Fehlendes Personal Die Not der Klinikpfleger

Berlin · Den Pflegekräften der Charité in Berlin geht es bei ihrem Streik nicht um eine bessere Bezahlung. Sie fordern einen besseren Personalschlüssel. Für Mittwoch sind bundesweite Aktionen an Krankenhäusern geplant.

 Pflegekräfte der Berliner Charité streiken.

Pflegekräfte der Berliner Charité streiken.

Foto: dpa, car lre

In Berlin läuft gerade ein unbefristeter Streik mit einem ungewöhnlichen Anliegen: Das Pflegepersonal an der Charité, Deutschlands größter Uni-Klinik, hat die Arbeit niedergelegt, weil die Beschäftigten ihre Stationen und ihre Schichten als hoffnungslos unterbesetzt wahrnehmen. Sie fordern von ihrem Arbeitgeber nicht mehr Geld oder kürzere Arbeitszeiten, sondern mehr Kollegen. Arbeit und Verantwortung sollen sich auf mehr Schultern verteilen.

Das Berliner Problem beklagen Krankenschwestern und Pfleger bundesweit. "Seit 2007 wurden 50.000 Pflegestellen in Krankenhäusern abgebaut", sagt Andreas Westerfellhaus, Vorsitzender des Deutschen Pflegerats. "Oft genug sind nur eine Krankenschwester und eine Schwersternschülerin für rund 30 Patienten zuständig", fügt er hinzu. Die Arbeitsbelastung hat nach Daten des Statistischen Bundesamtes in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Während im Jahr 2000 eine Vollzeit-Pflegekraft auf 100 Krankenhausfälle kam, musste sich diese Kraft im Jahr 2013 um 115 Fälle kümmern.

Charité Berlin: Die Not der Klinikpfleger
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Nach Daten der Gewerkschaft Verdi fehlen bundesweit sogar 70.000 Pflegekräfte allein in den Kliniken. Aus Sicht des Pflegerats wurde in den vergangenen Jahren zu sehr auf Kosten des Personals gespart. In jeder Fallpauschale für Operationen und andere Krankenhausbehandlungen sei auch ein gewisser Betrag für das Pflegepersonal eingerechnet, betont Westerfellhaus. Die Kliniken würden das Geld aus den Fallpauschalen aber zu häufig in bauliche Investitionen oder neue Medizingeräte stecken, anstatt Personal zu bezahlen. Dabei seien doch die Länder für Krankenhausinvestitionen zuständig. Die Länder kämen aber ihren Verpflichtungen nicht nach. Dadurch würden die Krankenhäuser ausbluten.

Die unterbesetzten Stationen gelten als Sicherheitsrisiko: Die Gewerkschaft Verdi befragte in der Nacht vom 5. auf den 6. März das Pflegepersonal von 238 der rund 2000 Kliniken in Deutschland unter dem Arbeitstitel "Nachtdienst-Check". In dieser Nacht gaben 55 Prozent der befragten Pflegekräfte an, dass sie manchmal oder oft erforderliche Leistungen nicht erbringen können, weil die Personaldecke zu dünn ist. Knapp 60 Prozent erklärten der Umfrage zufolge sogar, dass gefährliche Situationen in den vergangenen Wochen durch mehr Personal hätten verhindert werden können. Von den Befragten gaben 57 Prozent an, dass sie ihre Arbeit nie oder selten in der erforderlichen Qualität erbringen können. Zudem ist den Aussagen des Personals zufolge auf mehr als jeder zweiten Station nur eine Fachkraft für durchschnittlich 25 Patienten zuständig. Kleiner Lichtblick: Auszubildende werden grundsätzlich nicht alleine auf einer Station gelassen.

Die Schwestern und Pfleger wollen am Mittwoch bundesweit auf ihre Situation aufmerksam machen. Das Pflegepersonal will sich um 13 Uhr vor die Kliniken stellen und Karten hochhalten, auf denen die Zahl der fehlenden Kräfte im eigenen Krankenhaus vermerkt ist. Allein die Forderungen des Pflegepersonals an der Charité summieren sich auf 600 Kräfte, die jährlich zusätzlich 36 Millionen Euro kosten würden.

SPD-Vize-Fraktionschef Karl Lauterbach zeigt Verständnis für die Streikenden. In dem Personalmangel sieht er zudem auch eine Gefahr für die Patienten. "Neue Studien zeigen, dass das Sterberisiko im Krankenhaus von der Ausbildung und der Zahl der Pflegekräfte abhängig ist", sagte Lauterbach unserer Redaktion. In den vergangenen Jahren seien zu viele Ärzte und zu wenig Pflegekräfte eingestellt worden, bemängelt er.

Die geplante Krankenhausreform der Bundesregierung sieht vor, über ein Pflegestellenförderprogramm zusätzlich 660 Millionen Euro zwischen 2016 und 2018 für Pflegepersonal auszugeben. Vorgesehen ist, dass die Fachkräfte insbesondere Dienst am Krankenbett leisten. Aus Sicht von Lauterbach reicht die Summe nicht. "Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich im laufenden Gesetzgebungsverfahren dafür einsetzen, dass der Betrag auf 1,32 Milliarden Euro aufgestockt wird", sagt Lauterbach. Damit könnten doppelt so viele Pflegekräfte zusätzlich bezahlt werden wie ursprünglich geplant. Zur Begründung sagt Lauterbach: "Ansonsten können wir den notwendigen Personalschlüssel bei der Pflege nicht darstellen."

Dem Pflegerat ist auch diese Summe nicht hoch genug. Er fordert ein Sofortprogramm für Pflegekräfte von 2,4 Milliarden Euro pro Jahr, mit dem rund 50.000 Stellen finanziert werden könnten.

Der Pflegerats-Vorsitzende Westerfellhaus ist davon überzeugt, dass unter besseren Arbeitsbedingungen viele Pflegekräfte in ihren alten Beruf zurückkehren würden. Die Pflegebranche leidet seit Jahren darunter, dass Fachkräfte wegen Überlastung gänzlich aus dem Beruf ausscheiden und sich umschulen lassen. Manche reduzieren auch ihre Arbeitszeit, um die enorme persönliche Belastung besser aushalten zu können. Eine hohe Abbrecherquote gebe es bereits in der Ausbildung, sagt Westerfellhaus.

Diese Entwicklung macht sich auch in der Zahl der offenen Stellen bemerkbar. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen an Kliniken ist nach Daten der Bundesagentur für Arbeit im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen und liegt aktuell bei mehr als 7000.

Eine noch deutlichere Entwicklung zeigt sich in Pflegeheimen, die beim Personal ähnliche Probleme haben wie die Kliniken: Die Beschäftigten müssen sich um immer mehr Pflegebedürftige kümmern. Dementsprechend hoch sind die Zahl der Krankmeldungen und die Fluktuation. Die Zahl der offenen Stellen ist im Vergleich zu 2014 um 36 Prozent gestiegen und liegt aktuell bei mehr als 8000.

(qua)
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