Umfrage vor der Bundestagswahl Junges Deutschland, was wählst du?

Es heißt immer: Die Alten entscheiden die Wahl. Aber wie würde ein Wahlergebnis aussehen, wenn nur Menschen bis 30 Jahre wählen würden? Unsere Autorin war auf dem Kirchentag, bei einem Sport-Event und bei einem Festival unterwegs und hat junge Wähler ihr Kreuz machen lassen. Das Ergebnis verblüfft.

 Wie wählen die jungen Deutschen? Unsere Reporterin hat Wähler bis 30 Jahre befragt - auch bei Rock am Ring. (Archivbild, Juni 2017)

Wie wählen die jungen Deutschen? Unsere Reporterin hat Wähler bis 30 Jahre befragt - auch bei Rock am Ring. (Archivbild, Juni 2017)

Foto: dpa, tfr soe

Bei der letzten Bundestagswahl lag die Wahlbeteiligung mit fast 80 Prozent in der Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen mit Abstand am höchsten. Von den unter 30-Jährigen gingen lediglich 62,3 Prozent zur Wahl, ihre Altersgruppe lag damit deutlich unter Durchschnitt. Ein ähnliches Szenario blüht uns laut Wahlforschern nun 2017.

Nach all den politischen Rechtsruck-Momenten des vergangenen Jahres (Brexit, Trump, AfD-Einzug in mehrere Landesparlamente) wäre es fatal, wenn für das junge Deutschland auf die Bundestagswahl im September das böse Erwachen folgt. "Wären doch mal mehr junge Menschen zur Wahl gegangen", kann nie, aber besonders in diesem Jahr, keine plausible Ausrede sein. Aber wie ticken die Jungen? Welche Partei wählen sie und welche Themen sind ihnen wichtig?

Da ich nicht einfach von mir (27 Jahre alt, weiblich, studiert, angestellt) auf andere schließen will, bin ich zu Veranstaltungen gegangen, bei denen sich in diesem Sommer viele junge Leute aufgehalten haben. Ich war auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin, bei der Tischtennis-WM in Düsseldorf und bei Rock am Ring in der Eifel und habe die Besucher um eine anonyme Probewahl gebeten. Einzige Kriterien für die Teilnahme: Man sollte maximal 30 Jahre alt und in Deutschland wahlberechtigt sein.

Mit knapp 300 abgegebenen Stimmzetteln ist die Umfrage zugegebenermaßen nicht repräsentativ. Trotzdem gibt das Ergebnis zusammen mit den Gesprächen, die ich am Rande der Umfrage auf den Veranstaltungen mit den Jungwählern geführt habe, einen Eindruck von ihrer politischen Meinung. Ich habe nicht nur gefragt, welche Partei sie wählen würden, wenn Stichtag heute Bundestagswahl wäre, sondern auch, welches Gesetz sie sofort umsetzen würden, wenn sie könnten. Ein bisschen Wunschdenken war also erlaubt.

Die Auswertung zeigt: In ihrer Sympathie für Parteien liegen die befragten Jungwähler gar nicht so weit von dem Bundesdurschnitt entfernt. Fast 30 Prozent würden CDU/CSU wählen, gefolgt von SPD und Grünen. Ausreißer ist die Linke, die unter den Festivalbesuchern von Rock am Ring fast genauso viele Stimmen erreicht, wie CDU/CSU. Erstaunlich ist, was die Ergebnisse im Zusammenhang mit den Gesetzen aussagen, deren Dringlichkeit ebenfalls erfragt wurde.

Demnach befürworten besonders viele junge Wähler die Ehe für alle, ein gebührenfreies Studium sowie kostenfreie Kitas. Auch Konzepte wie das bedingungsloses Grundeinkommen und eine Reichensteuer finden verhältnismäßig großen Anklang. Allesamt eher politisch linke als konservative Ideen. Selbst von den 3,5 Prozent, die sich in der Umfrage als Nichtwähler bezeichnet haben, haben alle zumindest ein Kreuz bei den für sie relevanten Themen gemacht.

Diese zwei Bilder, die sich aus der Umfrage ergeben, passen nicht zusammen: Junge Wähler, die ähnlich wie ihre Eltern- und Großelterngeneration konservativ wählen, aber gleichzeitig mit progressiven und radikalen Ideen sympathisieren. Wo klafft da die Lücke? Ist die Generation Y einfach zu bequem, um sich eine eigene Meinung zu bilden, mutig zu sein und etwas anderes zu wählen als alle anderen? Fühlt sich links wählen genauso extremistisch und falsch an wie rechts wählen?

Oder liegt das Problem eher im Wahlkampf: Erreichen Grüne, SPD und Linke mit ihren Botschaften einfach die falsche Zielgruppe? Oder sind die linken Positionen vielleicht gar nicht mehr so links, wie wir meinen? Ehe für alle und soziale Gerechtigkeit fordern ja inzwischen gefühlt alle irgendwie. Profitieren gerade die Konservativen von diesem diffusen Mischmasch-Gefühl bei Jungwählern? Dazu noch ein sexy Zugpferd wie Christian Lindner oder eine Angela Merkel, die einen irgendwie an die nette Grundschullehrerin von damals erinnert, und fertig ist das politische Paket, das junge Wähler überzeugt? Ist es wirklich so einfach?

Antworten auf diese Fragen kann meine Umfrage nicht liefern. Trotzdem lasse ich sie an dieser Stelle stehen. Als Denkanstoß für jeden jungen Wahlberechtigten in Deutschland.

Wie geht es Deutschland vor der Wahl? Mit dieser Frage im Gepäck haben wir Reporterinnen und Reporter losgeschickt, um Deutschland den Puls zu fühlen. Herausgekommen ist ein Deutschland-Essay. Aufschlussreiche Geschichten aus dem Inneren der Republik. Alle Themen aus dem Projekt Deutschland-Essay 2017 finden Sie hier.

(siev)
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