Hubertus Heil im Interview "Wir brauchen einen Good-Internet-Kodex"

Düsseldorf (RPO). Hubertus Heil ist SPD-Generalsekretär und im Team Steinmeier zuständig für neue Medien. Wir haben mit dem Niedersachsen darüber gesprochen, wie er das Internet nutzt und wie die SPD zu politischen Themen das Netz betreffend steht.

 Hubertus Heil lehnt eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ab.

Hubertus Heil lehnt eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ab.

Foto: ddp

Herr Heil, sie sorgten im vergangenen Jahr ja für Furore, weil sie als einer der wenigen deutschen Politiker aus dem US-Wahlkampf twitterten und insbesondere die Frau von Barack Obama bewunderten. Viele fanden das peinlich. Was sagen Sie dazu?

Heil: Ich fand gut, dass wir das mal ausprobiert haben. Ich war einer der ersten, der auch Twitter als Mikroblog eingesetzt hat. Inzwischen twittern alle. Wenn man mal was Neues wagt, gibt's auch Häme, aber ich steh dazu.

Sie sind auch bei Facebook, stellen Fotos bei Flickr ein, welche Form der Kommunikation ist am effektivsten?

Heil: Ich glaube, das Wichtigste ist die Substanz. Egal, wie gut man im Auftritt ist, es geht nicht nur um das Medium und die Performance, sondern um Content, d.h. klare Inhalte. Es gibt nichts Überzeugenderes als Überzeugung und klare Konzepte. Das gilt online und offline.

Im Moment wird ja viel über das Internet diskutiert, insbesondere über eine Internet-Polizei. Was halten Sie davon und was wäre deren Aufgabenfeld?

Heil: Es ist schon so, dass das Bundeskriminalamt da sehr aktiv ist und Streife läuft, man kann immer darüber reden, wie gut die ausgestattet sind. Mir ist immer ganz wichtig, dass jedem klar ist: Freiheit und Recht gelten im realen Leben - im Offline-Bereich genauso wie im Online-Bereich.

Heißt, Sie halten nichts von Internet-Cops?

Heil: Es ist vollkommen vernünftig, dass sich alle Teile der Gesellschaft, auch Polizei und Strafverfolgungsbehörden, auf neue Herausforderungen einstellen, wenn es beispielsweise darum geht, dass Verbraucher über den Löffel gezogen werden — auch bei Online-Geschäften oder rechtswidrigen Inhalte. Gegen Volksverhetzung beispielsweise. Damit haben wir national nicht so ein Problem. Unser Problem ist eher, dass Server auch woanders stehen und das in anderen Ländern ein anderes Recht gilt.

Im SPD-Wahlprogramm steht, dass Sie den Datenschutz weiterentwickeln wollen. Wie muss man sich das vorstellen?

Heil: Konkret geht es nicht nur um digitalen Datenschutz, sondern vor allen Dingen auch um Arbeitnehmerdatenschutz. Das heißt aber auch, dass wir als User genau hinschauen müssen, was wir ins Netz stellen. Und damit rechnen, dass wenn wir uns auf einen Job bewerben, damit rechnen, dass sich der Arbeitgeber nicht nur die Bewerbungsunterlagen anguckt, sondern auch im Netz Profile anschaut. Da kommt Medienkompetenz und ein aufgeklärter Umgang mit Medien ins Spiel. Deshalb bin ich dafür, dass es an Schulen ein Schulfach "Neue Medien" gibt.

Reicht das, um Kinder und Jugendliche im Internet zu schützen?

Heil: Da gibt es unterschiedliche Wege. Wir müssen dafür sorgen, dass Eltern Bescheid wissen und Kindern zu kritischen Medienkonsum erzogen werden. Sie spielen sicherlich auch an auf den Kampf gegen sexuelle Ausbeutung und Kinderpornografie. Mir ist wichtig, dass wir die widerlichen Inhalte löschen, dass das auch vor Sperren geht. Ich bin nicht dafür, dass es überall Internetsperren gibt. Es gibt da aus der Community eine große Befürchtung, dass das, was im Kampf gegen Kinderpornografie auf den Weg gebracht wurde, zu einer Zensurinfrastruktur ausgeweitet wird. Das werden und dürfen wir nicht zulassen. Ich möchte nicht, dass das Internet nur aus Stoppschildern besteht.

Sie finden Löschen besser als Sperren — warum hat denn die SPD für das Gesetz für Internetsperren gegen Kinderpornografie gestimmt?

Heil: Wenn das Gesetz nicht gekommen wäre, hätte Frau von der Leyen Verträge mit den Providern gemacht, die sich außerhalb von rechtsstaatlichen Kriterien vollzogen hätten. Das Gesetz ist auf drei Jahre befristet, man muss auswerten, wie wirksam es ist.

Beim Thema Urheberschutz ist die SPD für die Einführung einer Kulturflatrate. Was sagen Sie denn zu den Vorwürfen, dass eine solche die Kreativwirtschaft nicht wirklich fördert, weil so nur wieder hohe Verwaltungskosten anfallen und beim Künstler selbst nur wenig ankommt.

