CSU-Minister Christian Schmidt "Obergrenze für Einwanderung von Flüchtlingen ist unnötig geworden"

Berlin · Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Haltbarkeit von Lebensmitteln, Premium-Schweineställe, die möglichen Folgen eines Brexits für die Landwirte und sein Ernährungsverhalten.

Landwirtschaftsminister Christian Schmidt hat sein Ernährungsverhalten geändert, seit er das Ministeramt übernommt hat.

Landwirtschaftsminister Christian Schmidt hat sein Ernährungsverhalten geändert, seit er das Ministeramt übernommt hat.

Foto: dpa, ped lof wst

Herr Schmidt, haben Sie Ihr eigenes Ernährungsverhalten geändert, seit Sie der zuständige Minister sind?

Schmidt Ja, das ist tatsächlich so. Schließlich will ich nicht dem Credo von Helmut Kohl folgen, wonach ein Landwirtschaftsminister immer einen Bauch haben sollte. Also esse ich von allem etwas, aber nicht zu viel. Und ich kaufe jetzt vor allem bewusster ein.

Sie werden sicher keinen "Veggie-Day" wie einst die Grünen fordern. Aber stimmt es, dass wir Deutschen zu viel Fleisch essen?

Schmidt Der Verbraucher sollte entscheiden, was er isst und was nicht. Dazu braucht es keine staatlichen Vorgaben, sehr wohl aber Aufklärung und Informationen. Außerdem halte ich es für zu kurz gedacht, mit staatlich verordnetem Fleischverzicht das Klima retten zu wollen. Dafür braucht es intelligente Lösungen. Deshalb setze ich auf innovative Landwirtschaft und investiere in die Forschung.

Schließen Sie sich der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung an, die maximal 600 Gramm Fleisch pro Woche empfiehlt?

Schmidt Als Minister möchte ich dazu keine Vorgaben machen. Ernährung ist nicht statisch. Ich selbst betrachte mich als Flexitarier und versuche, eine gute Mischung aus Fisch, Fleisch und Gemüse zu essen. Das gelingt mir in der Berliner Hektik aber zugegebenermaßen nicht immer.

Bei Fleischprodukten achten immer mehr Verbraucher auf die Produktionsbedingungen. Bisher bietet aber nur das Bio-Siegel Orientierung.

Schmidt Deswegen setze ich mich für ein Tierwohl-Label auf Verpackungen ein, das ich im Januar vorstellen möchte. Die Tierwohlinitiative der Erzeuger gemeinsam mit dem Bauernverband ist leider unterfinanziert, so dass viele Landwirte Risiken eingehen müssen, wenn sie für mehr Tierwohl in den Ställen sorgen wollen. Ein Label auf Verpackungen könnte helfen, dem Verbraucher zu signalisieren, unter welchen Bedingungen ein Tier gehalten wurde. Eine mögliche Denkrichtung ist ein Drei-Stufen-System, von Standard bis Premium etwa. Das setzt bei Handel und Fleischerzeugern Anreize, sich für mehr Tierwohl bei der Produktion einzusetzen. Zudem gibt es Bauern die Möglichkeit, ihre Einnahmen zu verbessern.

Gleichzeitig bleiben aber die Lebensmittelpreise niedrig und der Anteil weggeworfener Lebensmittel recht hoch. Was wollen Sie da ändern?

Schmidt Richtig ist, dass in Deutschland jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll landen. Das möchte ich bis 2030 halbieren. Um dieses Ziel zu erreichen, plane ich eine Reform des Mindesthaltbarkeitsdatums. Es ist doch so: Viele Verbraucher interpretieren heute den Aufdruck als Verfallsdatum und schmeißen nach Ablauf zum Beispiel einen noch genießbaren Joghurt ungeöffnet weg. Das muss nicht sein.

Wie wollen Sie dem vorbeugen?

