Vor dem Bundesparteitag in Stuttgart Die AfD auf der Suche nach dem Schutz der deutschen Identität

Düsseldorf/Magdeburg · Die AfD eilt von Erfolg zu Erfolg. Ein neuer Coup könnte bei der nächsten Landtagswahl am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern gelingen. Doch zuvor steht am Samstag der Bundesparteitag an - dort soll endlich ein Programm beschlossen werden. Ein Schwerpunkt: "Schutz der deutschen Identität".

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Die bekanntesten Politiker der AfD seit 2013

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Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es ist ein merkwürdiges Zwielicht an diesem April-Wetter-Tag auf der Bahnstrecke Richtung Ostdeutschland. Eigentlich ganz freundlich, wie die Sonnenstrahlen so die gelben Rapsfelder leuchten lassen. Gleichzeitig hier und da ein Schauer und eine dunkle Wolkenwand, die von weitem aufzieht.

AfD-Wetter, könnte man sagen. Die Stimmung kurz vor dem Bundesparteitag in Stuttgart: durchwachsen. Die Köpfe der Partei, eher eitel Sonnenschein: Bundessprecher Jörg Meuthen widerspricht dem von manchen geforderten harten Anti-Islam-Kurs und betont die Religionsfreiheit für alle. Bundesvorsitzende Frauke Petry spricht sogar von Rückzug, falls es zu einem "weiteren Rechtsruck" kommt.

Gegenwind dann aus verschiedenen Richtungen: 1425 Seiten Änderungsanträge wurden vorab allein zum 74-seitigen Leitantrag für das Parteiprogramm eingereicht, das an diesem Wochenende endlich festgezurrt und verabschiedet werden soll. Einige AfD-Verbände oder Einzelpersonen fordern darin, in Moscheen nur auf Deutsch zu predigen, andere ein komplettes Bauverbot für Moscheen und die Abschaffung aller islamtheologischen Lehrstühle.

Über sämtliche Punkte zu allen politischen Themen werden mehr als 2000 AfD-Mitglieder in der Messe Stuttgart diskutieren und abstimmen. Anders als bei anderen Parteitagen, wo die Zahl der Delegierten überschaubar ist, kann hier jeder dabei sein, der Parteimitglied ist und sich rechtzeitig angemeldet hat.

Vor Ort sollten sie aber lieber keine AfD-Logos offen tragen und sich "niemals allein durch die Stadt bewegen", warnt die Partei auf der Internetseite ihre Mitglieder. Es sei zu befürchten, "dass gewaltbereite Gruppen versuchen könnten, die Anreise zu blockieren". Ein Aktionsbündnis aus verschiedenen antifaschistischen und antirassistischen Bündnissen hat im Vorfeld dazu aufgerufen, "gegen die Biedermeier-Elite des völkischen Mobs" auf die Straße zu gehen und den Parteitag ab 7 Uhr durch Blockaden zu verhindern. Die Polizei steht mit 1000 Beamten samt Wasserwerfern bereit, weil gewaltbereite Proteste "denkbar" seien.

Topthema Innere Sicherheit

Die Polizeipräsenz dürfte Andre Poggenburg, Vorsitzender der AfD Sachsen Anhalt, gefallen. Innere Sicherheit ist ihm neben der Liberalisierung des Waffenrechts sehr wichtig. Und wenn die Polizei das allein nicht schaffe, müssten eben Bürgerwehren — natürlich unbewaffnet - einspringen, wenn junge Frauen bei ihm im Burgenland von Flüchtlingen belästigt würden.

Poggenburg sitzt seiner Landesgeschäftsstelle in Magdeburg Buckau, erste Etage rechts in einem Ärztehaus. Winziges AfD-Klingelschild. Der bestuhlte Raum hier, in dem er manchmal Vorträge hält, ist komplett wahlplaktiert: "Bürger schützen", "Asylchaos stoppen", "Kinder willkommen". Mindestens so viele Themen wie Plakate will die AfD auch in ihrem Programm abhandeln, also auch: Tier- und Umwelschutz, Innere Sicherheit, Soziales, Familie.