Heil: Das, was es in Deutschland an Kreativpotenzialen gibt, wird sich erst mit dem Ausbau von Breitbandnetzen richtig entfalten. Wir wollen, dass die Datenautobahnen im neuen Jahrzehnt gebaut werden und wir tatsächlich auch Bandbreiten von 40 Mb bekommen — das ist notwendig und kostet. Daraus ergeben sich neue Geschäftsmodelle, die man im Bereich der kreativen Wirtschaft einsetzen kann. Wir werden dann an der Frage nach dem geistigen Eigentum im Internet nicht drum herum kommen. Geistiges Eigentum muss auch verwertet werden können, das geht nicht auf dem klassischen Weg. Deshalb prüfen wir sowas wie eine Kulturflatrate. Wir haben uns nicht auf ein Modell festgelegt, sondern wollen die Diskussion darüber führen, was die Gesellschaft braucht.

Sie sagen ja selbst, dass Sie wenig konkret bleiben, Diskussionen führen wollen. Warum ist ihr gesamtes Parteiprogramm so unkonkret — gerade was netzpolitische Themen angeht. Fehlt es Ihnen an Ideen?

Heil: Wir haben eine ganze Menge, auch sehr konkrete Ideen.

Auch aufs Netz bezogen?

Heil: Das betrifft die Frage des Breitbandausbaus, Frank-Walter Steinmeier hat dazu in seinem Deutschlandplan konkrete Vorschläge gemacht. Wir haben ein Unterrichtsfach im Bereich Medienkompetenz vorgeschlagen, wir haben auch Vorschläge zum Thema geistiges Eigentum gemacht. Nur eins ist ganz klar: Wenn Politik sich am Anfang einer Debatte, eines fulminanten Umbruchs hinstellt und so tut, als wüsste sie schon alles, ohne mit denjenigen, die in der Branche und Community unterwegs sind, zu sprechen, dann würde man Fehler machen. Deswegen der Vorschlag, das Thema neue Medien in der Bundesregierung bei mir zu bündeln und nicht verstreut auf Ressourcen liegen zu lassen.

Wie stehen Sie denn zu den Forderungen von Jugendexpertin Marks, Internetsperren auf alles auszuweiten, was nicht FSK 16 liegt?

Heil: Das ist nicht die Position der SPD. Nochmal deutlich: Wir haben beim Thema Kinderpornografie den Grundsatz "Löschen vor Sperren", es gibt auch die Möglichkeit von Stoppschildern. Aber wir dürfen Sperren nicht auf alles mögliche ausweiten. Wir wollen keine Zensurinfrastruktur.

Wie wollen Sie für einen Schutz sorgen, wenn Server im Ausland stehen und Deutschland auch rechtlich darauf keinen Zugriff und Einfluss hat. Das schafft man ja nur mit einem weltweit einheitlichen Standard und gleichen Gesetze und Kontrollen.

Heil: Vollkommen richtig. Wir können national eine ganze Menge tun. Aber wer so tut, als ob allein das deutsche Recht ausreicht, der hat keine Ahnung. Wir brauchen international sowas wie einen "Good-Internet-Kodex", den man zwischen Staaten schaffen muss. Das wird ein mühseliger Weg sein, weil es unterschiedliche Rechtskulturen gibt. Ein Beispiel: Wenn man einem deutschen Server drauf hinweist, dass neonazistische Volksverhetzung rechtswidrig ist, nimmt er die Inhalte vom Netz. In Amerika und Dänemark gibt es da ein anderes Verständnis und deshalb muss man miteinander reden und weltweite Verkehrsregeln vereinbaren. Aber das darf nicht zu einer Geschmackspolizei im Internet führen. Wir müssen Freiheit und Meinungsfreiheit im Netz schützen und die Balance hinbekommen zur Sicherheit und Schutz von Rechten. Wir müssen eine weite Debatte führen, das bekommen wir national nicht alleine hin. In Europa kommen wir schon ein Stück weiter, aber wir brauchen darüber hinaus internationale Abkommen, wie es die auch im Luftverkehr gibt. Deshalb werden wir nach der Bundestagswahl auch einladen, nach Deutschland und darüber sprechen, wie wir das hinbekommen.

Wie finden Sie es, dass es in der SPD jetzt auch eine Piratengruppe gibt?

Heil: Es gibt Leute, die in der Community aktiv sind, die sich spaßeshalber diesen Namen gegeben haben. Auch eine Volkspartei wie die SPD kommt nicht daran vorbei, dass es in der Community und auch bei vielen Jüngeren Skepsis über das gibt, was rechtspolitisch auf den Weg gebracht wurde. Ich finde das gut, das hält den Draht. Die, die da aktiv sind, die kenne ich auch gut. Das sind Leute wie Björn Böhning, Thorsten Schäfer-Gümbel — die sind viel im Netz und in der Diskussion unterwegs. Das sind gute Scouts für die SPD auch im Netz.

(fb/dhec)
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