Parteitag in Essen Merkel kritisiert CDU-Votum zu doppelter Staatsbürgerschaft

Essen/Berlin · Die CDU hat auf ihrem Parteitag beschlossen, den Kompromiss beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft zu kippen. Kritik kommt nicht nur von der SPD, sondern vor allem auch von Parteichefin Merkel.

 Ein türkischer und ein deutscher Pass: CDU-Kontroverse zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft

Ein türkischer und ein deutscher Pass: CDU-Kontroverse zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft

Foto: dpa, Daniel Bockwoldt

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gegen den Beschluss des CDU-Parteitags, den Kompromiss mit der SPD zur doppelten Staatsbürgerschaft aufzukündigen. Es werde in dieser Legislaturperiode keine Änderung dazu geben und sie halte den Beschluss persönlich für falsch, sagte die CDU-Chefin am Mittwoch in Essen nach Ende des Parteitags vor Journalisten.

Zuvor war auf dem Parteitag nach einer heftigen Debatte der Kurswechsel beschlossen worden. Eine knappe Mehrheit stimmte am Mittwoch für einen Antrag der Jungen Union, die sogenannte Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einzuführen. Dabei geht es hauptsächlich um Kinder türkischer Eltern. Die SPD und die Grünen zeigten sich empört über den CDU-Beschluss.

Bis 2014 wurden in Deutschland geborene Kinder von Ausländern zu Deutschen und behielten zunächst auch die Staatsangehörigkeit der Eltern. Zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr mussten sich die meisten aber entscheiden und einen ihrer beiden Pässe abgeben. Seit einer Vereinbarung von der schwarz-roten Koalition im Dezember 2014 können diese Kinder neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch die deutsche dauerhaft behalten.

CDU-Vize-Chefin Julia Klöckner hat die Entscheidung des CDU-Parteitags als "Ausdruck einer lebendigen Demokratie" begrüßt. "Auf Parteitagen wird bei uns debattiert, und Delegierte sorgen auch mal für Überraschungen gegen die Antragskommission. Das ist Ausdruck einer lebendigen Demokratie", sagte Klöckner unserer Redaktion.

Der Parteitag sei keine Koalition mit Kompromissen, sondern stelle die Haltung der CDU dar, betonte Klöckner. "Es geht um die Frage, wie man die Frage nach Identität und Entscheidung beantwortet." Wenn jemand den deutschen Pass besitze, dieser aber im Konflikt mit dem Pass des anderen Landes, zum Beispiel mit dessen Menschenrechtsverständnis, stehe, dann frage man, wem die Loyalität gelte. "Das hat wohl viele der Delegierten umgetrieben", sagte die CDU-Vize-Chefin.

Eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft ist mit der SPD nach den Worten von Parteichef Sigmar Gabriel nicht zu machen. Der Vize-Kanzler wies einen entsprechenden CDU-Beschluss am Mittwoch als einen Schlag gegen die Integration zurück. Er gehe auch nicht davon aus, dass die Union noch vor der Bundestagswahl einen entsprechenden Vorstoß im Bundestag unternehmen werde. Es sei ganz offensichtlich, dass die CDU eine andere Politik wolle als ihre Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern würden symbolhaft benachteiligt, weil die CDU eine andere Flüchtlingspolitik wolle als Merkel.

Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte: "Die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft wäre ein riesiger Rückschritt für die Integration." Dies wäre eine Misstrauenserklärung gegen die weit überwiegende Mehrheit der Doppelstaatler, "die voll hinter unserem Grundgesetz steht". Er betonte: "Der Doppelpass bleibt." SPD-Vize Aydan Özoguz erklärte: "Auf der Suche nach dem verlorenen Markenkern opfert die CDU wichtige Integrationserfolge."

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) versicherte dem Parteitag: "Beschlüsse des Bundesparteitags werden natürlich in der Bundestagsfraktion ernst genommen." Die Union im Bund habe aber immer einen Koalitionspartner, mit dem sie über Beschlüsse sprechen müsse.

Die Delegierten müssten Verständnis dafür haben, dass ein Parteitagsbeschluss nicht gleich Gesetzestext werden könne. Etwas anderes sei, Beschlüsse in einem Wahlprogramm für die Wahl 2017 zu verdeutlichen. CDU-Vize Thomas Strobl sagte der dpa: "Ist doch in Ordnung, wenn die CDU eine klare Position hat. Sie ist nur mit keiner anderen demokratischen Partei umsetzbar."

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte in der Debatte noch gemahnt, es sei nicht schön, einen Kompromiss wieder zu kippen. Er kenne auch keinen möglichen Koalitionspartner, mit der die CDU das Votum gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durchsetzen könnte.

Außerdem werde den betroffenen jungen, in Deutschland aufgewachsenen Menschen vor den Kopf gestoßen. Die CDU sei auch mit dem Kompromiss grundsätzlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, akzeptiere aber Ausnahmen. "Wir wollen das nicht rückabwickeln."

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn rief dann aber unter Jubel von Delegierten, natürlich müsse man in einer Koalition Kompromisse machen, "aber wir sind hier auf einem Parteitag". Es sei keine Zumutung, jungen Menschen eine bewusste Entscheidung abzuverlangen.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte, die CDU zwinge ihre Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel, die Einigung mit der SPD aufzukündigen. "Das wäre ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag", betonte Oppermann.

Das Votum des CDU-Parteitages zeige, dass die Kluft zwischen der Kanzlerin und ihrer Partei immer größer werde: "Die Kanzlerin bittet die Partei um Hilfe und bekommt stattdessen Knüppel zwischen die Beine geworfen." Maas ergänzte: "Die einzige Partei, mit der die CDU die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft umsetzen könnte, wäre die AfD."

Grünenchef Cem Özdemir sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir Grüne wollen aus Ausländern Inländer machen, die sich unserem Grundgesetz verpflichtet fühlen. Die CDU will dagegen hier geborene und lebende Deutsch-Türken ausgrenzen und damit dem autoritären Herrscher Erdogan überlassen."

(isw/dpa/REU)
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