Übersicht Pressestimmen zur Bundestagswahl 2021
Die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 sind von vielen Zeitungen kommentiert worden. Wir geben einen Überblick.
Die „Rhein-Zeitung“ aus Koblenz ordnet die Ergebnisse wie folgt ein: „Die gute Nachricht: Ohne die FDP und die Grünen dürfte bei der Regierungsbildung wenig gehen. Gut deshalb, weil sowohl CDU als auch SPD - Scholz hin, Scholz her - nach 16 Jahren Merkel auf ihre jeweils eigene Weise verbraucht sind und frische Impulse brauchen. Die Position der Grünen ist trotz enttäuschter Kanzleramtsträume weiterhin komfortabel, weil sie nach allen Seiten anschlussfähig sind. Auch wenn Rot-Grün-Rot nach Lage der Dinge dort verbleibt, wo es hingehört: in der politischen Geisterbahn. Die FDP ist aktuell der wahre Königsmacher. SPD und Union hängen am Lindner’schen Fliegenfänger. Letztere hat das neben der Unprofessionalität ihres Spitzenkandidaten auch der ewigen Kanzlerin zu verdanken. Sie hat, bei allen Verdiensten, zu lange regiert. Am Ende hat sie ihre eigene Legende der Über-Mutti geglaubt und ihre Partei und das Volk in den Schlafwagen gepackt. Aus dem müssen wir aber heraus, wollen wir nicht unsere Zukunft riskieren.“
„Die CDU wird sich nach den herben Verlusten in der Nach-Merkel-Ära neu finden müssen“, ist die „Nordwest-Zeitung“ aus Oldenburg überzeugt. „Ob das mit Laschet gelingt? In der Partei werden nun der Machtkampf und die Suche nach Schuldigen für das Wahl-Debakel mit voller Wucht ausbrechen. Vor allem dann, wenn die Union auf die Oppositionsbank muss. Vieles deutet schon jetzt darauf hin, dass es so kommen könnte - auch wenn Laschet weiter mit dem Mut der Verzweiflung um das Kanzleramt kämpft. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kann da zuversichtlicher sein. Er hat das Feld von hinten aufgerollt und der SPD lange unerwartete Gewinne beschert. Allerdings hat auch er eine Parteiführung im Nacken, die nach dem komplett auf ihn konzentrierten Wahlkampf nun wieder sichtbar werden will. Für Scholz heißt das: Er muss nicht nur Koalitionsverhandlungen mit weit auseinanderklaffenden Ansprüchen führen, sondern auch in der eigenen Partei (s)eine Linie finden.“
Auf den Wahlkampf rekurriert der „Mannheimer Morgen“ und schreibt: „Parteistrategen werden noch lange über diese Wahl grübeln. CDU und Grüne werden sich fragen müssen, wie klug es war, Kandidierende des innerparteilich kleinsten gemeinsamen Nenners aufzustellen. Annalena Baerbock und Armin Laschet werden beantworten müssen, warum sie derart gestolpert sind - Baerbock etwa über ihr in Teilen abgeschriebenes Buch und zu spät gemeldete Nebeneinkünfte, Laschet schlicht über seine erschütternd inhaltlich-strategische Planlosigkeit. Das hält den Unionskandidaten dennoch nicht davon ab, den Regierungsauftrag für ein Jamaika-Bündnis für sich zu reklamieren. Alles andere wäre auch politischer Selbstmord.“
Grüne und FDP sind nun die beiden Zünglein an der Waage, ist die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ überzeugt: „Aus ihren Wahlergebnissen leiten nun SPD wie auch die Union den Auftrag zur Bildung der Bundesregierung ab. Weil sie nicht noch einmal miteinander koalieren wollen und die Sitze für ein reines Linksbündnis nicht reichen, bleibt sowohl Scholz als auch Laschet nur ein Pakt mit Grünen und FDP. Diese beiden Parteien werden entscheiden, wie der nächste Bundeskanzler heißt. Deutschland stehen Monate mit Koalitionsverhandlungen ins Haus, wie es sie noch nicht gegeben hat. Den Unionsparteien wäre nicht mehr zu helfen, wenn sie sich in dieser Lage nicht (wirklich) geschlossen hinter ihren Kanzlerkandidaten stellten und ihn so stärken würden wie nur irgend möglich. Ersten Äußerungen nach hat das sogar die CSU erkannt.
„Auch mit der gewahrten Option aufs Kanzleramt ist das desaströse Ergebnis der Union eine Bruchlandung, aber wenigstens kein Totalschaden für den Spitzenkandidaten Armin Laschet“, schreibt der „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wie stark seine Position sein wird, hängt auch von seinem auf Krawall gebürsteten Widersacher Markus Söder ab. Dem geschwächten NRW-Ministerpräsidenten steht mithin erneut eine parteiinterne Zerreißprobe bevor. Schafft er es am Ende nicht, ein Regierungsbündnis zu schmieden, dürfte seine politische Karriere beendet sein. Ampel oder Jamaika? Auf dem langen Weg dahin kommt es für die Verhandlungsführer auf die Kunst des Zugeständnisses, des Kompromisses und der Gesichtswahrung. Der König der Sondierer wird am Ende auch der Kanzler sein.“
Eine besondere Analogie zeichnet die „Schwäbische Zeitung“ aus Ravensburg: „Seit knapp 20 Jahre gibt es das Speed-Dating. In kürzester Zeit sollen sich neue Beziehungspartner finden. In der Politik gibt es kein solches Verkupplungsverfahren, auch wenn seit Sonntagabend vier potenzielle Partner auf der Suche nach einem stabilen Verhältnis sind. Zwei Männer können Bundeskanzler werden. Sie müssen mit Versprechungen und Kompromissfähigkeit ihre mögliche Bräute überzeugen. Olaf Scholz hat mit seiner Kandidatur die Sozialdemokraten wieder stark gemacht. Er ist der Wahlgewinner. Armin Laschet hat mehr Zuspruch erhalten, als noch vor wenigen Wochen die Umfragen für möglich gehalten haben. Dabei ist es in wenigen Wochen zweitrangig, ob das jetzige Ergebnis als Enttäuschung bei der Ökopartei wahrgenommen wird. Die grünen Unterhändler werden sich schnell fangen und klare Forderungen stellen. Auch die für ihre Verhältnisse starke FDP weiß, dass sie diesmal nicht schroff die Anbandelversuche zurückweisen darf. Optionen gibt es viele. Scholz und Laschet sind gefordert.“
Die „Süddeutsche Zeitung“ aus München kommentiert den Wahlausgang so: „All die SPD-Bundestagskandidaten, für die ein Mandat monatelang illusorisch war und die es nun doch geschafft haben, dürften noch eine Zeitlang in Olaf Scholz ihren Helden sehen. Der Unterschied zwischen 2017, dem Schulz-Effekt, und 2021, dem Scholz-Effekt, ist ja, dass letzterer gehalten hat. Aber über eine Koalition stimmen in der SPD keine dankbaren Schrodis ab, sondern die Mitglieder – die Scholz weniger verpflichtet sind und sich womöglich einreden, dieses schöne Kanzleramt nütze doch nichts, wenn in Wahrheit der Finanzminister Christian Lindner die Richtlinien der Politik bestimmt. Gegen sie kann Scholz keine Ampel durchsetzen, und im Kleinkriegen ihrer Anführer war die SPD schon immer gut.“
Die „Badische Zeitung“ aus Freiburg schreibt: „Es war bemerkenswert, dass FDP-Chef Christian Lindner den Grünen noch am Wahlabend Gespräche anbot. Noch bemerkenswerter war allenfalls, dass Annalena Baerbock die Offerte prompt annahm. (...) Solche Sondierungen zwischen kleineren, potenziellen Partnern wären früher undenkbar gewesen. Wer weiß, womöglich zeichnet sich hier schon der erste Wandel in der politischen Kultur ab, den dieses Wahlergebnis erzwingt.“
„Kurzum, es ist kompliziert“, schreibt die „Ludwigsburger Kreiszeitung“. „Denn die Zeit der Zweiparteienregierung in Deutschland ist vorbei. Und in den nächsten Jahren geht es um viel, was die Bürger unmittelbar betrifft. Unabhängig davon, welche Parteien die nächste Regierungskoalition bilden werden: Die Herausforderungen durch die fortschreitende Digitalisierung, die Klimaschutzmaßnahmen und den Strukturwandel in der Wirtschaft sind groß. Der knappe Wahlausgang zeigt, dass die Bürger unsicher sind, wer sie am besten meistern kann.“
„Die Glocke“ aus Oelde ordnet ein, worauf es bei der Regierungsbildung jetzt ankommen wird: „Mit dem gestrigen Abend ist offen, wer der nächste Bundeskanzler wird. Sowohl CDU/CSU als auch SPD können eine Regierungsmehrheit bilden. Beide werben um die gleichen Partner. Jetzt wird es darauf ankommen, wer den "Königsmachern" Grüne und FDP die attraktiveren Zugeständnisse macht. Unabhängig davon, wie Sondierungen ausgehen, muss sich die CDU neu aufstellen, wenn sie zu früherer Stärke zurückfinden will.“
Für ein Bündnis zwischen Union und Grünen sieht die „Rhein-Neckar-Zeitung“ aus Heidelberg keine Chancen mehr: „Diese Ausgangslage - Scholz führt die SPD nach oben, Laschet die Union in eine historische Niederlage - stärkt erst einmal die Sozialdemokraten beim Ringen um das Kanzleramt. Sie können mit Grünen und FDP guten Mutes Koalitionsgespräche führen, wobei die ebenfalls erfolgreichen Liberalen sich sehr viel Mühe geben müssten, zu begründen, weshalb ein Bündnis mit Union und Grünen erfolgversprechender sein soll, als die klassische Ampel mit SPD, Grünen und FDP. Die Grünen-Basis wird außerdem kaum auf einem Parteitag einem Koalitionsvertrag mit der Wahlverliererin Union zustimmen. Das ist nahezu ausgeschlossen.“
„Die SPD wird versuchen, der FDP ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen kann“, glaubt das „Handelsblatt“ aus Düsseldorf. „Scholz wirbt mit Vertrauen und dem Versprechen, sich an Absprachen zu halten. Er weiß um das Trauma der FDP, die sich von Merkel hintergangen fühlte. Laschet wiederum muss die Grünen überzeugen, dass sie bei ihm besser aufgehoben sind als bei den Sozialdemokraten. Sein Balanceakt wird schwieriger sein als der von Scholz. Laschet darf den Grünen nur so viel bieten, dass die FDP nicht abwinkt. Es muss aber so viel sein, dass die Grünen mit ihm und der FDP regieren wollen. Am Ende dieses historischen Tages gilt deshalb: Der Vorhang ist gefallen, und alle Fragen sind offen.“
Die „Leipziger Volkszeitung“ glaubt: „Sicher ist: Es wird ein Neustart, so und so. Die Drohkulisse, es sei mit diesem oder jenem Kandidaten bloß eine Manifestierung des Bestehenden, wird sich schnell als Wahlkampfgetöse entblättern. Denn alle Parteien sind sich einig: Es muss viel passieren in diesem Land. Vor allem die Grünen und/oder die FDP werden innerhalb einer neuen Regierung bei ihren Kernthemen stupsen.“
Sie interessieren sich für unsere Kommentare zur Bundestagswahl? Hier eine Auswahl:
Bundestagswahl 2021: Ein Votum für ein Weiter so – aber wie?