Parteiprogramm Die CDU denkt jetzt doch bei der Einwanderung um

Berlin · Fallen jetzt die letzten Tabus bei der CDU? Als Generalsekretär Peter Tauber Anfang des Jahres ein Einwanderungsgesetz vorschlug, stieß er noch auf entschiedenen Widerstand. Doch der Widerstand bröckelt.

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Foto: afp, MM

Innenminister Thomas de Maiziere, die CSU und Unions-Innenpolitiker wehrten den Vorstoß im Februar noch ab - dabei war schon damals klar, dass der Generalsekretär nicht allein agierte. Auch CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel sah die Notwendigkeit, dass die Union eine ihrer letzten ideologischen Bastionen schleift. Nur hielt sie sich - wie so oft - in der öffentlichen Auseinandersetzung zurück, um keinen Konflikt mit de Maiziere auszutragen. "Jetzt schauen wir uns an, was man im Zusammenhang mit Einwanderung machen kann oder nicht. Ich muss mir dazu erst ein Urteil bilden", wiegelte sie Anfang März ab.

Dabei hatte sie selbst die CDU-Granden schon in den Monaten zuvor angehalten, gezielt vom "Einwanderungsland Deutschland" zu sprechen. Die jahrzehntelang von CDU und CSU gepflegte Gastarbeiter-Ideologie, nach der ausländische Arbeitskräfte angeblich nur auf Zeit kommen, sollte endgültig entsorgt werden.

Seit Ende Juni ist klar, wohin die Entwicklung in der CDU geht - nur dass dies im Trubel der Griechenland-Krise unterging. Erst sagte Merkel auf der Feier zum 70. Geburtstag ihrer Partei: "Deutschland ist nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland. Die CDU spricht manchmal darüber nicht so gern. Aber das lernen wir auch noch."

Wenige Tage später stand dann in einem der veröffentlichten Abschlussberichte der CDU-Kommissionen zur Weiterentwicklung des Parteiprogramms die Forderung, die vielen Ansätze zur Einwanderungspolitik in einem Gesetz zusammenzuführen. Im September soll der Bundesvorstand beraten, im Dezember der CDU-Bundesparteitag die neue Parteilinie festlegen. "Es wird sicher noch Widerstand geben, der aber abnimmt", heißt es in der CDU-Parteispitze nach kritischen Kommentaren des innenpolitischen Sprechers Stephan Meyers und aus der CSU.

Mit den drastisch in die Höhe schnellenden Flüchtlingszahlen steigt der Wunsch in der Union, zumindest einen Teil der Einwanderung steuerbarer zu gestalten. Zum einen steht die seit fast zehn Jahren regierende Kanzlerin unter dem wachsenden Druck der Wirtschaft, eine überzeugende und dauerhafte Antwort für den demografischen Wandel zu finden. Die Regierung und die CDU-Vorsitzende sollen die gesetzlichen Rahmen dafür schaffen, dass die Unternehmen ihren wachsenden Fachkräftebedarf auch verstärkt aus dem Ausland decken können. Denn frühere Initiativen wie die blue-card-Regelung für IT-Spezialisten versandeten eher. Stattdessen wurden einige Verbesserungen wie etwa mehr Flexibilität für ausländische Studenten, die nach dem Studium in Deutschland bleiben wollen, auf den Weg gebracht. Es gebe heute ein Sammelsurium an Regeln, die keiner richtig durchschaue, kritisierte die "CDU 2017", eine Gruppe jüngerer Unions-Bundes- und Landespolitiker.

Zudem will die CDU angesichts der hohen Zahl an Asylbewerbern dem Eindruck entgegenwirken, der Staat könne die Entwicklung nicht steuern. Deshalb hatte auch Merkel bei ihrer Balkan-Reise als Alternative zu den chancenlosen Asylanträgen von Flüchtlingen vom Westbalkan eine gezieltere Anwerbung von Arbeitskräften aus diesen Ländern angeregt. Forderungen von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und Arbeitsministerin Andrea Nahles (beide SPD) gehen in dieselbe Richtung.

Es gibt aber auch eine parteipolitische Komponente hinter dem Schwenk in der Einwanderungsdebatte innerhalb der CDU. So wie sich die CSU immer wieder als Rechtsausleger unter den Schwesterparteien profilieren will, so sucht Merkel für die CDU ein sehr viel moderateres Profil. Eines, das sowohl für SPD-Wähler attraktiv sein soll als auch Koalitionsoptionen zu den Grünen öffnet. Der unterschiedliche Blick auf Zuwanderung sei vor zwei Jahren noch eine entscheidende Hürde für schwarz-grün gewesen, heißt es in der Partei.
Die Parteiführung sieht die Union in der Zuwanderungspolitik durchaus in der Defensive. Nicht nur SPD, Grüne und Linkspartei dringen seit langem auf ein Zuwanderungskonzept, sondern auch die Konkurrenz am rechten Rand: Die AfD möchte so die Zuwanderung begrenzen und punktet nach Ansicht einiger CDU-Politiker mit dem Hinweis, dass die Regierung ja nicht einmal ein Einwanderungsgesetz habe. De Maizieres Hinweis, dass sich bestehende Einzelregelungen bewährt hätten, helfe in dieser Auseinandersetzung wenig, heißt es im Tauber-Lager.

Dies umso mehr, als alle im Bundestag vertretenen Parteien besorgt registrierten, dass die bisher meist aufnahmefreundliche Stimmung der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen mit den wachsenden Zahlen umschlagen könnte. Also brauche es auch eine Positiv-Debatte, um die Vorteile der Zuwanderung stärker herauszustellen, glauben die Befürworter eines Zuwanderungsgesetzes.

(REU)
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