Bundestagswahl Nach der Feier holt Merkel die Pflicht ein

Berlin · Die dritte Amtszeit der Kanzlerin dürfte holprig werden. Die SPD gibt sich widerspenstig. Und Merkels eigene Agenda 2017 ist nicht in Sicht.

Bundestagswahl: Nach der Feier holt Merkel die Pflicht ein
Foto: dpa, Rainer Jensen

Wer auf dem Gipfel angekommen ist, für den kann es nur noch bergab gehen. Angela Merkel, die umjubelte CDU-Chefin und seit Sonntagabend 42-Prozent-Kanzlerin, ist im achten Jahr ihrer Kanzlerschaft zweifellos auf dem Zenit ihrer Macht. Überschwänglich wie nie beglückwünschte CSU-Chef Horst Seehofer gestern Merkel bei der ersten gemeinsamen Fraktionssitzung von CDU und CSU im neu gewählten Bundestag. Traditionell kommt auch der CSU-Chef zu diesem Ereignis nach Berlin.

Doch insgeheim ahnen einige in der Union: Die dritte Amtszeit Merkels könnte ihre schwerste werden. Aus mehreren Gründen. Zunächst, weil die SPD sich partout nicht in ein Bündnis zwängen lassen will. Vor allem NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft entwickelt sich zur Gegenspielerin Merkels. Gestern Nachmittag hatte Krafts Getreuer im Bundestag, der Chef der NRW-Landesgruppe Axel Schäfer, einen Mitgliederentscheid über die Frage einer großen Koalition gefordert. Neben NRW sind auch Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg für eine Mitgliederbefragung. Das würde die Berliner Politik vorerst lahmlegen und Merkels Wahl zur Kanzlerin verzögern. Möglich auch, dass die Basis das Bündnis mit Merkel ablehnt.

Opposition sei keine Schande, sagt dazu Hannelore Kraft. Schon am Montag hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel ein Gesprächsangebot Merkels vorerst abgelehnt. Der Widerstand in den Landesverbänden ist offenbar zu groß. Die NRW-SPD fürchtet reihenweise Parteiaustritte, sollte die SPD in die ungeliebte Koalition mit Merkel gehen. Parteichef Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gelten intern zwar nicht als scharfe Gegner einer großen Koalition, wagen sich aber bislang nicht aus der Deckung.

Für Merkel bedeutet all das: Die SPD wird sich eine Koalition sehr teuer abkaufen lassen. Der Zugriff auf das Finanzministerium gilt bereits als Minimalforderung. Sechs Ressorts müssten mindestens an die SPD fallen, sagt einer aus dem Fraktionsvorstand. Schon beim kleinen Parteitag an diesem Freitag müsse man inhaltliche Bedingungen für Gespräche festzurren, schlägt der SPD-Abgeordnete Hubertus Heil vor. Der Beschluss des NRW-Landesvorstands könnte dafür Grundlage sein. Darin wird eine gerechte Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik sowie eine Stärkung der Kommunen gefordert.

Die Wahlsiegerin Merkel steht vor kniffligen Verhandlungen. Zumal die schwarz-grüne Variante für sie nur die zweitbeste Option ist. Inhaltlich sind die Schnittmengen zwischen Union und den Grünen sehr gering. Offen halten will man sich die Option natürlich trotzdem. "Die wahrscheinlichste Lösung ist die große Koalition, aber wenn sich die Grünen als erstes bewegen, bleiben sie im Spiel", sagt CDU-Bundesvorstandsmitglied Mike Mohring. Im Bundesrat hätte ein solches Bündnis zwar keine Stimme, aber alle rot-grün regierten Länder müssten sich enthalten.

Darüber hinaus muss sich die Kanzlerin Gedanken machen, welche Botschaft, welche Überschrift sie ihrer dritten und vielleicht letzten Amtszeit geben will. Welche gesellschaftlichen Reformen haben für sie und die Union Priorität? Wie wird das Land familienfreundlicher, welche Politik braucht es, damit die Wirtschaft langfristig mithalten kann mit den Boom-Regionen in Südamerika und Asien? Muss es eine neue Föderalismuskommission geben, die das Knäuel der Bund-Länder-Finanzverflechtungen entwirrt? Wie soll ein wettbewerbsfähiges Europa institutionell aussehen?

Und: In der Union wird spätestens in zwei Jahren die Frage auftauchen, ob Angela Merkel 2017 noch einmal antreten oder einen geordneten Übergang organisieren will. Letzteres ist wahrscheinlicher. Dann ist die Nachfolgedebatte eröffnet. Ursula von der Leyen, die innerparteilich wenig geliebte, aber medial geschickte CDU-Vizechefin? Oder doch David McAllister, wie es sich Horst Seehofer wünscht? "In der Ruhe liegt die Kraft", lautet einer von Merkels Lieblingssätzen. Ruhig dürften die nächsten vier Jahre für die Kanzlerin kaum werden.

(brö, may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort