Die Kanzlerin und die BND-Affäre Angela Merkel — Chefin mit beschränkter Haftung

Düsseldorf · Angela Merkel präsidiert seit zehn Jahren. Fehler wie die aktuelle BND/NSA-Spionage-Affäre perlen an ihr ab.

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Das ist Angela Merkel

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Foto: dpa, Patrick Seeger

"Die Spuren führen ins Kanzleramt" — so berichteten wir vor Kurzem über die BND-Affäre. Die Angelegenheit um Spionage und Dienstbarkeiten des BND gegenüber dem amerikanischen Horch- und Spähgiganten NSA und die frühzeitige Kenntnis davon in Merkels Machtzentrale könnte sich zu einem großen Skandal auswachsen.

Während der frühere Majordomus im Kanzleramt, Thomas de Maizière, nun in den Fokus der öffentlichen Kritik gerät, scheint seine Herrin in dieser rechtlich sowie innen- und außenpolitisch heiklen Angelegenheit politisch unbefleckt zu bleiben. So jedenfalls registrieren es Politikexperten wie Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Der Berliner Politik-Professor Peter Grottian ist davon überzeugt, dass Merkel in der Bevölkerung "mindestens zweimal Maluspunkte frei hat", ohne dass sie demoskopisch schweren Schaden nähme. Er hält es allerdings für möglich, dass Merkel erstmals nicht mehr so leicht den Kopf aus der Verantwortungs-Schlinge ziehen kann.

In den USA werden Präsidenten, denen nichts Negatives anzuhaften scheint, weil alles an ihnen abperlt, nach der bekannten Bratpfannenbeschichtung als Teflon-Politiker charakterisiert. Angela Merkel ist das deutsche Musterexemplar für eine politisch Hauptverantwortliche, der hauptsächlich die Haben-Seite beschriftet wird. Ursula Münch nennt das in einer Mischung aus Respekt und Irritation ein "Phänomen", eben das Phänomen Merkel. Eine große Kanzlerin wird man sie, obwohl sie zehn Jahre regiert, noch nicht nennen können; aber ein politisches Glückskind allemal.

Wem das zu wenig Würdigung ist: Jawohl, die Kanzlerin ist eine unprätentiös zu Werke gehende, hochintelligente und bienenfleißige Arbeiterin in deutschen und europäischen Weinbergen. Niemand käme auf den Gedanken, sie neige zu abgehobenem Lebensstil sowie riskanten Manövern im Politischen oder Privaten. Sie ist keine große Kommunikatorin, oft eine Plattitüden-Königin, aber eine Kaiserin des bescheidenen Auftretens, zu Hause und auf der Weltbühne. Ursula Münch ist fest davon überzeugt, dass Merkel, die nach Konrad Adenauer (1949 - 1963) und Helmut Kohl (1982 - 1998) auf die meisten Amtsjahre zurückblickt, es auch bei der Bundestagswahl 2017 noch einmal wissen will. Wer sollte es auch sonst in der personell ausgetrockneten Merkel-CDU machen?

Wer hört wen ab - und was man dagegen tun kann
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Wer hört wen ab - und was man dagegen tun kann

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Foto: dpa, Jens Büttner

Man stelle sich vor, welcher mediale Hagelschlag auf die Vorgänger der Kanzlerin niedergeprasselt wäre, wenn ihnen ein Skandal wie der aktuelle um BND, NSA und das seltsame Kanzleramts-Verhalten ins Kontor geschlagen hätte; oder wenn Schröder, Kohl, Schmidt, Brandt derart üppig Allgemeinplätze zum Besten gegeben hätten wie "Bildungsrepublik Deutschland" oder "Neue soziale Marktwirtschaft"; wenn sie sich widerspruchslos und unbegründet obendrein mit dem Lorbeer des Welt-Umweltschützers hätten schmücken lassen, wie dies die angebliche "Klima-Kanzlerin" zu höherem demoskopischen Ruhm ab 2008 geschehen ließ.

Im Grunde ist sie mit ihrem Berliner Rundum-sorglos-Paket eine Art Neben-Bundespräsidentin: parteipolitisch kaum je als entschiedene Christdemokratin wahrnehmbar. Was ihr wiederum von einer Mehrheit im Land der weitgehend unpolitischen Deutschen (circa 30 Prozent leugnen jegliches Interesse für Politik) hoch angerechnet wird.

Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter mokiert sich über Merkels präsidialen Regierungsstil mit der ironischen Frage: "Was soll denn an jemandem kleben bleiben, der sich so stark an jeweiligen Mehrheitsstimmungen orientiert?" Oberreuter attestiert der Kanzlerin einen Stil, der sich an Jürgen Habermas' Begriff des "demoskopisch gelenkten Pragmatismus" ausrichtet. Für viele sei Merkel mittlerweile ein Mythos mit einem Vertrauensbonus jenseits der Parteigrenzen. Insofern seien die bislang für sie erfolgreichen Bemühungen, Fehler bei anderen abzuladen, plausibel. Zum jüngsten Spionage-Exzess bei gleichzeitigem Nichtwissen oder Mitwissen des Kanzleramts stelle sich aber die Frage: "Wer ist eigentlich im Kanzleramt neben dem Amtsverwalter der Oberchef?"

Muss also nicht wegen der politischen Letztverantwortung der Kanzlerin diese als Oberchefin für das Funktionieren ihrer zentralen Behörde haften? Ursula Münch meint, Merkel habe eine beträchtliche Begabung darin, andere für ihre Fehler geradestehen zu lassen. Oberreuters Kollege Grottian glaubt, Merkel werde fast nur als Weltpolitikerin wahrgenommen, was zur Vernachlässigung innenpolitischer Probleme führe. Die aktuelle Spionage-Krise werde sie nicht wieder versanden lassen können.

Wenn das geheime BND/NSA- Miteinander zulasten Dritter kein Führungsproblem Merkels ist, ist es dann womöglich ein Überblicks-Problem der Vielbeschäftigten? Die präsidiale Kanzlerin verhält sich bislang in dieser Geheimdienst-Story so, wie sie es immer getan hat, wenn es für sie brenzlig wurde: Sie wartet ab, schweigt, gibt Nichtssagendes von sich und lässt ihren Regierungssprecher ein wenig erklären. Das ist verständlich, weil sie mit dieser Unentschiedenheit seit zehn Jahren gut durchgekommen ist. Man fragt sich jedoch, was wohl aus der Jahrhundert-Chance zur deutschen Wiedervereinigung 1989/90 geworden wäre, wenn jemand wie Merkel damals die historisch riesigen Schritte hätte tun müssen. Oder wenn Merkel 2003 eine unpopuläre, aber goldrichtige Agenda 2010 hätte durchpauken müssen.

Politikwissenschaftlerin Münch hält eine weitere Erklärung für das Phänomen Merkel parat: Die Deutschen hätten genug von schwerwiegenden internationalen Krisenherden. Da wollten sie sich nicht auch noch das hohe Vertrauen in ihre Kanzlerin nehmen lassen, die es daheim schon irgendwie schmerzlos richten werde. Merkel, die politische Anästhesistin, schläfert ein. Und dass Ruhe die erste Bürgerpflicht sei — das kommt ihren lieben Deutschen aus Tradition so fremd und unbehaglich ja nicht vor.

(RP)
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