Aber es ist eine Beschreibung für den Augenblick, kein Konzept für die hinter dem Phänomen liegenden Probleme.

Diese zeigen sich in den Sonntagsfragen in Sachsen und Thüringen. Wo Merkel auf den Marktplätzen mit AfD-Präsenz konfrontiert wurde, kommt die AfD auch im Jahre zwei nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise auf 18 (Thüringen) und 21 Prozent (Sachsen), steht somit an der Schwelle zur Volkspartei. Genau dieser nächste Schritt wird derzeit sogar vom Steuerzahler bezahlt: eine beinahe flächendeckende Infrastruktur von Abgeordnetenbüros als regionale Anlauf- und Protest-Verbreitungs-Stellen.

Sie wolle sich von den Protesten nicht beirren lassen und an ihren geplanten Wahlkampf-Orten auch im Osten festhalten, versicherte Merkel — und verband das mit dem Bild, dort ganz besonders mit den Menschen über Demokratie reden zu wollen. So skizzierte sie es am Tag nach den Protesten.

Meinungen nicht mehr wahrnehmen zu wollen, sondern mit der Trillerpfeife zu übertönen, ist in der Tat nicht demokratisch. Und mehr Einsatz für Deutschland einzufordern und dann während der Nationalhymne weiter zu pfeifen, hat wenig mit Logik zu tun. Doch Demokratie ist auch die Freiheit, den Protest zu wählen. Und offensichtlich hat die Kanzlerin aus Sicht einer beträchtlichen Minderheit darauf noch keine Antwort gefunden.

(may)
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