Wolfgang Schäuble im RP-Interview "Rentenalter nicht für alle Zeit festgemauert"

Berlin · Der Bundesfinanzminister spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Rente mit 67, seine Pläne zur Entlastung junger Familien und die Zukunft der Europapolitik.

 Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Foto: Jana Bauch

Eigentlich wollten wir Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Mönchengladbach treffen. Doch der Terminkalender des 74-Jährigen war derart voll, dass wir bereits morgens ins Berliner Ministerium eilten. Dort empfing uns ein gut gelaunter Hüter der Staatsfinanzen. Er machte nicht den Eindruck, als wolle er nach der Wahl kürzertreten.

Herr Schäuble, bei dieser Bundestagswahl ist bereits die Hälfte der Wähler älter als 52 Jahre. Machen die Parteien jetzt nur noch Politik für die Älteren?

Schäuble Nein, das wäre ja ganz falsch. Wir machen Politik für die Zukunft unseres Landes, und die betrifft die jungen Menschen länger und noch mehr als die Älteren. Wir machen Politik für alle Teile der Bevölkerung. Außerdem dürfen Sie älteren Wählern nicht unterstellen, dass diese bei ihrer Wahlentscheidung nur an sich denken. Auch ältere Leute sorgen sich um die Zukunft, insbesondere um die ihrer Kinder und Enkel.

Aber mit der Rente ab 63 und der Mütterrente haben wir einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie sehr die Alterung die Politik beeinflusst.

Schäuble Es war richtig, dass wir bei der Mütterrente Erziehungsleistungen stärker berücksichtigt haben. Nun ist es aber auch gut.

Bundestagswahl 2017: Wolfgang Schäuble spricht im Interview über Kindergeld, Rente und Europa
Foto: Jana Bauch

Noch mal werden Sie die Mütterrente nicht erhöhen, wie die CSU es will?

Schäuble Wir haben jetzt einen vernünftigen Ausgleich zwischen Älteren und Jüngeren erreicht und wollen nun in der nächsten Wahlperiode die Leistungen für Familien verstärken. Unser Ziel ist noch mehr Hilfe für jüngere Menschen, so dass sie Beruf und Familie durch mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten vereinbaren können.

Das wollen andere Parteien doch auch. Was bieten Sie sonst noch für Familien mit Kindern in der nächsten Wahlperiode?

Schäuble Wir wollen das Kindergeld um 25 Euro pro Monat erhöhen, das sind 300 Euro im Jahr. Der Kinderfreibetrag soll entsprechend angehoben werden. Wir wollen in zwei Stufen erreichen, dass das steuerfreie Existenzminimum für Kinder genauso hoch ist wie für Erwachsene. Der erste Schritt soll gleich zu Beginn der Legislaturperiode kommen, also möglichst schon 2018. Der zweite Schritt soll bis zum Ende der Wahlperiode erfolgen.

Wie hoch liegt das Entlastungsvolumen insgesamt bei Kindergeld und Freibetrag?

Schäuble Durch die Anhebung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags entlasten wir Familien am Ende durch beide Schritte um rund acht Milliarden Euro im Jahr. Bei solchen Summen muss der Finanzminister schon tief Luft holen. Weil ich aber persönlich für diese Pläne geworben habe, bin ich fest davon überzeugt, dass wir das gut aus dem Haushalt finanzieren können.

Der demografische Wandel wird weitere Veränderungen im Rentensystem nötig machen. Muss die längere Lebenserwartung an das Renteneintrittsalter gekoppelt werden?

Schäuble Wir erhöhen das Renteneintrittsalter bereits schrittweise bis 2030 auf 67 Jahre. Deswegen werden wir uns jetzt nicht in eine öffentliche Schlacht darüber begeben, was danach passieren soll. Es ist ungewiss, wie viele Menschen in Deutschland 2030 leben, wie alt sie sein werden, wie viele Beschäftigte es geben wird, welches Wachstum wir bis dahin haben. Deshalb käme eine solche Diskussion jetzt zur Unzeit. Klar ist auch: Es entspricht einer gewissen Denknotwendigkeit, dass bei weiterhin steigendem Lebensalter die Altersgrenze in der Rentenversicherung nicht für alle Zeiten festgemauert stehen bleiben kann.

