Die Bundesregierung und die BND-Affäre Groko — die große Konfrontation

Berlin · Die nächste Bundestagswahl ist noch mehr als zwei Jahre entfernt. In Berlin hat man mitten in der BND-Affäre den Eindruck, sie stünde kurz bevor, so heftig bekämpfen sich Union und SPD in der großen Koalition.

Die Liste der Streitthemen in der großen Koalition
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Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Ein afrikanisches Sprichwort besagt: Wenn zwei Elefanten kämpfen, dann leidet das Gras. Union und SPD sind gerade dabei, über ihre Auseinandersetzung in der BND-Affäre die Vertrauensgrundlage der großen Koalition zu zerstören.

Bislang bildeten SPD-Chef Sigmar Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die feste Achse im Regierungsbündnis. Beide verließen sich aufeinander, wohlwissend, dass sie ein Bündnis auf Zeit eingegangen sind. Nach nur anderthalb gemeinsamen Jahren wächst das Misstrauen, weil beide den jeweils anderen belauern, ob er bereits die Zeit danach vorbereitet.

Bundesminister: Das Kabinett der großen Koalition
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Foto: RP. DPA

Schon bevor die NSA-Affäre erneut hochkochte, hatten sich Gabriel und Merkel gegenseitig im Verdacht, schon den kommenden Wahlkampf in den Blick zu nehmen. SPD-Chef Gabriel fürchtet, dass die Union mit dem Abschmelzen des "Soli", also mit Steuersenkungen, 2017 punkten will. Die Kanzlerin wiederum sieht die Gefahr, dass die SPD das Freihandelsabkommen TTIP in den Wahlkampf ziehen könnte und damit die in der deutschen Bevölkerung vorhandenen Antiamerikanismen bedient.

Gabriel beging aus Sicht der Union zwei Regelverstöße

In dieser Stimmung ist eine Affäre wie die um den BND gefährlich. Im Kern geht es darum, ob die Amerikaner mithilfe des deutschen Geheimdienstes in Europa Regierungen und Unternehmen ausspionieren konnten. In der Frage, ob und was die Regierung wusste, stehen vor allem CDU-Politiker hinauf bis zur Kanzlerin im Mittelpunkt des Interesses.

Die Bereitschaft der SPD, sich in dieser Affäre solidarisch mit dem Koalitionspartner zu zeigen, ist gering. Im Gegenteil: Am Montag konnte SPD-Chef Gabriel der Versuchung nicht widerstehen, einen Teil der Verantwortung bei der Kanzlerin abzuladen. Dazu nutzte er eine Pressekonferenz der SPD zur Flüchtlingspolitik. Zweimal habe er Merkel gefragt, ob der BND einen Beitrag zur Wirtschaftsspionage durch die NSA geleistet habe, erklärte Gabriel. "Beide Male ist mir das gegenüber verneint worden", sagte er öffentlich.

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Aus Sicht der Union beging Gabriel gleich zwei Regelverstöße: Er plauderte aus vertraulichen Unterredungen mit der Kanzlerin und deponierte bei ihr einen kleinen Sprengsatz. Falls sich herausstellt, dass doch Unternehmen ausgespäht worden sind, steht Merkel als Lügnerin da. Dies wiederum scheint die Unionsseite für so wahrscheinlich zu halten, dass sie sich über Gabriels Finte mächtig empört. "Die linke Tour des Vizekanzlers Gabriel ist ein peinliches Manöver in der SPD-Umfragedepression", wetterte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

Das Image der Kanzlerin

Die Union ist so aufgebracht, weil diese Affäre und Gabriels robuste Taktik tatsächlich der Kanzlerin gefährlich werden können. Die SPD hat bei der kommenden Wahl 2017 nur dann die Chance, ihr Ergebnis zu verbessern, wenn es ihr gelingt, das Image der Kanzlerin zu ramponieren. Die BND-Affäre bietet dazu Gelegenheit. Gabriel soll seine Leute sogar ausdrücklich ermuntert haben, die Union bei dem Thema weiter zu piesacken.

Angela Merkel – herausragende Momente einer Kanzlerin (in Bildern)
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Foto: dpa/Peter Kneffel

Wer wissen will, wie Gabriel wirklich tickt, sollte sich noch einmal seine Rede vom Dresdner Parteitag 2013 durchlesen. Damals forderte er die Genossen auf, den Satz "Erst das Land und dann die Partei" aus ihrem "politischen Wortschatz" zu streichen. Gefährlich sei dieser Satz, sagte Gabriel damals. In diesem Sinne — dass die Interessen der Partei immer zentral sind — agiert er heute.

Dementsprechend groß ist die Verärgerung bei der Union. Zumal es auch schon Rücktrittsforderungen aus der SPD gegen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gab, der unter dem Verdacht steht, die Affäre vertuscht zu haben. Ein Fehlverhalten ist aber nicht belegt. In einer solch unklaren Lage überraschen Rücktrittsforderungen aus der Opposition nicht — im eigenen Regierungslager hält man eigentlich zusammen.

Das Benehmen der SPD verleitete CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn wiederum zum Twitter-Kommentar: "Warum haben wir den Kollegen Oppermann eigentlich vor einem Jahr so geschont? Damit SPD nun koalitionären Anstand fahren lässt". Damit meinte er die Zurückhaltung der Union, als SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in den Strudel der Edathy-Affäre zu geraten drohte.

Kauder: "Zahltag ist später"

In der Fraktionssitzung der Union am Dienstag legte Fraktionschef Volker Kauder die Folterinstrumente auf den Tisch und erklärte, dass auch die Union im Edathy-Untersuchungsausschuss "ganz andere Saiten" aufziehen könne, wenn die SPD nicht die Angriffe auf CDU-Politiker unterlasse. In Richtung SPD erklärte er hämisch: "Wenn die so weitermachen, kommen die nicht über 25 Prozent." Zur Aussicht, dass die aktuelle SPD-Strategie verfängt, sagte Kauder: "Zahltag ist später."

Erhellendes zur Affäre gab es in der Fraktionssitzung nicht. Die Kanzlerin verteidigte die Arbeit der Geheimdienste und betonte, Geheimnisse könnten nicht öffentlich diskutiert werden. Zugleich erklärte sie ihre Bereitschaft, in allen Gremien des Bundestags, die das wünschten, auszusagen — allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Wenn die große Koalition in den nächsten Tagen nicht zur Gemeinsamkeit findet, könnte das eine Eskalation auslösen. Die Opposition bastelt an einem entsprechenden Szenario: Linke und Grüne wollen heute zwei Sondersitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses beantragen, in denen gleich alle vier Kanzleramtsminister der vergangenen Jahre gehört werden sollen. Dafür braucht die Opposition die Stimmen der SPD. Täte diese das, verstieße sie freilich gegen den Koalitionsvertrag, der wechselnde Mehrheiten untersagt. Es kommt also nun auf intensive Abstimmungen zwischen Union und SPD an, damit nicht aus Versehen aus einer kleinen Antragsbehandlung ein immenser Koalitionsschaden entsteht.

(may- / qua)
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