Rede auf dem CDU-Bundesparteitag Angela Merkels "humanitärer Imperativ"

Karlsruhe · Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigt beim CDU-Parteitag in Karlsruhe ungewohnt leidenschaftlich ihre Flüchtlingspolitik. Der Parteitag feiert sie, obwohl sich viele einen schärferen innenpolitischen Kurs wünschen.

Zehn Zitate aus Angela Merkels Rede
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Die CDU ist schon eine bemerkenswerte Partei: Die viel kritisierte Kanzlerin hat noch keinen Ton gesagt, da steht der Parteitag auf und applaudiert, als hätte sie gerade die Flüchtlingskrise durch ein Fingerschnippen gelöst. Dann eröffnet sie den Parteitag.

In ihrer Rede drei Grußworte später verteidigt sie ihre Flüchtlingspolitik leidenschaftlich, die am Tag zuvor noch zu heftigen Konflikten in Präsidium und Parteivorstand führte. Sie erinnert an die umstrittene, europaweit kritisierte Entscheidung vom 4. September, die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen. "Das war eine Lage, die unsere europäischen Werte wie selten zuvor auf den Prüfstand gestellt hat", sagt Merkel und ruft entschlossen in de Saal: "Das war nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ."

Einmal in Fahrt verteidigt die Kanzlerin auch ihren ebenfalls umstrittenen zentralen Satz in der Flüchtlingskrise: "Wir schaffen das." Sie wiederholt im Sinnzusammenhang, was sie im Spätsommer sagte: "Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an die Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft. Wir schaffen das." Die Kanzlerin betont, es gehöre zur Identiät Deutschlands, "Größtes" zu schaffen.

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Vor dem Start des Parteitags hatte Merkel mit dem Konsens-Beschluss im Vorstand zur Flüchtlingspolitik ihre Ausgangsposition für die Debatte deutlich verbessern können. Die Junge Union, die eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen gefordert hatte, war mit der Formulierung, dass der Zuzug von Asylbewerbern "spürbar zu verringern" sei, eingefangen worden. Sie erhielten auch noch das Zugeständnis, dass Grenzkontrollen gegebenenfalls "zu intensivieren" seien.

Hilfreich für die Kanzlerin war nach Einschätzug vieler Delegierter auch die Demontage des SPD-Parteichefs Sigmar Gabriel bei dessen Wiederwahl mit nur 74,3 Prozent. Trotz aller Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik will man sie keinesfalls demütigen. Das hatte ja bereits der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer beim CSU-Parteitag getan.

Merkel macht deutlich, dass sie Seehofer dies zumindest nicht politisch nachtragen wird: "Es kommt auf CDU und CSU an", sagt sie in ihrer Rede. "Egal, was es mal für einen Parteitag gibt. Langweilig war der letzte nicht." Bei der CDU wird sie nach ihrer Rede gefeiert, als gebe es keine Flüchtlingskrise. Neun Minuten Applaus, dazwischen anerkennende Pfiffe und Jubel.

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Merkel genießt die Anerkennung. Hatte sie doch zuvor in ihrer rund 70-minütigen Rede auch davon gesprochen, dass 2015 ein Jahr war, wie sie es noch nicht erlebt hat — mit den Anschlägen auf Charlie Hebdo, dem Poker um den Waffenstillstand in der Ukraine, dem bewusst herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine, der Euro- und der Flüchtlingskrise sowie dem IS-Terror in Paris.

Viel Raum nimmt in ihrer Rede auch der Zustand der Europäischen Union ein: Schutz der Außengrenzen, Rückkehr zum Dublinabkommen. "Manchmal ist es zum Verrücktwerden", sagt sie über die Unfähigkeit der Europäer, in der Flüchtlingskrise zu einer solidarischen Lösung zu finden. "Es war aber nie einfach in Europa", betont sie auch und zeigt sich zuversichtlich, dass Europa auch weiterhin seine Krisen bestehen werde. Es lohne sich, den Kampf um ein einheitliches europäisches Vorgehen aufzunehmen, sagt Merkel. Kein Land sei so sehr auf die offenen Grenzen durch das Schengen-Abkommen angewiesen wie Deutschland.

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Die Kanzlerin geht auch in die Auseinandersetzung mit der Politik rot-grün regierter Bundesländer, die zuletzt den Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) , Frank-Jürgen Weise, scharf kritisierten. "Wir müssen die Rückführungen abgelehnter Asylbewerber konsequenter umsetzen", sagt sie. "Wenn rot-grüne Landesregierungen jetzt den Bamf-Chef bezichtigen und beschimpfen, dann kann ich nur sagen: Das sind Ablenkungsmannöver, weil man seine Aufgabe bei den Rückführungen nicht richtig macht."

Merkel nutzt ihre Rede auch noch, um den Wahlkämpfern in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz den Rücken zu stärken. An den Reaktionen der Delegierten lässt sich ablesen, dass sie am meisten an einen Erfolg von Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz glauben.

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(qua)
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