Erbschaftsteuer-Urteil Die politische Debatte ist hiermit eröffnet

Meinung | Berlin · Das Bundesverfassungsgericht kippt einen Teil der Verschonungsregeln für Firmenerben, weil sie zu weit gehen. Der Steuernachlass muss sich künftig stärker danach richten, ob ein Firmenerbe auch tatsächlich Arbeitsplätze erhält. Eine mit Blick auf das Gemeinwohl folgerichtige Entscheidung, die allerdings auch viel Raum für Interpretationen bietet. Die politische Debatte bis Mitte 2016 ist hiermit eröffnet.

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Das Gericht stellt die Verschonung von Betriebserben nicht grundsätzlich infrage, und das ist auch gut so. Denn der Gesetzgeber hat den Firmenerben Vorteile gegenüber allen anderen Erben eingeräumt, weil ihnen eine besondere gesellschaftliche Verantwortung zukommt: Sie sollen Betriebe weiter führen und vor allem Arbeitsplätze erhalten.

Die fällige Erbschaftsteuer soll nicht der Grund dafür sein, dass Nachkommen Firmenanteile verkaufen, notwendige Investitionen unterlassen, Arbeitsplätze abbauen oder den Betrieb ganz schließen. Deshalb hatte das Verfassungsgericht in einem früheren Urteil bereits 2006 die besonderen Vorteile für Firmenerben bei der Erbschaftsteuer gegenüber allen anderen Erben grundsätzlich anerkannt.

Doch 2009 hatte der Gesetzgeber die Regeln für Firmenerben nochmals verbessert. Dabei ging er nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu weit. Es darf nach Auffassung Karlsruhes nicht sein, dass insbesondere die Erben kleinerer Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern nach sieben Jahren Betriebsfortführung komplett steuerfrei bleiben, ohne dafür den Nachweis des Arbeitsplatzerhalts führen zu müssen. 90 Prozent aller deutschen Unternehmen haben weniger als 20 Mitarbeiter — Steuerfreiheit genießt also die breite Masse der Erben kleinerer Unternehmen. Die Nachweispflicht für den Arbeitsplatzerhalt auch für kleine Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern wird der Gesetzgeber jetzt einführen müssen.

Interessant sowie politisch und betriebswirtschaftlich überaus sensibel ist allerdings die ausdrückliche Unterscheidung des Gerichts zwischen Großkonzernen und kleinen Unternehmen. Es verletze das Gleichbehandlungsgebot, auch Großunternehmen von der Steuer zu befreien, ohne dass konkret geprüft werde, ob sie überhaupt einer steuerlichen Entlastung bedürfen, urteilt Karlsruhe. Der Gesetzgeber müsse nun präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festlegen, für die eine Verschonung ohne "Bedürfnisprüfung" nicht mehr infrage komme.

Damit ist die politische Debatte eröffnet: Während die SPD gerade die Erben großer Unternehmen tendenziell stärker besteuern will, dürfte sich die Union dagegen wehren. Die Koalition wird hier ein dickes Brett bohren müssen. Eine neue politische Robin-Hood-Mentalität, die nun bei Großkonzernen zusätzliche Steuer-Milliarden für den Fiskus wittert, wäre unangebracht.

Denn auch gerade große Unternehmen erfüllen Gemeinwohlinteressen und erhalten Arbeitsplätze. Die Koalition wird nun präzise Kriterien dafür entwickeln müssen, wann und ab welcher Größe künftig die Unternehmen wie zu verschonen sind. Ein sehr weites Feld. Karlsruhe hat hier ein neues Wahlkampfthema geschaffen.

Das Gesetz eröffnet aus Sicht Karlsruhes zudem zu viele "Gestaltungsmöglichkeiten" für Unternehmen und Erblasser. Denn Privatvermögen kann trotz einer bereits vorgenommenen Reparatur des Gesetzgebers auch weiterhin zu einfach in Betriebsvermögen umgewandelt werden, um die Steuerlast bei der Vererbung zu drücken. Ein teures Gemälde etwa lässt sich einfach umhängen — vom Privathaus in die Firma.

(mar)
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