Köpfe, Zahlen und Themen CDU, CSU und SPD starten Sondierung für große Koalition

Berlin · Diesmal soll alles besser und professioneller ablaufen: Keine Herzeleien auf dem Balkon, keine Durchstechereien, keine Dauer-Twitterei, keine Quasi-Sondierungen per Interview, keine ständigen Provokationen im medialen Fernduell. Nichts soll Erinnerungen wach rufen an die glücklosen Annäherungsversuche der Jamaika-Parteien Union, FDP und Grüne.

 Die Chefs der drei Parteien: Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz (rechts, Archivbild).

Die Chefs der drei Parteien: Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz (rechts, Archivbild).

Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa

Schwarze und Rote haben sich Disziplin verordnet. Sie wollen nur spärlich nach außen kommunizieren, keine Zwischenstände oder Arbeitspapiere öffentlich machen und überhaupt möglichst wenig sagen. Auf jeden Fall keine gemeinsamen Auftritte der Generalsekretäre nach jedem Sondierungstag. Fünf Tage straffe Sondierungen, am sechsten Tag soll das Ergebnis auf dem Tisch liegen. Soweit die Theorie.

39 Unterhändler sitzen ab Sonntag mit am Tisch, wenn die Gespräche offiziell um 10 Uhr starten. 3 mal 13 Sondierer also. Einige kennen sich gut aus den vergangenen vier Jahren große Koalition im Bund. Das ist mal hilfreich, mal hinderlich: Manche von ihnen haben vertrauensvoll zusammengearbeitet, andere haben tiefe Aversionen entwickelt. Bei manchen sitzen die wahren Rivalen in den eigenen Reihen.

Auch aus den Ländern sind wieder viele Unterhändler dabei: Da wären jene, die schon erfolgreich ein schwarz-rotes Bündnis geschmiedet haben wie die saarländische Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihre Stellvertreterin von der SPD, Anke Rehlinger. Oder jene, die sich mit harter Gegnerschaft hervorgetan haben, wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und ihre Herausforderin im Land, Julia Klöckner (CDU).

Das meiste wollen Union und SPD in großer Runde verhandeln. Die ganz schwierigen Fragen dürfte der Sechserkreis der Partei- und Fraktionschefs entscheiden. Aber einige Vorarbeit werden Fachleute der Parteien leisten. Sowohl Union als auch SPD wollen auf jeden Fall ein "Weiter so" vermeiden.

MIGRATION: Dies ist nach wie vor ein besonders schwieriges Thema.
Nachdem sich die SPD in der GroKo hier zu vielem hat breitschlagen lassen, wollte sie sich freimachen und in Teilen eine andere Richtung einschlagen. Etwa beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus: Die SPD will ihn wieder ermöglichen, die Union ist vehement dagegen und will auch ihr Ziel durchsetzen, die Flüchtlingsaufnahme generell zu begrenzen auf 200 000 Menschen pro Jahr. Die CSU hat bei ihrer Winterklausur gerade erst eine Reihe von asylpolitischen Forderungen beschlossen, die der SPD nicht gefallen dürfte: etwa Leistungskürzungen für Asylbewerber oder die verstärkte Rückführung auch in Länder wie den Irak. Streit ist hier vorprogrammiert. Die Innenminister von Bayern und Baden-Württemberg, Joachim Herrmann (CSU) und Thomas Strobl (CDU), werden bei dem Thema eine wichtige Rolle spielen, bei der SPD dürfte Parteivize Ralf Stegner mitmischen. Das Thema Zuwanderung dürfte aber ohnehin eher ganz oben entschieden werden.

EUROPA: Es ist das Herzensthema von SPD-Chef Martin Schulz. Das von ihm ausgerufene Ziel der "Vereinigten Staaten von Europa" hat die CSU bereits abgelehnt. Auf Unionsseite dürften sich der CSU-Europapolitiker Manfred Weber und Noch-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hier zuständig fühlen. Schulz und Weber kennen sich aus Brüssel. Spannend wird sein, wie Deutschland auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einer deutlich vertieften Eurozone und EU reagiert. Nicht nur in der SPD, auch im Kanzleramt scheint man gewillt, angesichts der Fliehkräfte in der EU positiv auf Macron zu reagieren.

GESUNDHEIT: Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung könnte ein sozialpolitisches Aushängeschild einer neuen GroKo werden. Denn die gute Arbeitsmarktlage bringt den Sozialkassen Rekordeinnahmen. Eine Komplettumstellung auf die von der SPD geforderte einheitliche Bürgerversicherung wäre angesichts des übergroßen Widerstands der Union überraschend.

ARBEIT: Viel hat die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD)
in der vergangenen Legislaturperiode in der Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt - Mindestlohn, Leiharbeit oder Werkverträge. Nahles hatte auch bereits Vorarbeiten geleistet, um Arbeitszeiten in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt anpassen zu können. Aber die SPD will - zum Ärger der Wirtschaft - nachlegen, etwa beim Recht auf Rückkehr von Teilzeit- in Vollzeitarbeit oder bei der Eindämmung befristeter Jobs. Für die Union sind stabile Lohnnebenkosten ein wichtiger Punkt. Hier könnte es Konflikte geben. In den Sondierungsgruppen dürften aber Politiker zusammentreffen, denen Kompromisse zuzutrauen sind - etwa Kramp-Karrenbauer und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) oder Bayerns Ex-Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) und Nahles.

RENTE: Gute Chancen auf eine Verständigung gibt es bei einer Aufbesserung der Renten für langjährig Geringverdiener. Bei allen Parteien gibt es bereits Überlegungen dazu. Die von der CSU geforderte Ausweitung der Mütterrente bleibt wegen der Kosten von bis zu sieben Milliarden Euro umstritten. Langzeitkonzepte für eine Stabilisierung der Rente, wie sie Nahles bereits vorgestellt hatte, dürften eher aufgeschoben werden.

FINANZEN: Die Sondierer werden mit ihren Wünschen irgendwann auf den Boden der finanzpolitischen Realität zurückgeholt. Auf bis zu 100 Milliarden Euro hatten Experten anfangs die Wünsche der Jamaika-Sondierer kalkuliert. Später waren nur noch 30 bis 40 Milliarden Euro im Gespräch. Der geschäftsführende Finanzminister Peter Altmaier (CDU) dürfte auch die Wünsche von CDU, CSU und SPD runterschrauben. Die SPD will Milliarden für die Modernisierung des Landes. Dafür dürften ihre Finanzexperten wie Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz oder Carsten Schneider auf Steuererhöhungen für Reiche pochen - und auf Widerstand bei der Union stoßen.

(felt)
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