CDU auf Merkels Flüchtlingskurs Ein Erfolg für die Kanzlerin — für den Augenblick

Meinung | Berlin · Die nahezu einstimmige Positionierung des CDU-Parteitages hinter Angela Merkels weltweit umstrittener und auch von Millionen Deutschen irritiert verfolgter Flüchtlingspolitik mag Balsam für die Kanzlerin sein. Aber ist der zentrale Beschluss auch mehr als nur ein Erfolg für den Augenblick?

Zehn Zitate aus Angela Merkels Rede
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Foto: dpa, pse kno

Darauf gibt es zwei Antworten. Die eine hat mit dem Binnengefüge der Volkspartei zu tun, die auf vorangegangene Wellen von Massenflucht und Massenmigration vornehmlich mit Abwehrreflexen und mit den Rufen nach den Grenzen der Belastbarkeit reagierte.

So in den 80er Jahren, als Hunderttausende Russlanddeutsche Städte und Gemeinden herausforderten und ein neues Kapitel mit vielen Beispielen gescheiterter Integration begann. So auch in den 90er Jahren, als Hunderttausende Kriegsflüchtlinge vom Balkan die CDU zu einem Asylkompromiss mit den anderen Parteien führten, der die Gedanken von Abschreckung und Abschottung in Verfassungsrecht goss.

Dieses Mal hat Merkel die CDU bewusst von Abwehr auf Willkommen gedreht. Das tat so lange gut, wie die Wahrnehmung beherrscht war von Familien, die aus der Hölle des syrischen Krieges in den Frieden und die Sonne des sommerlichen Deutschlands kamen, von jubelnden Helfern mit Äpfeln, Tee und Teddybären empfangen.

Doch seit die von Merkel als "Ausnahme" dargestellte Zahl von 10.000 Flüchtlinge an einem einzigen Wochenende über Wochen zum täglichen Ausmaß des Willkommens wurde und die Aufnahmekapazitäten in den Ländern, Städten und Dörfern an die Grenzen und darüber hinaus brachte, ist es schwierig geworden für CDU-Funktionäre, auf die bohrenden Fragen der Bürger überzeugende Antworten zu finden.

Hier hat Merkel angesetzt und die Neuausrichtung der christdemokratischen Flüchtlingspolitik auf christdemokratische Gründungsimpulse zurückgeführt, sie in die Reihe der historischen Herausforderungen Deutschlands gestellt, die nur mit Entschlossenheit und dem unbeirrbaren Willen zum "Wir schaffen das" zu meistern sind. Das dürfte tatsächlich dem Gefühlshaushalt der Partei dringend nötiges und frisches moralisches Kapital zugeführt haben. Über den Tag hinaus.

Auf der anderen Seite steht die praktische Bedeutung des Leitantrages. Es ist eine interessante Mischung aus Willkommen und Abwehr. Noch setzt die CDU darauf, dass die Flüchtlingszahlen zurückgehen, dass die EU-Länder mehr Lasten schultern, dass die Fluchtursachen erfolgreich bekämpft und die EU-Außengrenzen endlich wieder gesichert werden.

Was passiert, wenn all das nicht gelingt, ist in dem 730-Zeilen-Beschluss zumeist nur angedeutet. "Wirksame Maßnahmen", "weitere Schritte", "ordnen", "steuern", "intensivieren" - das lässt Raum für scharfe, ja schärfste Nachbesserungen. Und wenn die CDU beschließt, dass es nur bei einem Gelingen der Grenzsicherung am Rand der EU dauerhaft bei den offenen Grenzen im Innern bleiben könne, dann lässt sich das auch umgedreht lesen: Die Zeit läuft ab, in der Deutschland den ungebremsten Zustrom toleriert.

Insofern ist das Votum des Parteitages nicht nur ein Vertrauen in Merkels flüchtlingsfreundliche Grundüberzeugung, sondern auch ein Vertrauen darin, dass sie bis zum nächsten Parteitag den Schalter umlegt, wenn sich die Dinge von alleine nicht in Richtung deutlich geringerer Flüchtlingszahlen entwickeln. Möglicherweise zieht Merkel diese Option nicht erst in Monaten. Sondern schon in Wochen.

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(mayn)
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