Netzsperren, Datenschutz und Co. Wie Parteien mit Internet-Themen Wahlkampf machen

Düsseldorf (RPO). Virtuelle Stoppschilder, Internet-Ausweis, verletzte Urheberrechte: Wenn im Bundestagswahlkampf die Rede vom Internet ist, dann geht es vor allem um neue Forderungen nach Regulierungen. In der Netzgemeinde führt das vor allem zu Empörung und dem schlimmen Verdacht, dass in den etablierten Parteien vor allem eines herrscht: Unwissenheit.

Das Internet in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien
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Das Internet in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien

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Foto: gms

Natürlich spielen Netzthemen in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien eine Rolle. Doch eine unterschiedliche. Einige Parteien haben ganze Kapitel zu internetpolitischen Themen geschrieben, andere haben zumindest immer mal wieder passende Absätze eingestreut, um grob Positionen anzureißen.

Doch die Berliner Politik hinterlässt den Eindruck, es zu bereuen, sich nicht schon vorher klar positioniert zu haben. Zwar nutzen sie mehr oder weniger eifrig Twitter, Facebook und Co., um ihre Wähler zu erreichen. Doch scheinen die Vorschläge, die derzeit netzpolitisch unterwegs sind, hektisch zusammengezimmert. Selbst der Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder gab zu, dass viele in den Parteigremien "vom Internet wenig Ahnung" haben. Internetpolizei, einen Verhaltenskodex für soziale Netzwerke oder gar ein Ausweis zur eindeutigen Identifikation im Netz. Und immer wieder die Betonung, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Obwohl allen eigentlich klar sein müsste, dass in der virtuellen seit jeher dieselben Regeln wie in der realen Welt gelten.

Als Protest gegen diese Positionen formiert sich nun offener Widerstand. Die Netzgemeinde drückt online ihre Empörung über die Positionen der Politik aus und erreicht damit immer mehr Menschen. Es sind nicht nur die Jungen, es ist eine aufgeklärte Gemeinschaft, die eint, in der Online-Welt groß geworden zu sein. Sie verstehen das Netz als Informationsvermittler, Wissensbündler und Kommunikationsinstrument, mit dem sie sich organisieren — im Job und Privatem und für die Sache.

Als Familienministerin Ursula von der Leyen den Gesetzesvorschlag einbrachte, kinderpornografische Inhalte aus dem Internet zu filtern, war die Überraschung groß, als sich eine nicht geringe Zahl an Internetnutzern gegen sie stellte. Nicht, weil sie - wie viele zunächst dachten, für den Zugang zu Kinderpornografie im Netz sind. Sondern weil sie mit der geplanten Vorgehensweise die Freiheit des Internets in Gefahr sahen. Die von der Ministerin vorgeschlagenen Maßnahmen seien der falsche Weg, weil diese in wenigen Sekunden umgehbar sind. Sie organisierten ihren Protest mit ihren Mitteln und reichten eine Online-Petition ein. Mit Erfolg. Mehr als 134.000 Menschen unterzeichneten — öffentlich und mit vollem Namen. Es war die erfolgreichste Petition in der Geschichte der Bundesrepublik.

Ein weiteres Indiz für den sich langsam organisierenden Protest ist der Erfolg der durchaus umstrittenenen Piratenpartei. Ihre Anhänger setzen sich einzig für eine Reform des Urheberrechts, mehr Informationsfreiheit und besseren Datenschutz ein und erzielten bei der Europawahl Ende Juni in einigen Städten geringe, allerdings durchaus achtbare Ergebnisse. Innerhalb weniger Wochen vervierfachte sich die Mitgliederzahl dieser politischen Gruppierung.

Dass Justizministerin Brigitte Zypries sich nun in einem Interview mit der "Berliner Zeitung" klar gegen die Position des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Wolfgang Bosbach, in Sachen Internetpolizei positionierte, macht zumindest deutlich, dass das Internet auch als Thema angekommen ist.

Fehlt nur noch eine einigermaßen kundige und nach vorne gerichtete Diskussion. Eine Diskussion ohne von Aktionismus geprägten Forderungen. Sondern eine konstruktive, die das Netz in seiner Vielfalt begreift. Von Politikern, die sich den Chancen und Möglichkeiten des World Wide Webs stellen und diese mit Mitteln gestalten und pflegen, die auch im realen Leben üblich sind.

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