Schmidt Ich möchte bei Produkten, die im Grunde nicht schlecht werden, wie Nudeln oder Kaffee, kein Mindesthaltbarkeitsdatum auf der Verpackung haben. Bei allen anderen Produkten, die in der Regel einige Wochen haltbar sind, kann es ja beim Mindesthaltbarkeitsdatum bleiben. Zusätzlich möchte ich ein Verbrauchsverfallsdatum einführen, so dass die Verbraucher einen Korridor erkennen können zwischen Mindesthaltbarkeit und dem tatsächlichen Verfall eines Produkts. An erster Stelle steht allerdings bei allen Überlegungen der gesundheitliche Verbraucherschutz.

Klingt für den Verbraucher kompliziert . . .

Schmidt Ganz und gar nicht. Wir unterstützen Projekte, die eine sichere und ressourcenschonende Lebensmittelproduktion zum Ziel haben. Ein Beispiel ist die Entwicklung intelligenter Verpackungen. Hierfür stehen insgesamt rund zehn Millionen Euro zur Verfügung. Nach meiner Vorstellung wären zum Beispiel sensitive Folien auf den Deckeln von Joghurtbechern nützlich, die farblich anzeigen, ob das Produkt noch genießbar ist oder nicht. Für all das benötigen wir jedoch eine Reform europäischer Regeln - und damit Zeit. Die Kommission reagierte auf den Vorschlag für eine Weiterentwicklung des Haltbarkeitsdatums aber schon mal grundsätzlich offen.

Auf europäischer Ebene herrschen derzeit Sorgen wegen des Brexits. Welche Folgen hätte ein britischer EU-Austritt für deutsche Bauern?

Schmidt Sollten sich die Briten wirklich aus der EU verabschieden, kommt es auf die künftigen Handelsregeln an. Klar ist aber, dass unsererseits ein Handelsüberschuss im Wert über drei Milliarden Euro pro Jahr auf dem Spiel stünde. Am meisten profitieren die Exporteure von Schokolade, Schweinefleisch sowie Getreide.

Wirken sich die Russland-Sanktionen in gleicher Größenordnung aus?

Schmidt Großbritannien ist für uns mindestens viermal bedeutender als der Handel mit Russland, das im Moment weiter an seinem Lebensmittelembargo gegen uns festhalten will. Dennoch müssen wir im Gespräch bleiben, um den Markt perspektivisch wieder zugänglich zu machen. Viel schlimmer wäre jedoch, käme das Freihandelsabkommen mit Kanada nicht durchs Parlament. Wir sind ein Exportland, und ich wundere mich wirklich über die kruden Argumente mancher Nichtregierungsorganisationen. Wenn Ceta platzt, wären die Folgen eines Brexits nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was dann an Lasten für die Wirtschaft auf uns zukäme.

Das bringt uns zur misslichen Lage der Milchbauern. Sind die Meldungen vom Höfesterben korrekt?

Schmidt Bisher sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Allerdings müssen wir tatsächlich schnell für Strukturreformen und kurzfristige, finanzielle Hilfen kämpfen. Ich möchte noch in der Sommerpause einen dreistelligen Millionenbetrag nennen können, mit dem wir speziell den Milchbauern unter die Arme greifen werden. Dazu laufen die Gespräche mit Bund, Ländern und Brüssel. Aber das Problem lässt sich nicht nur mit Geld lösen.

Herr Schmidt, was empfehlen Sie der Union nach all dem Streit für den Wahlkampf? Näher aneinanderrücken oder getrenntes Auftreten?

Schmidt Die beiden Parteien müssen zu unterscheiden sein. Die CSU ist kein Landesverband der CDU. Aber wir bleiben Schwestern.

Wird es im Wahlkampf 2017 trotzdem wieder einen "Bayernplan" geben, der dann das Wort "Obergrenze" enthält?

Schmidt Ich gehe fest davon aus, dass es wieder einen Bayernplan geben wird. Aber die gegenwärtige Situation entlang der bayerischen Grenze ist deutlich entspannter als noch vor wenigen Monaten. Eine Obergrenze für die Einwanderung von Flüchtlingen ist durch die geringen Migrationszahlen unnötig geworden. Ich hoffe sehr, dass es so bleibt.

JAN DREBES UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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