Interview mit Carsten Schneider "Wir investieren zu wenig in Flüchtlinge"

Düsseldorf · Im Interview mit unserer Redaktion spricht der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Finanzexperte Carsten Schneider über die Zukunft Griechenlands und die deutsche Flüchtlingspolitik. Er fordert zur Integration zusätzliche Milliarden für Bildung und Spracherwerb und warnt vor falscher Sparsamkeit.

 Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Finanzexperte Carsten Schneider.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Finanzexperte Carsten Schneider.

Foto: dapd, Clemens Bilan

Der Bund hat versprochen, die Gemeinden und Länder in der Flüchtlingskrise kräftig zu unterstützen. Kommt der Bundeshaushalt wieder in die roten Zahlen?

Schneider Wir dürfen jetzt nicht zu wenig in die Flüchtlinge investieren. Nicht nur Unterkunft und medizinische Versorgung sind zu finanzieren, genauso wichtig sind die Ausgaben für Bildung und Spracherwerb der Flüchtlinge. Sonst werden die langfristigen Kosten, etwa durch Arbeitslosigkeit und Kriminalität, viel höher sein.

Wie teuer kommen uns die Flüchtlinge?

Schneider Das weiß niemand genau. Allerdings war der Beschluss, drei Milliarden Euro zur Unterstützung für Länder und Kommunen für die Flüchtlingsunterbringung im kommenden Jahr einzustellen, schon überholt, als er gefasst wurde.

Muss der Bund nicht schon jetzt gegensteuern?

Schneider Der Finanzminister hat im Bundestag erklärt, dass diese Aufgabe absolute Priorität hat und dies gelingen soll, möglichst ohne neue Schulden aufzunehmen. Wir müssen sicher auch stärker als bisher Prioritäten definieren.

Zum Beispiel?

Schneider Die parlamentarischen Haushaltsberatungen haben gerade erst begonnen. Die Koalition wird sich damit auch im Lichte der nächsten Steuerschätzung beschäftigen.

Wir können nachhelfen. Die Bundesagentur für Arbeit hat gewaltige Kapazitäten, die bei der niedrigen Arbeitslosigkeit nicht mehr gebraucht werden.

Schneider Die Bundesagentur wird neue Aufgaben bekommen. Nicht alle anerkannten Asylbewerber sind sofort in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Ausgaben für Integrationsleistungen werden deshalb ansteigen.

An welche denken Sie?

Schneider Die Zuschüsse zum Ausgleich mangelnder Produktivität, Stichwort Kombilohn, müssen angehoben werden. Dazu kommen Mehrausgaben für Bildung. Wir brauchen eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Flüchtlinge. Das können wir auch finanzieren, weil der Zustrom der Flüchtlinge wie ein Konjunkturpaket wirkt.

Was halten Sie davon, den "Soli" ab 2020 für Flüchtlinge zu verwenden?

Schneider Der "Soli" ist nicht befristet und steht als Einnahme dem Bundeshaushalt insgesamt zur Verfügung. Die CDU will ihn ab 2020 schrittweise auslaufen lassen. Ich habe mich darauf eingestellt, dass wir zur Bundestagswahl eine Auseinandersetzung darüber führen werden. Denkbar wäre es auch, den "Soli" ganz abzuschaffen und einen Teil davon in die Einkommensteuer zu integrieren. Derzeit ist der Bundeshaushalt ausreichend finanziert, deshalb lehne ich einen neuen "Flüchtlings-Soli" auch ab. Mit welchen finanzpolitischen Zielen wir in die Wahl gehen, werden wir erst kurz vorher entscheiden.

Die jüngste Steuerschätzung geht von geringeren Zuwächsen aus.

Schneider Die künftige Entwicklung ist äußerst unsicher. Es kann auch deutlich mehr werden, als wir derzeit erwarten. Die Binnenkonjunktur ist wirklich robust, und wir profitieren von niedrigen Zinsen und einem niedrigen Ölpreis. Es gibt aber auch weltwirtschaftliche Risiken.

Die Bundesländer kämpfen derzeit um ein neues Ausgleichssystem zwischen armen und reichen Ländern. Sollte hier der Bund auch kräftiger einspringen, um das Problem zu lösen?

Schneider Die SPD will einen fairen Finanzausgleich zwischen den Bundesländern. Das jetzige System leistet das und wir können es deshalb im Grunde erhalten. Deswegen wehren wir uns gegen die Pläne der unionsregierten Länder, den Finanzausgleich abzuschaffen.

Das rot-grüne Nordrhein-Westfalen tritt besonders aggressiv auf, um seine Zahlungen zu verringern. Ist das solidarisch im Sinne der SPD?

Schneider Wir dürfen NRW nicht überfordern. Ohne das größte deutsche Bundesland läuft nichts im Finanzausgleich. Aber auch Hannelore Kraft stellt das System nicht im Grundsatz in Frage.

Im jetzigen Finanzausgleichssystem besteht kein Anreiz für Mehreinnahmen, weil die Länder die sofort abgeben müssen. Hängt die SPD hier Illusionen nach?

Schneider Nein, das System würde funktionieren, wenn der Staat die Steuern besser eintreiben würde. Die Finanzverwaltungen der Länder sind nicht leistungsfähig genug, auch wegen der technischen und personellen Ausstattung. . Das schreiben uns die Europäische Kommission sowie IWF und OECD immer wieder ins Pflichtenheft. Für eine effizientere Einnahmeerzielung brauchen wir eine Bundessteuerverwaltung. Der Bund sollte alle Steuern zentral verwalten. Dann gäbe es auch kein Anreiz-Problem mehr.

Sie sind der Währungsexperte ihrer Fraktion. Hält das Abkommen mit Athen, auch wenn jetzt nach der Wahl eine komplizierte Regierungsbildung droht?

Schneider Das wird zumindest drei Jahre halten.

Wie muss eine dauerhafte Lösung aussehen?

Schneider Ohne eine Veränderung der Europäischen Verträge wird der Euro instabil bleiben. Im Grunde brauchen die Nationalstaaten eine bindende Haushaltsaufsicht. Dafür ist aber eine demokratische Legitimation notwendig. Ich plädiere für ein Zwei-Kammer-System, bei dem die nationalen Parlamente Vertreter in eine zweite Kammer entsenden, die dann die Beschlüsse des Europäischen Rats gegenzeichnet.

Der IWF fordert zudem einen Schuldenschnitt …

Schneider Es wird einen indirekten Schuldenschnitt geben, das haben die Euro-Staaten den Griechen zugesagt, wenn sie ihre Reformen umsetzen. Laufzeiten der Kredite bis 2060 und noch weitere Stundungen führen faktisch dazu, dass die Schuldenlast gesenkt wird.

Den lehnt Schäuble ebenso ab wie eine europäische Einlagensicherung.

Schneider Das ist Zukunftsmusik. Wir sind schon jetzt in einer Haftungsunion nur eben ohne angemessene demokratische Kontrolle. Wenn die Währungsunion erfolgreich bleiben soll, brauchen wir auch entsprechende Ausgleichsmechanismen zwischen den Mitgliedsländern. Alles andere ist eine Lebenslüge. Bevor aber weitere Haftungsrisiken vergemeinschaftet werden, müssen wir aber beim Kampf gegen Steuerdumping vorankommen. Da vermisse ich den notwendigen politischen Ehrgeiz.

Martin Kessler und Antje Höning führten das Gespräch.

(RP)
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