Interview mit Cem Özdemir "Es war hart, manchmal wurde es auch laut"

Berlin · Der Grünen-Chef Cem Özdemir erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum die Jamaika-Koalition nicht zustande kam - und hält die Türen für andere Parteien weiter offen.

 "Wir Grüne haben weder den Raum verlassen noch die Tür zugeschlagen": Cem Özdemir.

"Wir Grüne haben weder den Raum verlassen noch die Tür zugeschlagen": Cem Özdemir.

Foto: Britta Pedersen

Vier Tage nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen ist Cem Özdemir die Anstrengung der fünfwöchigen Gespräche kaum noch anzusehen. Doch der Ernst der vertrackten, unsicheren politischen Lage steht ihm ins Gesicht geschrieben. Wir treffen ihn in seinem Büro in der Grünen-Zentrale.

Welche Rolle bleibt den Grünen nach dem Jamaika-Aus - sind Sie nun auf die Oppositionsrolle abonniert?

Özdemir Das muss nicht so sein. Die Wähler in ihrer Weisheit weisen einem manchmal Aufträge zu, mit denen man vor der Wahl nicht gerechnet hat. Darauf sind wir Grünen sehr gut eingestellt.

Ist ein Jamaika-Bündnis auf Bundesebene damit auf Jahre hinaus unmöglich geworden?

Özdemir Zumindest schwerer vorstellbar. Wir Grüne haben weder den Raum verlassen noch die Tür zugeschlagen. Die FDP hat aus Angst vor der Zukunft die Tür mit dicken Brettern vernagelt. Ich bedauere das. In Schleswig-Holstein und in Rheinland-Pfalz arbeiten wir mit der FDP sehr gut zusammen. Wir hätten im Bündnis mit der FDP viel erreichen können - zum Beispiel in der Digitalisierung. Wir hätten zehn Milliarden Euro dafür eingesetzt in der Legislatur. Auch in der Bildung wollten wir so viel voranbringen - unter anderem die Digitalisierung der Berufsschulen. Das wäre extrem wichtig für die Jobs von morgen. Zudem wären wir bereit gewesen, für mehr als zwei Drittel der Steuerzahler, also für untere und mittlere Einkommen, den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen.

Sind Sie bereit, in eine schwarz-grüne Minderheitsregierung einzutreten?

Özdemir Ich sehe derzeit nicht, wie dies möglich werden soll. Jetzt sind erst einmal der Bundespräsident und die Union als größte Fraktion im Bundestag am Zuge. Die SPD muss erklären, ob sie wieder Juniorpartner in einer Großen Koalition werden will, zum dritten Mal in vier Wahlperioden.

Was ist besser große Koalition oder Neuwahlen?

Özdemir Der Bundespräsident hat Recht, dass man nun versuchen muss aus der Mitte des Parlaments heraus eine Regierung zu bilden. Neuwahlen ruft man nicht einfach aus. Die Bevölkerung darf nicht den Eindruck bekommen, dass wir so lange wählen lassen, bis das Ergebnis passt.

Gehen Sie davon aus, dass Robert Habeck Ihr Nachfolger als Parteichef wird?

Özdemir Robert Habeck ist einer unserer Besten, er wird künftig hoffentlich eine wichtige Rolle spielen. Ich habe immer gesagt, dass ich nach der Bundestagswahl als Bundesvorsitzender gerne die Verantwortung für die Partei in andere Hände legen würde. Klar ist, dass wir jetzt erst mal sehen müssen, wie geht es weiter mit der Regierungsbildung. Wenn das geklärt ist, kommen alle weiteren Schritte.

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Sie würden bei einer Neuwahl wieder als Spitzenkandidat antreten?

Özdemir Ich freue mich, dass Toni Hofreiter für den Falle der Neuwahl vorgeschlagen hat, dass Katrin Göring-Eckardt und ich erneut als Spitzenkandidaten antreten. Aber warten wir erst mal ab, was passiert. Ich rechne derzeit eher mit der Bildung einer Großen Koalition.

Welche Debatten erwarten Sie auf dem Parteitag? Wird es Kritik an Ihren Zugeständnissen geben?

