Barbara Rütting Bundestagskandidatin, Umweltschützerin, 89 Jahre alt

Düsseldorf · Barbara Rütting hat mit Klaus Kinski Filme gedreht, ein eigenes Brot auf den Markt gebracht und sich festnehmen lassen. Nun tritt die 89-Jährige als älteste Bundestagskandidatin an – für eine Partei, die deutlich unbekannter ist als sie.

 Barbara Rütting hängt mit einem Parteifreund ihr Wahlplakat auf.

Barbara Rütting hängt mit einem Parteifreund ihr Wahlplakat auf.

Foto: Daniel Peter

Barbara Rütting hat mit Klaus Kinski Filme gedreht, ein eigenes Brot auf den Markt gebracht und sich festnehmen lassen. Nun tritt die 89-Jährige als älteste Bundestagskandidatin an — für eine Partei, die deutlich unbekannter ist als sie.

Wer Barbara Rütting ein Foto vorlegt, das sie zusammen mit Klaus Kinski zeigt, dem erzählt sie eine ganz andere Geschichte. Die von ihrer Festnahme. Markus Lanz blendet das Foto im Dezember 2016 in seiner Sendung ein, damit der Zuschauer sieht, mit wem Rütting vor der Kamera gestanden hat. Doch Rütting berichtet erst mal nicht von Kinski, sondern von einem Tag zwei Jahre zuvor, als sie vor dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel gegen die dort stationierten amerikanischen Atombomben protestierte. Sie wollte festgenommen werden wie andere Demonstranten auch, doch die Polizisten sagten, sie habe nichts gemacht. Der erste Polizist habe gesagt: Meine Frau hat Ihre Kochbücher. Der zweite: Meine Kinder sind auch Tierschützer. Und der dritte: War denn Klaus Kinski wirklich so ein Ekel? Danach betrat Rütting das Sperrgebiet und wurde endlich festgenommen.

Barbara Rütting hat wie alle Menschen nur ein Gesicht, doch je nach Standpunkt sieht man darin einen völlig anderen Menschen. Die frühere Schauspielerin. Die kämpferische Umweltschutzaktivistin. Die Botschafterin für gesunde Ernährung. Eine 89-jährige Frau mit zu vielen Flausen im Kopf. Rütting taugt zum Spott und zur Verklärung. Und für eine beinahe unbekannte Partei als Zugpferd. Am 24. September tritt sie für die V-Partei³ bei der Bundestagswahl an, eine Umwelt- und Tierschutzpartei. Sie ist die älteste Kandidatin Deutschlands, Platz 2 auf der Landesliste in Bayern. "Ich will keine Karriere mehr machen", sagt sie. Aber auch den jungen Kandidaten rät sie von einer Laufbahn in der Politik ab: "Nach meinen Erfahrungen musst du Dich entscheiden, ob du Karriere in einer Partei machen oder ein guter Mensch bleiben willst — beides zusammen klappt nicht!"

Sie hat mehrere Bücher über ihr Leben geschrieben

Rütting ist eine Frau, die die Welt verändern möchte, die aber auch sich selbst immer wieder verändert hat. Sie hat nicht eines, sondern mehrere Bücher über ihr Leben geschrieben. Rütting wird 1927 geboren, wächst in einem brandenburgischen Dorf auf. "Wir hatten weder Telefon noch Waschmaschine, geschweige denn Fernsehen oder ein Auto, nur ein paar klapprige Fahrräder, ein Plumpsklo im Hof", sagt sie, "aber Paddelbootfahrten auf der Nuthe, Störche und Frösche, abends machten wir Hausmusik — in Wietstock war die Welt eine bessere als heute."

Sie lernt Fremdsprachenkorrespondentin, wird dann aber Schauspielerin. 1952 debütiert sie in dem Film "Postlagernd Turteltaube". Sie spielt die Geierwally, sie spielt in Edgar-Wallace-Verfilmungen, sie wird zum Star. Doch das reicht Rütting nicht. "Ich hatte schon als Kind das Gefühl, mitverantwortlich dafür zu sein, dass es der Erde, Menschen und Tieren gut geht, dass ich ein kleiner, aber wichtiger Teil eines großen Ganzen bin", sagt sie.