Soll die von der Union geplante Rentenkommission auch über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit reden?

Schäuble Wenn man nach der Wahl eine Kommission einsetzt, sollte diese über alle relevanten Fragen nachdenken dürfen.

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Brauchen wir perspektivisch auch mehr Steuerzuschüsse für die Rente?

Schäuble Unsere Rente wird zu einem Drittel von den Arbeitnehmern, zu einem Drittel von den Arbeitgebern und zu einem Drittel von den Steuerzahlern über die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt finanziert. Dieses System hat sich bewährt, wir sollten es nicht aufgeben, indem wir den Steuerzuschuss hochfahren. Die Steuerzahler sind doch in der Regel auch die Beitragszahler. Die Rentendebatte unserer politischen Konkurrenz ist verlogen: Es wird den Menschen erzählt, das Rentenniveau dürfe nicht weiter sinken, aber man tut gleichzeitig so, als koste das nichts. Dieses Maß an Unehrlichkeit im Wahlkampf finde ich unseriös.

Warum sind Sie beim Soli-Abbau so wenig ehrgeizig?

Schäuble Ich bin immer ehrgeizig. Aber Sie müssen auch berücksichtigen: Wir brauchen mehr Geld für junge Familien. Wir müssen investieren. Wir wollen untere und mittlere Einkommen entlasten, indem wir den zu raschen Anstieg der Steuerprogression bei der Lohn- und Einkommensteuer bremsen. Wir werden auch den Soli schrittweise abbauen. Aber es ist keineswegs so, dass wir die Leistungen des Bundes für die Ost-Länder auf einen Schlag stark zurückfahren können.

Ökonomen und viele Bundespolitiker sagen, der Staat werde in Zukunft wachsende Überschüsse erwirtschaften, er schwimme im Geld.

Schäuble Diese Leute übersehen, dass der Staat rund 2000 Milliarden Euro Schulden hat. Dieselben Leute sagen auch, dass wir jede Menge mehr Geld für Soziales und Investitionen ausgeben sollten. Diese Leute wissen nicht, dass eine nachhaltige Finanzpolitik die Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum ist.

Wenn Sie nicht mehr Finanzminister wären in der nächsten Periode, droht dann nicht die Vergemeinschaftung der Schuldenhaftung in Europa?

Schäuble Ich werbe schon immer und so lange ich kann für Folgendes: Wer ein starkes Europa will, darf die Schuldenhaftung solange nicht vergemeinschaften, solange die Verantwortung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik bei den EU-Mitgliedstaaten liegt. Denn wer die Entscheidungen trifft, muss auch für die Folgen haften - sonst entstehen falsche Anreize.

Fürchten Sie nicht, dass der französische Präsident Emmanuel Macron die Schuldenhaftung durch die Hintertür vergemeinschaften will?

Schäuble Macron hat sich ausdrücklich gegen Eurobonds ausgesprochen, die eine Gemeinschaftshaftung bedeuten würden. Insofern unterscheidet er sich von Herrn Gabriel und Herrn Schulz.

Aber Macron möchte zwei bis drei Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts - wir reden von einem dreistelligen Milliardenbetrag - in ein neues EU-Investitionsbudget packen.

Schäuble Wir haben ja schon den Juncker-Fonds mit nunmehr 500 Milliarden Euro für EU-Investitionen. Wenn Sie die schleppende Ausschöpfung des Fonds ansehen, stellen Sie fest, dass nicht mangelnde Finanzierung das Problem ist, sondern der Mangel an sinnvollen und rentablen Investitionsprojekten.

Die Bundeskanzlerin hat bei den letzten beiden Regierungsbildungen darauf geachtet, dass die Union den Finanzminister stellt. Sollte sie das fortsetzen?

Schäuble In den zwei Legislaturperioden, in denen ich durch das Vertrauen von Angela Merkel Finanzminister sein durfte, wurde für unser Land einiges erreicht. Der Rest der Welt beneidet uns ein bisschen um unsere wirtschaftliche Lage. Im Übrigen sollten wir die Entscheidung der Wähler abwarten.

Das Gespräch führten Eva Quadbeck und Birgit Marschall.

(qua, mar)
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