Prognose deutlich erhöht Bundesregierung erwartet bis zu 800.000 Flüchtlinge

Berlin · Die Bundesregierung hat ihre Prognose für die Zahl der Flüchtlinge, die sie in diesem Jahr erwartet, im Vergleich zum Frühjahr auf 800.000 verdoppelt. Auf eine so "drastische und unvorhersehbare Entwicklung" habe man sich nicht vorbereiten können, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch nach einem Gespräch mit den Ländern.

So verteilen sich Flüchtlinge auf Europa
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Foto: Köhlen, Stephan (TEPH)

Der Minister kündigte an, für die Versorgung der Flüchtlinge in der kommenden Woche einen Koordinierungsstab von Bund und Ländern einzusetzen. "Es ist Zeit, neue Wege zu gehen. Es ist Zeit für pragmatische Lösungen", sagte de Maizière. Die Prognose ist derart in die Höhe geschnellt, weil sich der Bund entschlossen hat, nicht mehr die Zahl der Asylanträge zu bewerten, sondern die tatsächlichen Neuankömmlinge zu zählen.

Da die Behörden nicht nachkommen, dauert es oft Wochen, bis überhaupt ein Antrag gestellt ist. Die Zahl der Flüchtlinge ist zudem gerade in den vergangenen Wochen in die Höhe geschnellt. Allein im Juli sind knapp 83.000 Menschen eingereist. Üblicherweise erhöht sich die Zahl der Schutzsuchenden in der zweiten Jahreshälfte noch einmal.

De Maizière betonte, Deutschland sei mit der Zahl der Flüchtlinge herausgefordert, aber nicht überfordert. Er verwies auch darauf, dass jeder Flüchtling das Recht auf ein faires Verfahren habe und darauf, nicht beleidigt oder angegriffen zu werden.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte unserer Redaktion, zur Bewältigung der Flüchtlingskrise bedürfe es einer "nationalen Kraftanstrengung, bei der auch der Bund die Kommunen bei der längerfristigen Unterbringung von Flüchtlingen unterstützen muss". Er forderte zudem eine "neue Flüchtlingsordnung in Europa". Das bisher geltende Dublin-Abkommen, wonach der Staat, in den ein Asylbewerber zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss, sei kollabiert

In diesen Punkten sind sich Union und SPD weitgehend einig. Differenzen gibt es in der Frage, wie die Flüchtlinge finanziell ausgestattet werden. Unionsfraktionsvize Thomas Strobl forderte eine "konsequente Umstellung auf Sachleistungen". Dem widersprach Oppermann: "Ich setzte auf schnellere Verfahren, anstatt Flüchtlingen das Taschengeld zu kürzen." Der springende Punkt sei doch, dass nur für einen Monat Taschengeld gezahlt werden müsste, wenn das Anerkennungsverfahren eben nur einen Monat dauere und nicht fünf Monate.

Die Regierung will die Zahl der Plätze in Erstaufnahme-Einrichtungen von 45.000 auf bis zu 150.000 erhöhen. Asylbewerber vom Westbalkan, die praktisch keine Chance auf Anerkennung haben, sollen in den Erstaufnahme-Einrichtungen bleiben und nicht mehr auf die Kommunen verteilt werden. Für den Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte sollen die Standards sinken. Damit wird sich ein Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen am 24. September beschäftigen.

Der Städte- und Gemeindebund NRW sieht für die Koordinierung des Flüchtlingsandrangs auch den Bund direkt in der Pflicht. Das Präsidium verabschiedete am Mittwoch ein Positionspapier, wonach der Bund "unverzüglich große zentrale Einrichtungen für die Erstaufnahme" schaffen solle. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) erhöhte die Prognose für das Land gestern auf 170.000 Flüchtlinge, die 2015 kommen.

(qua)
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