 Barbara Rütting (rechts) mit der Schauspielerin Christine Kaufmann und Hollywood-Star Kirk Douglas 1960 - zusammen spielten sie damals in dem Film "Stadt ohne Mitleid".

Barbara Rütting (rechts) mit der Schauspielerin Christine Kaufmann und Hollywood-Star Kirk Douglas 1960 - zusammen spielten sie damals in dem Film "Stadt ohne Mitleid".

Foto: dpa

1958 nimmt sie an ihrer ersten Demo teil, in München gegen die Wiederbewaffnung der Bundeswehr. In den 80ern stellt sie die Schauspielerei ein, zu ich-bezogen ist ihr die Branche, und schneidet ihre langen dunklen Haare ab, weil für Haarfärbemittel Tierversuche gemacht werden. "Damit habe ich auch die Karriere abgeschnitten", sagte sie in einem Interview. Dabei hat sie längst eine neue begonnen. Als Aktivistin für Tier- und Umweltschutz. 1982 kettet sie sich an die Tore des Pharmakonzerns Schering in Berlin, weil dieser Tierversuche durchführt. Im selben Jahr tritt sie einer neuen Partei bei, den Grünen. Die wird sie allerdings 17 Jahre später verlassen, als die Grünen im Bundestag dem Militär-Einsatz im Kosovo zustimmen. Rütting ist Pazifistin.

Geld verdient sie nach ihrer Schauspielkarriere mit ihren Ernährungsbüchern über Vollwertküche. Noch heute erinnern sich Menschen an den Brei, den ihnen besorgte Mütter aufgetischt haben, oder das Barbara-Rütting-Brot, ein Bio-Vollkornbrot mit Kümmel, Fenchel und Koriander. Lange bevor es hip wird, grün zu sein, setzt sie sich für gesunde Ernährung ein. "Einer muss zu früh sein, und ich war zu früh", sagte sie jüngst in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk.

Das Mandat gibt sie nach Burnout zurück

Doch auch das reicht ihr nicht. Weil sie die Hoffnung hat, dass die Grünen mit Renate Künast wieder stärker auf Tierschutz setzen, tritt sie erneut der Partei bei, kandidiert 2003 sogar für den bayerischen Landtag und zieht mit 75 tatsächlich ein — auch wenn die Grünen sie nach ihrer eigenen Aussage bloß als Zugpferd brauchten, aber nicht als Landtagspolitikerin. Sie erlebt eine frustrierende Zeit, weil sie nichts durchsetzen kann. 2009 gibt sie ihr Mandat nach einem Burnout zurück, kurze Zeit später verlässt sie die Partei zum zweiten Mal, nachdem ausgerechnet Renate Künast vor laufender Kamera einen Fisch erschlagen hat. Damals ist sie bereits Vegetarierin, später wird sie zur Veganerin. "Ist für die Tiere jeden Tag Treblinka?", hat sie ein Kapitel in einem ihrer Bücher überschrieben, ein Zitat des jüdischen Literaturnobelpreisträger Isaac Singer, und rückt damit das Töten von Tieren in die Nähe des Holocausts.

Doch ihr Engagement stellt sie nach dem Austritt nicht ein. Im Januar 2017 erzählt ihr eine Bekannte von einer neuen Partei, der V-Partei³. Das V steht für Veränderung, Vegetarier und Veganer. Die Partei will, was sie auch will. "Ich habe sofort in der Parteizentrale angerufen, und am nächsten Tag waren vier oder fünf der Gründungsmitglieder bei mir zuhause zum Frühstück und baten mich, zu kandidieren — obwohl ich sagte: Leute, ich werde im Herbst 90!"

Angetrieben wird sie auch durch ein Versprechen, das sie einst einem Eisenbahner gegeben hat. Dieser musste Käfige mit Tieren umladen, die für Laborversuche bestimmt waren. "Wenn ich meinen Mund aufmache, verliere ich nur meinen Job, wenn Sie als Prominente Ihren Mund aufmachen, hört vielleicht einer hin", soll dieser gesagt haben. Damals habe sie sich geschworen, den Mund aufzumachen für alle Lebewesen, die gequält und nicht gehört werden. "Das tue ich und werde ich tun, bis ich umfalle."

(seda)
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