Underdogs im Wahlkampf Piratenpartei will in den Bundestag

Berlin · Sie sind überwiegend männlich, zwischen 18 und 40 Jahre alt. Sie nennen sich Piraten. Anstatt jedoch Frachtschiffe vor Somalia zu kapern, mischen sie mit der Forderung nach digitalen Bürgerrechten die deutsche Parteienlandschaft auf: die Mitglieder der Piratenpartei.

Die Piratenpartei
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Foto: ddp

Der Protest gegen das umstrittene Zugangssperren-Gesetz von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) bescherte der Piratenpartei beträchtlichen Zulauf. Allein in den vergangenen sieben Monaten stieg die Zahl der Mitglieder von etwa 850 auf 4800. Bei der Europawahl erzielte die Partei aus dem Stand 0,9 Prozent der Stimmen. Am Freitag und Samstag zeigt sie mit einem Piratenboot unter dem Motto "Piratenpartei - Klarmachen zum Ändern" auf der Spree Flagge im Regierungsviertel.

Parallele zum Beginn der "Grünen"

Der Vergleich zu den Anfängen der Grünen drängt sich auf. Die bunte Truppe mit langen Rauschebärten und Nickelbrillen erregte vor rund 30 Jahren etwa ebenso viel Verwunderung wie heute die "Nerds" der Piratenpartei, die ohne ihre Laptops verloren scheinen. Ihren ersten Erfolg erzielten auch die Grünen bei einer Europawahl. Noch vor der offiziellen Parteigründung trat die "Sonstige politische Vereinigung Die Grünen" bei den EU-Wahlen an und konnte 3,2 Prozent der Stimmen für sich gewinnen.

Dass die Piraten eine ähnliche Karriere machen könnten wie die Grünen, glaubt Gero Neugebauer, Parteienforscher der Freien Universität Berlin (FU), aber nicht. "Die Piraten sind deshalb nicht die neuen Grünen, weil sie anders als die Grünen nicht aus einer sozialen Bewegung heraus entstanden sind", sagt Neugebauer. Die Grünen seien an einen gesellschaftlich relevanten Konflikt gekoppelt, den zwischen Ökonomie und Ökologie.

Konzentration auf Internetthema

Als weiteres Problem bezeichnet Neugebauer die Konzentration auf ein einziges Thema, nämlich die Freiheit im Netz. "Die Piraten sind eine klassische Ein-Punkte-Partei und sie hoffen darüber Zustimmung von Leuten zu bekommen, die sagen 'Alles andere ist mir wurscht'", sagt Neugebauer. Die Mehrheit der Bevölkerung interessiere sich aber fast gar nicht für digitale Bürgerrechte, sondern vielmehr für Fragen der Arbeitsplatzsicherung oder auch Bildungspolitik. Und noch ein Problem macht Neugebauer aus: "Da fehlen die Personen, mit der sie ein Programm auch bildlich verbinden können."

Ihr inhaltliches Profil will die Piratenpartei eigenen Angaben zufolge stärken. "Unsere Kompetenz steigt mit der Mitgliederzahl", sagt ein Sprecher der Partei. Prominente Köpfe brauche die Piratenpartei hingegen nicht: "Leitfiguren sind in der Politik nicht immer von Vorteil". Als "ernst zu nehmende Partei" will die Piratenpartei die Fünf-Prozent-Hürde knacken und in den Bundestag einziehen. "Aber keine Angst: Wir werden uns nicht enttäuscht zurückziehen, wenn wir dieses ambitionierte Ziel am Ende nicht erreichen", verspricht der Parteisprecher.

Der Blogger Markus Beckedahl verfolgt die Entwicklung der Piraten mit Interesse. In seinem Blog netzpolitik.org setzt er sich seit Jahren für digitale Bürgerrechte und die Freiheit im Netz ein. Er habe nur darauf gewartet, dass die etablierten Parteien das Thema aufgreifen, sagt Beckedahl, der selbst Mitglied bei den Grünen ist. Stattdessen hätten die Parteien geschlafen. "Die Piraten schaffen es, ein Milieu anzusprechen, das keine politische Heimat mehr hatte und sich beim Wählen immer nur auf das kleinste Übel beschränkt hat", sagt Beckedahl.

Marsch durch die Institutionen eher fraglich

Einen Marsch durch die Institutionen traut aber auch er den Piraten nicht zu: "Die Grünen sind erst über Landesparlamente groß geworden. Die Piraten haben keine Themen auf Landesebene", sagt Beckedahl. Netzpolitik werde auf Bundes- oder EU-Ebene gemacht. Bei den Grünen austreten und Pirat werden, will Beckedahl jedenfalls nicht. "Noch nicht", sagt er.

Die Grünen-Spitze beobachtet die Entwicklung der Piratenpartei mit Gelassenheit. "Wir waren von Anfang eine breite Bewegung mit vielen Themen", sagt der Parteivorsitzende Cem Özdemir. Die Piratenpartei habe ein wichtiges Thema entdeckt, aber es sei eben nur ein Thema. "Ich sehe nicht, was die Piratenpartei einbringen kann, was nicht schon abgedeckt ist", sagt Özdemir. Gerade haben die Grünen im Brüsseler EU-Parlament einen Abgeordneten der schwedischen Piraten in ihre Reihen aufgenommen. Eine Zusammenarbeit "entlang von Themen" schließt Özdemir auch in Deutschland nicht aus, ergänzt aber: "Dass die Partei ins Parlament kommt, sehe ich nicht."

Trotzdem ist die Piratenpartei mehr als nur eine Modeerscheinung, glaubt Parteienforscher Neugebauer: "Solange die Bundestagsparteien keine andere Haltung zum Internet finden als die, dass sie sagen, das ist auch ein Ort, wo sich Schmutzfinken tummeln können, wird die Piratenpartei weiterhin Aufmerksamkeit und Zustimmung bekommen." Er schätzt, dass sich die Piratenpartei zwischen 0,5 und zwei Prozent der Wählerstimmen einpendeln wird.

(DDP/RPO/felt)
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