Özdemir Es mag auch Kritik geben. Aber insgesamt war die Partei nach meinem Eindruck sehr zufrieden, wie wir das gemacht haben. Mit unseren Videos nach den Sondierungsrunden haben wir Transparenz nach innen geschaffen und versucht, die Partei immer mitzunehmen. Unser 14-köpfiges Sondierungsteam hat die ganze Breite und Vielfalt von Bündnis 90/Die Grünen abgebildet. Ich bin stolz auf meine Partei, dass sie so standhaft und geschlossen geblieben ist, obwohl wir bis an die Schmerzgrenze und manchmal darüber hinaus gegangen sind im Ringen um Kompromisse in der Verantwortung für unser Land. Das spricht sehr für die Reife der Grünen.

Aber Sie haben in der Flüchtlingspolitik doch erhebliche Zugeständnisse gemacht. Davon, dass Sie die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer akzeptiert haben, kommen sie doch jetzt nicht mehr runter!

Özdemir Wir haben ein Programm und das gilt. Alle Kompromisse standen unter dem Vorbehalt einer tragfähigen Gesamteinigung, die leider nicht mehr zustande kam. Um an anderer Stelle Verbesserungen für Geflüchtete zu sichern, wären wir bereit gewesen, die Frage der sicheren Herkunftsländer auf europäischer Ebene zu lösen, denn dort wird sie derzeit ohnehin verhandelt. Von politischer Verfolgung besonders bedrohte Gruppen — das sind etwa Blogger, Journalisten, Homosexuelle — hätten aber durch unser Asylrecht weiter besonders geschützt bleiben müssen. Rücknahmeabkommen mit den Maghreb-Staaten hatten wir schon im Wahlkampf gefordert.

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Sagen die Grünen jetzt auch Ja zur Begrenzung der Flüchtlinge auf mehr oder weniger 200.000 im Jahr?

Özdemir Wir haben diese Zahl zwar als Planungsrahmen, aber nicht als Begrenzung akzeptiert. Es war zugleich immer klar, dass es mit uns keine Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz und keine Einschränkung der Genfer Flüchtlingskonvention geben wird. Mit einem Einwanderungsgesetz mit Spurwechsel für gut integrierte Asylbewerber und dem Familiennachzug für subsidiär Geschützte hätten wir ein Paket schnüren können, das Humanität und Ordnung zusammenbringt. Mein Eindruck war, dass zumindest die CDU/CSU sich in diese Richtung bewegt hat.

Bei einer Neuwahl nehmen Sie ansonsten das alte Wahlprogramm?

Özdemir Es gibt keinen Grund, dass wir unser Wahlprogramm außer Kraft setzen. Bei der Ehe-für-alle gibt es natürlich Aktualisierungsbedarf. Die haben wir ja schon vor der Wahl durchgesetzt. Und den Abbau des Solidaritätszuschlags würde ich nicht grundsätzlich verweigern, wenn gewährleistet ist, dass dadurch gezielt Menschen mit unteren und mittleren Einkommen gezielt entlastet werden. Aber ich sage auch klipp und klar: Unser Programm gilt und ist immer Ausgangspunkt unserer Bewegung.

Hat sich durch die Sondierungen das Verhältnis zur Union verändert?

Özdemir Wir haben ja nicht bei Null angefangen. Auf Bundesebene ist das Entscheidende, dass die Union aus zwei Parteien besteht. Die CSU ist für uns in der Flüchtlings- und Klimapolitik natürlich ein schwieriger Partner. Im Wahlkampf haben Alexander Dobrindt und ich nicht ohne Grund keine Gelegenheit ausgelassen, den jeweils anderen hart anzugreifen. Es war sicherlich hilfreich, dass wir uns jetzt mal vier Wochen gegenseitig zugehört haben. Es war hart, manchmal wurde es auch laut. Aber es war die Bereitschaft da: Wir müssen das für das Land hinkriegen. Daraus ist Respekt füreinander gewachsen.

Wie war es mit der FDP auf der zwischenmenschlichen Ebene?

Özdemir Es war ein professioneller Austausch und den will ich auch in Zukunft fortsetzen. Ich hege keinen Groll.

Das Gespräch führten Birgit Marschall und Eva Quadbeck.

(mar / qua)
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