Was dem AfD-Landeschef, der im März in Sachsenanhalt mit über 30 Prozent direkt in den Landtag gewählt worden ist, aber wirklich wichtig ist: Patriotismus. Den will er wieder "salonfähig" machen. Denn Poggenburg hat Angst vor dem Verlust der deutschen Identität, das sagt er immer wieder auf Kundgebungen. Was heißt das? "Es muss möglich sein, die Deutschlandflagge zu schwenken oder die Nationalhymne zu singen, wann immer man möchte, nicht nur zur WM." Und man sehe ja den Angriff auf unsere Werte durch den Islam, am Beispiel Frauenverachtung, Tierschächtung, Beschneidung. "Alles, wofür wir Jahrzehnte gekämpft haben, wird für Multikulti auf dem Altar geopfert", findet Poggenburg.

Widerspruch von Experten

"Absolut absurde Vorwürfe", sagt der Düsseldorfer Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Den Islam gibt es nicht, der Islam sei sehr heterogen, und keine Ideologie sondern eine Religion. Und für die gilt die Religionsfreiheit. Für Martin E. Renner, Sprecher des größten AfD-Landesverbands NRW, kommt da gleich ein großes Aber: Religionsfreiheit okay, aber Religionsausübung? Das sollte, wenn es nach ihm ginge, in einen rein privaten Raum, jedenfalls für Muslime.

Deren Religionsausübung wie "gewisse Schariabedinungen wie Beschneidung, Verschleierung oder Frauenherabwürdigung können grundgesetzwidrig sein", sagt Renner. Für ihn ist der Islam eine Ideologie, die mit Demokratie nicht vereinbar ist, weshalb er zu der Forderung kommt: "Wir wollen keine Schariagesellschaft in Deutschland." Dass der Islam eine Religion ist, die von vielen in Deutschland bereits modern gelebt wird, sieht er nicht. Der Islam sei im Kern totalitär und nicht integrierbar. Punkt.

Und weil dem AfD-NRW Ko-Chef Renner das Grundsätzliche im Programmentwurf der Bundeskommission fehlt, da der zu sehr an aktuellen Ereignissen hinge, hat er zusammen mit zwei Parteikollegen aus Berlin ein eigenes Grundsatzprogramm verfasst und vorab für den Parteitag eingereicht: Das "Renner Manifest". Unterteilt ist dieser überschaubare 17-seitige Entwurf in die Kapitel: Freiheit, Recht, Demokratie, Nation, Familie, Eigentum, Fortschritt und Sicherheit.

Während manches zum Thema Familie, innere Sicherheit und Recht so oder so ähnlich auch in anderen Parteiprogrammen vorstellbar wäre, ist der Punkt "Nation" durchaus signifikant: "Die AfD vertritt einen modernen Nationalitätsbegriff" heißt es, die Zugehörigkeit könne über Staatsbürgerschaft erworben werden, das setze "ein klares persönliches Bekenntnis" voraus sowie die Bereitschaft zur weitgehenden Anpassung an die kulturellen Gewohnheiten. Oder wie Renner sagt: "Das Ende von Intergration muss die Assimilation sein."

Über allem steht die "nationale Identität"

Über allem steht also, sowohl für die NRW-AfD unter Renner als auch für die ostdeutsche AfD Poggenburgs, der Schutz der nationalen Identität. Sie betonen immer wieder, Patriotismus nicht als Nationalismus verstanden wissen zu wollen. Dass sie die deutsche Kultur in Deutschland eben für schützenswert halten. Andere nicht. Eine Multi-Kulti-Nation ist für den 61-jährigen Renner ein Widerspruch.

Wie Poggenburg hält auch er sich für einflussreich - als Gründungsmitglied der Partei mit langjähriger Erfahrung als Unternehmensberater und Kirchenvorstand. Laut Renner wird sein Entwurf vom Großteil der NRW-AfD getragen, Poggenburg wird wohl für den Bundesantrag stimmen. Inwiefern das am Wochenende auch mit anderen Entwürfen und all den Änderungsanträgen vereinbar ist, unter welchen Grundsätzen die Partei die deutsche Identität letztendlich schützen will und ob sie dazu auch einen harten Anti-Islam-Kurs fahren wird, ist noch unklar. Mit Parteitagen wie diesem ist es wie mit dem Wetter. Es gibt nur Prognosen.

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