Zweitstimmenkampagne spaltet die Partei Braucht die FDP die "Gnade" der Union?

Berlin · Das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vor Augen, ist in der FDP Streit um die Strategie für die letzten Tage vor der Bundestagswahl ausgebrochen. Wolfgang Kubicki will nicht von der "Gnade der Union" abhängig sein. Der Parteinachwuchs kritisiert die "Anbiederung" der Parteispitze.

Die Parteizentrale setzt auf einen massiven Zweitstimmenwahlkampf. "Die Kanzlerin weiß doch auch, dass ohne FDP die Tage ihrer Kanzlerschaft gezählt wären", erklärte Spitzenkandidat Rainer Brüderle.

Doch die Losung "Mit der Zweitstimme FDP wählen, damit Merkel Kanzlerin bleibt" erinnert viele Liberale fatal an 1994. Die Generation des jetzigen Außenministers Guido Westerwelle hatte die damalige Devise "FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt" als absoluten Tiefpunkt des liberalen Selbstbewusstseins erlebt. Noch vor einem Jahr beschrieben die Liberalen diesen Slogan als traumatisierendes Erlebnis. "Nie wieder" dürfe dies passieren, lautete damals der Schwur.

Nun ist es doch wieder passiert. Mit Blick auf die damit verknüpfte Zweitstimmenkampagne verrenken sich die meisten Spitzenliberalen in ihren Stellungnahmen. Nicht so Schleswig-Holsteins Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki. Als das Präsidium unter dem Schock des 3,3-Prozent-Abschneidens in Bayern am Montag das massive Werben um Leihstimmen beschloss, setzte sich Kubicki davon ab und warnte ausdrücklich. Er wolle nicht "von der Gnade der Union" in den Bundestag einziehen.

Prompt verweigert sich sein Landesverband den Wahlkampfvorgaben der Bundespartei. Weder werde man "Jetzt geht's ums Ganze" plakatieren noch Absprachen mit der CDU über eine Erst- und Zweitstimmenverteilung treffen. Parteichef Philipp Rösler hat rund 80 Wahlkreise angeschrieben, die dafür infrage kämen. In Bonn haben die Verantwortlichen von CDU und FDP bereits vereinbart, dass die CDU um die Erststimme wirbt, die FDP um die Zweitstimme. Ähnliche Verhaltensmuster werden aus Heidelberg und Münster gemeldet.

Kritik kommt auch vom Euro-Rebellen Frank Scheffler: "Die FDP muss selbstbewusst auftreten und darf sich nicht kleinmachen." Die Partei habe hervorragende Direktkandidaten, die es verdient hätten, mit Erststimme gewählt zu werden. Klar auf Distanz geht auch der Chef der Jungen Liberalen, Lars Becker. "Wir Julis sehen Anbiederungen an die anderen Parteien und Zweitstimmenkampagnen schon immer kritisch", sagte er. Kubicki sei einer der erfolgreichsten Wahlkämpfer. Deshalb sei durchaus verständlich, wenn er die Kampagne kritisiere.

Einen anderen Akzent setzt Bundesvize und NRW-Parteichef Christian Lindner, wenn er für sich reklamiert, "selbstbewusst um die Zweitstimme für die einzige und eigenständige liberale Partei" zu werben. Die FDP wende sich nicht an die CDU-Zentrale, sondern an "freiheitsliebende Menschen". Lindner verweist dabei auf Friedrich Merz, der in der CDU keine Rolle mehr spielt, und auf Wolfgang Clement, der aus der SPD ausgetreten ist: "Wer früher Merz oder Clement gewählt und heute politisch heimatlos ist, dem machen wir ein Angebot."

Der Neusser Außenexperte Bijan Djir-Sarai findet die ganze Debatte "eigenartig". Die Liberalen hätten als eigenständige Kraft doch von Anfang an um die Zweitstimme gekämpft. Er verweist zudem darauf, dass bei Rot-Grün ebenfalls von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werde und Wähler zu "strategischen" Entscheidungen ermuntert würden. Viele Jahre konnten so tatsächlich die Gewichte verstärkt werden. Bekam eine große Partei viel mehr Erst- als Zweitstimmen, erhöhte das die Chance auf Überhangmandate. Das neue Wahlrecht orientiert sich bei der Ermittlung der Machtverhältnisse aber nur noch an den Zweitstimmenanteilen.

Die Liberalen legten derweil Bedingungen für eine Neuauflage von Schwarz-Gelb vor. Dazu gehören die Senkung des Solidaritätszuschlags, eine konsequente Schuldentilgung, die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung und eine Abkehr von der bisherigen Ökostrom-Förderung. Das geht aus einem Strategie-Papier Brüderles hervor, das mit Rösler abgestimmt wurde.

Die neuesten Umfragen sehen indes neue Probleme für eine FDP-Regierungsbeteiligung. Laut Insa-Institut für "Bild" kommt die FDP wieder auf sechs Prozent, doch nun ist auch die eurokritische "Alternative für Deutschland" mit fünf Prozent dabei — und damit wären sowohl Schwarz-Gelb (44) als auch Rot-Rot-Grün (45 Prozent) ohne Mehrheit.

(RP)
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