Christian Lindner im Interview FDP-Chef plädiert für Realpolitik mit Russland

Düsseldorf · FDP-Chef Christian Lindner schließt im Interview mit unserer Redaktion schärfere Sanktionen nicht aus, wenn die russische Regierung auf neue Verhandlungsangebote nicht eingeht.

 "Wir relativieren nicht, sondern wir raten zu Realismus": Christian Lindner.

"Wir relativieren nicht, sondern wir raten zu Realismus": Christian Lindner.

Foto: dpa, soe kde

Herr Lindner, wegen Ihrer Äußerungen zur Annexion der Krim durch Putin erhalten Sie Lob von der Linken-Politikerin Wagenknecht und Kritik von Kiews Außenminister Klimkin. Was haben Sie falsch gemacht?

Lindner Frau Wagenknecht ergreift im Wahlkampf Partei für Putin. Die FDP macht das nicht, denn wir sind eine Rechtsstaatspartei und stehen für die Freiheitswerte des Westens. Für uns kann Deutschland daher keine neutrale Position zwischen den USA, Europa und Russland haben. Deshalb haben wir für die transatlantischen Beziehungen geworben, als Grüne, Linke und AfD gegen Freihandel mit Nordamerika agitiert haben. Jetzt wollen wir schauen, ob Russland seine autoritäre Politik ändern will, um die Sackgasse immer schlechterer Beziehungen zu verlassen. Ich weiß nicht, ob die Bereitschaft im Kreml dazu besteht. Aber man sollte das Angebot machen. Wenn es nicht angenommen wird, muss der Westen auch zur weiteren Verschärfungen von Sanktionen bereit sein. Da kann es keine Rücksicht auf Wirtschaftsinteressen geben. Das alles hat Minister Klimkin offenbar falsch verstanden.

Warum äußern Sie sich so? Man kann doch verhandeln, ohne Putins Annexionspolitik zu relativieren.

Lindner Wir relativieren nicht, sondern wir raten zu Realismus. Ich bin in großer Sorge, dass Debatten dieser Art im hysterischen Empörungsmodus, mit Gesinnungsethik und ohne Bereitschaft zu realpolitischer Betrachtung geführt werden. Unsere außenpolitische Debattenkultur passt nicht mehr zur Größe der Probleme oder zu Deutschlands Bedeutung in Europa und der Welt. Die Annexion der Krim ist ein Völkerrechtsbruch, den man nicht akzeptieren darf. Der Konflikt lässt sich aber nicht schnell lösen. Deshalb sollte diese Krise eingefroren werden, damit man bei weniger schwierigen Fragen prüfen kann, ob Russland seine Politik ändern will. Dazu muss man eine Tür öffnen, Schritt für Schritt Veränderungen zu ermöglichen. Wenn Putin diese Chance nicht nutzen will, sollten Sanktionen eher verschärft als gelockert werden. Besonders die Grünen haben sich über diesen Vorschlag empört. Die schauen lieber ideenlos der Eskalation und einer neuen Aufrüstungsspirale zu.

Putin unterstützt die prorussischen Rebellen in der Ost-Ukraine. Ist das im Einklang mit dem Völkerrecht?

Lindner Nein.

Sehen Sie weiter die Krim als "dauerhaftes Provisorium"?

Lindner Ja, das mache ich täglich. Man kann die völkerrechtswidrige Annexion der Krim nicht anerkennen, aber wir werden sicher noch einige Zeit damit leben müssen.

Die FDP hat eine lange Tradition der Festigkeit in außenpolitischen Fragen. Ist das obsolet?

Lindner Das Gegenteil ist der Fall. Es war die von Liberalen mitgeprägte Entspannungspolitik, die den Eisernen Vorhang fallen ließ. Die FDP hat Festigkeit immer mit Dialogbereitschaft verbunden. Es geht um Härte einerseits, Angebote zur Kooperation andererseits. Dazu sollten wir zurückkehren. Ich erinnere daran, dass Hans-Dietrich Genscher vor genau zwei Jahren einen Neuanfang mit Putin gefordert hat. Für mich persönlich war damals der Zeitpunkt zu früh und sein Vorschlag zu weitgehend. Im Kern hatte Genscher aber damals recht. Und das weltpolitische Umfeld ist seitdem noch schwieriger geworden.

Martin Kessler führte das Gespräch.

(kes)
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