Analyse zur Bildungspolitik Von wem NRW lernen kann

Düsseldorf · Inklusion, Unterrichtsausfall, G 8 - schulpolitische Baustellen gibt es in Nordrhein-Westfalen genug. Ideen, wie man es anders machen kann, allerdings auch. Bildungsexperten haben sich in den Bundesländern umgesehen.

 Beim Thema Inklusion gibt es an den Schulen in NRW immer noch großen Handlungsbedarf.

Beim Thema Inklusion gibt es an den Schulen in NRW immer noch großen Handlungsbedarf.

Foto: dpa

Auf den Bildungsföderalismus wird gern geschimpft: 16 Bundesländer, und jedes leistet sich sein eigenes Schulsystem! Nach Landtagswahlen allerdings, erst recht nach Regierungswechseln, wird der Blick auf die deutsche Schullandschaft plötzlich interessant. Dann geht es nämlich darum, von wem die neue Regierung lernen könnte. Handlungsbedarf in NRW gibt es wahrlich genug - vom "Turbo-Abi" bis zur Inklusion. Eine Reise durchs Land der schulpolitischen Ideen.

Bayern Der Blick nach Süden ist ein Klassiker, vor allem unter Konservativen. Der Nimbus hat zwar Kratzer bekommen, weil auch die Bayern Reformen mit zweifelhaftem Erfolg ins Werk gesetzt haben. Und wenn die Abitur-Ergebnisse zu schlecht waren, wurden auch mal kurzerhand Notenvorgaben geändert. Gerade derzeit aber schauen zum Beispiel die Befürworter einer flächendeckenden Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium neidisch auf Bayern, denn dort passiert genau das.

"Bayern zeigt Rückgrat", sagt Ulrich Czygan, Vorsitzender der Landeselternschaft der Gymnasien. Ingrid Habrich, Chefin der Rheinischen Direktorenvereinigung, fügt hinzu: "Wir würden eine klare Entscheidung zwischen G 8 und G 9 wie in Bayern sehr begrüßen." Nicht unbedingt aus Liebe zu G 9: Beide Systeme seien machbar. Schulleiter und Eltern fürchten aber eine Zersplitterung durch Wahlfreiheit der Schulen oder gar G 8 und G 9 parallel an einer Schule. "Das wäre eine Katastrophe", sagt Habrich.

Auch für den Kieler Bildungsforscher Olaf Köller ist Bayern vorbildlich, allerdings in anderer Hinsicht: "Bayern ist ein Musterbeispiel für eine perfekte Schulaufsicht", sagt Köller. Die Behörden verständen sich dort vor allem als Berater und als Qualitätsentwickler statt als Kontrollinstanzen.

Bildungspolitik: Von wem NRW lernen kann
Foto: IQB-Bildungstrends 2015, IQB-Ländervergleich 2012, Grafik: C. Schnettler

Hessen CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet hat im Wahlkampf den seit 2014 schwarz-grün regierten Nachbarn als Vorbild in Sachen Inklusion genannt. Hessen belegt einen der letzten Plätze beim Anteil der behinderten Kinder, die eine Regelschule besuchen. Für die CDU ist das kein Manko, sondern Ausweis behutsamer Politik. Tatsächlich ist in Hessen die Zahl der Förderschulen seit 2010 nur um 1,7 Prozent gesunken, in NRW dagegen um fast 28 Prozent.

Im hessischen Koalitionsvertrag ist sogar das Ziel niedergelegt: "Wo es von den Eltern gewünscht wird, werden wir das Förderschulsystem weiterentwickeln." Die Strategie hilft, Verwerfungen wie in NRW zu vermeiden - aber sie ist auch teuer, weil sie die Doppelstruktur aus Förder- und Regelschulen erhält.

Für Schulleiterin Habrich ist Hessen bei der Personalversorgung der Schulen vorbildlich: "Die haben schon lange eine 104-prozentige Ausstattung." So könne jede Schule ihre eigene Vertretungsreserve bilden. Im Rheinland dagegen haben die Gymnasien mancherorts nicht einmal 100 Prozent der Stellen zur Verfügung, die ihnen rechnerisch zuständen.

Ostdeutschland Einen Blick auf den deutschen Leistungssieger Sachsen zu werfen, liegt nahe. Elternvertreter Czygan lobt den sächsischen "Mut, sich zu Leistung zu bekennen". Dazu gehöre auch, dass Kinder mit eingeschränkter Gymnasialempfehlung eine Aufnahmeprüfung absolvieren müssten. Das sei im Interesse der Kinder, sagt Czygan: "Wenn sie nach zwei Jahren nicht mehr mitkommen, ist das für alle eine schlimme Erfahrung." Bildungsforscher Köller sieht solche Wünsche mit großer Skepsis: "Wenn die Gymnasien selektieren wollen, schaufeln sie sich ihr eigenes Grab."

Die Leistungsfähigkeit der Schüler sei nicht gesunken, obwohl heute viel mehr Viertklässler ans Gymnasium wechselten. Entscheidend sei, die Qualität des Unterrichts zu steigern. Köller verweist auf Brandenburg: "Was die etwa bei ihren Leistungen in Englisch geschafft haben, ist beeindruckend - da wurden konsequent Mittel für die Lehrerfortbildung auf diesen Schwachpunkt umgeschichtet."

Bremen Bremen? Ja. Der Stadtstaat belegt in Bildungsrankings zwar regelmäßig den letzten Platz. Trotzdem, sagt Schulleiterin Habrich, könne man von einer Bremer Lösung lernen: "Zwei Schulsysteme unter einem Dach, eine Regel- und eine Förderschule. Die Kinder mit Förderbedarf haben ihre eigene Schule, aber bestimmte Projekte finden mit der Regelschule zusammen statt."

Berlin Auch in Berlin ist nicht alles schlecht: "Schwierig in der Umsetzung, vorbildlich in den Ideen" nennt Köller das Berliner Schulsystem. Gymnasium hier, integrierte Sekundarschule dort, beide führen zum Abitur - das Gymnasium nach zwölf, die Sekundarschule nach 13 Jahren. Auch in NRW sind Strukturreformen nicht völlig undenkbar: An den "Schulfrieden" von 2011, der Strukturdiskussionen bis 2023 ausschließen sollte, fühlt sich die FDP nicht gebunden, weil sie ihn nicht mittrug.

Berlin habe zudem, so Köller, die Lehrerausbildung um Inklusionselemente angereichert. Bei den Lehrer-Pflichtstunden am Gymnasium liegt Berlin am oberen Ende der Länderskala.

... und das Ausland Dass der einstige Pisa-Primus Finnland mit seiner egalitären Schulkultur nicht das gelobte Land ist, hat sich herumgesprochen - Finnland ist abgesackt; möglicherweise beruhten die Erfolge auf Nachwirkungen des alten, leistungsfixierten Schulsystems. Trotzdem lohne der Blick nach Norden, so Czygan, ebenso wie nach Westen: "Lehrer müssen sich wieder auf den Unterricht konzentrieren können. In dieser Beziehung sind Skandinavien und Frankreich vorbildlich mit ihrem Einsatz von Schulverwaltungsassistenten." Die nähmen den Lehrern "die ganze Bürokratie" ab. Mehr Schulverwaltungsassistenten - eine alte Forderung der CDU aus Oppositionszeiten.

(fvo)
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