Nach der Bundestagswahl Wie geht es jetzt weiter?

Berlin · Bundeskanzlerin Angela Merkel beantwortet in der Berliner CDU-Zentrale gut gelaunt die Fragen der Journalisten nach ihrem triumphalen Wahlsieg vom Sonntag. Es werden für lange Zeit die letzten unbeschwerten Tage sein. Denn schon bald stehen schwierige Koalitionsverhandlungen mit SPD oder Grünen an.

Rücktritte bei den Verlierern und erste Koalitionsüberlegungen bei den Siegern kennzeichneten den Tag nach den Bundestagswahlen. FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle zog sich zurück, auch sein Amt als Fraktionschef hat sich nach dem Aus für die Liberalen im Bundestag erledigt. Zugleich legte Parteichef Philipp Rösler sein Amt nieder und machte Platz für NRW-Landeschef Christian Lindner, der die FDP neu aufbauen und 2017 wieder in den Bundestag führen will.

Bei den Grünen stellten alle Mitglieder des sechsköpfigen Bundesvorstands und des 16-köpfigen Parteirats ihre Ämter zur Verfügung. Parteichef Cem Özdemir will sich jedoch der Wiederwahl auf einem Parteitag im Herbst stellen. Seine Co-Vorsitzende Claudia Roth ließ ihre erneute Kandidatur offen, allerdings wird damit nicht gerechnet. Sie habe für sich selbst eine Entscheidung bereits getroffen, die werde sie aber erst den Gremien mitteilen, sagte Roth.

In der Grünen-Fraktion zeichneten sich die Rücktritte der Vorsitzenden Jürgen Trittin und Renate Künast ab. "Wir brauchen eine inhaltliche Erneuerung, aber die muss auch personell glaubhaft vertreten werden", sagte Fraktionsvize Kerstin Andreae. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt schloss eine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz nicht aus. Auch Grünen-Verkehrspolitiker Anton Hofreiter will offenbar antreten. Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck kandidiert dagegen nicht mehr.

Die Sozialdemokraten haben es nicht eilig, mit der Union ein Bündnis einzugehen. Für eine große Koalition gebe es keinen "Automatismus", erklärten mehrere führende Sozialdemokraten. Parteichef Sigmar Gabriel hält die Kanzlerin denn auch noch eine Weile hin. Als Merkel ihn gestern Morgen anrief, erklärte ihr Gabriel, dass die SPD nicht vor ihrem kleinen Parteitag zu Gesprächen bereit sei. Bei diesem Parteikonvent, zu dem am Freitag rund 200 Genossen ins Willy-Brandt-Haus kommen, soll beraten werden, ob die Sozialdemokraten überhaupt in Sondierungen und Koalitionsverhandlungen mit der Union gehen. Noch offen ist, ob es auch inhaltliche Festlegungen zum Beispiel auf einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn geben soll. SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück machte klar, dass für die Partei weiterhin ihr 100-Tage-Programm vorrangig sei. Nur eine Entscheidung soll vor dem Parteikonvent fallen: Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier will sich heute wiederwählen lassen.

In den Führungsgremien der Union herrschte große Freude über eine Vielzahl von "Heldenberichten" (Merkel) über das Abschneiden der Partei in den einzelnen Bundesländern. Zwar kann die Kanzlerin geschäftsführend unbegrenzt im Amt bleiben, doch machte sie unmissverständlich deutlich, dass sie eine baldige stabile Mehrheit anstrebt. Dafür will sie aber Sondierungen nicht nur mit der SPD, sondern auch mit den Grünen vornehmen. CSU-Chef Horst Seehofer machte klar, dass eine große Koalition "naheliegend" sei. Für ein Bündnis mit den Grünen gebe es "überhaupt keine Bereitschaft".

Die Piratenpartei zeigte sich nach ihrem desolaten Abschneiden in "Schockstarre", während die Alternative für Deutschland vorrechnete, bei einem weiteren Anstieg wie im ersten halben Jahr ihres Bestehens binnen zwei Jahren die SPD überholt zu haben. Sie will nun möglichst stark ins Europa-Parlament.

DGB-Vize Annelie Buntenbach erwartet einen Politikwechsel der Kanzlerin: "Das Wahlergebnis verbinde ich mit der Erwartung, dass die Regierung künftig das umsetzt, was die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will, zum Beispiel die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn und die Sicherung der Renten", sagte Buntenbach. Nachdem die Vertreter der "marktradikalen FDP" abgestraft worden seien, gebe es "keine Ausreden mehr".

Die Wirtschaft plädierte für eine Regierung mit möglichst breiter Mehrheit. "Wir setzen auf eine zügige Regierungsbildung und eine stabile Regierung", sagte Handwerkspräsident Otto Kentzler. Auf die Regierung warteten große Herausforderungen. Jetzt komme es an auf "die Bewältigung des demografischen Wandels, die Sicherung der wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, entschlossenes Handeln auf den energiepolitischen Baustellen sowie eine engagierte Bildungspolitik zur Sicherung des Fachkräftebedarfs". Ähnlich äußerten sich Industriepräsident Ulrich Grillo und DIHK-Chef Eric Schweitzer.

(rl/mar/-may/qua)
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