Gewalt zwischen Einheimischen und Flüchtlingen Cottbus ruft um Hilfe

Cottbus · Überfälle auf Flüchtlinge, Messerattacken gegen Einheimische: Cottbus ist mit Gewalttaten in die Schlagzeilen geraten. Die brandenburgische Landespolitik versucht, mit mehr Geld und einem Zuzugsstopp gegenzusteuern.

 Teilnehmer der Kundgebung des Vereins ·Zukunft Heimat· am stehen am 20. Januar 2018 in Cottbus nebeneinander.

Teilnehmer der Kundgebung des Vereins ·Zukunft Heimat· am stehen am 20. Januar 2018 in Cottbus nebeneinander.

Foto: dpa, michael helbig fpt

Anfang Februar sind die Straßen in Cottbus bunt. Tausende kostümierte Narren werden dann beim "Zug der fröhlichen Leute", dem längsten und größten Fastnachtsumzug Ostdeutschlands, auf die Straßen gehen. Heiterkeit kehrt in die im südöstlichen Brandenburg gelegene 100.000-Einwohner-Stadt ein. Am vergangenen Wochenende indes sah es in Cottbus ganz anders aus: Rund 1500 Menschen folgten dem Aufruf des rechtsextremen Bündnisses "Zukunft Heimat". Eine Landtagsabgeordnete der AfD war unter den Rednern. Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung, Skinheads und Nazis demonstrierten zusammen mit ganz normalen, enttäuschten Bürgern.

Was war geschehen? In der Stadt, die in den vergangenen Monaten wie kaum eine andere Stadt in Brandenburg Flüchtlinge aufgenommen hatte und in dem Bundesland als Musterbeispiel für Integrationsprojekte gilt, hatte es mehrere Übergriffe jugendlicher syrischer Flüchtlinge auf Einheimische gegeben. Ein 16-jähriger Cottbuser wurde bei einer Messerstecherei verletzt. Und am Neujahrsmorgen waren afghanische Flüchtlinge in ihrer Unterkunft von Neonazis überfallen worden. Die Situation eskalierte - doch schon zuvor hatten viele Faktoren zu einer unguten Grundstimmung in der Region beigetragen.

Cottbus ist hoch verschuldet

Cottbus ist, wie alle kreisfreien Städte in Brandenburg, hoch verschuldet. Von der Politik fühlt sich die Stadt vernachlässigt. Immer wieder versuchte das rot-rote Kabinett im fernen Potsdam, Reformen gegen den Willen eines erheblichen Teils der Cottbuser durchzusetzen - erst wurde die örtliche Hochschule fusioniert, dann gab es eine letztlich gescheiterte Kreisgebietsreform, bei der Cottbus zwangsweise eingemeindet werden sollte. Dazu kommt die wirtschaftliche Unsicherheit: Noch immer ist die Stadt von der Braunkohleindustrie abhängig. Zwar hat in den vergangenen Jahren ein durchaus bemerkenswerter Strukturwandel eingesetzt, doch längst nicht alle Menschen in der Region können daran schon teilhaben. Manche fühlen sich schlicht abgehängt.

Für den Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) war die Gewalt zwischen den deutschen und den ausländischen Bewohnern der Stadt gestern ein Grund, sich mit einem lauten Hilferuf an die Öffentlichkeit zu wenden. Vor dem Ausschuss für Inneres und Kommunales des Brandenburger Landtags machte er klar, dass der Stadt die Situation aus der Hand gleiten könnte. "Wir haben schon jetzt einzelne Familien, die Sozialarbeitern den Zugang verweigern", schilderte Kelch die Flüchtlingssituation in der Stadt. Mit "Kuschelpädagogik" komme man dort nicht weiter. "Angestellte der Stadtverwaltung werden nur noch respektiert, wenn sie mit Uniform in die Familien gehen", sagte Kelch. "Wir haben nur noch mit Begleitung von Ordnungsamtsmitarbeitern die Möglichkeit, an die Familien heranzukommen."

Frauen würden generell nicht mehr ernst genommen. Sollte sich die große Koalition im Bund auf einen Familiennachzug für Syrer einigen, sei die Stadt dem nicht gewachsen. Dann müsse man mit weiteren 1500 Zuzüglern rechnen. "Wenn wir es nicht schaffen, in die Familien zu kommen, werden wir hier Verhältnisse haben wie in vielen westdeutschen Metropolen." Die Stadt Cottbus habe bereits im März 2017 einen Antrag auf Zuzugssperre gestellt, dem habe aber die Landesregierung nicht zugestimmt.

Eine syrische Frau zeichnet in Cottbus ein düsteres Bild. "Manche Ausländer und manche Deutsche machen Probleme", sagt die 45-Jährige. "Das ärgert uns, das macht uns Angst." Als sie vor zwei Jahren nach der Flucht aus ihrer Heimat nach Cottbus gekommen sei, habe sie "alles sehr gut gefunden". Sie hat schnell Deutsch gelernt und arbeitet inzwischen als Übersetzerin. "Wir hatten das gute Gefühl, wir sind jetzt in Sicherheit", erzählt sie. Doch seit einigen Wochen sei alles anders, und sie überlege nun, aus Cottbus wegzuziehen. "Das ist schade", sagte sie. Und: "Ich bin traurig."

"Enthemmte rassistische Gewalt in Cottbus"

Der Verein Opferperspektive, der Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg unterstützt, spricht von "enthemmter rassistischer Gewalt" in Cottbus. Die Stadt ist seit langer Zeit eine Hochburg der Neonazi-Szene in Brandenburg. Die AfD ist dort bei der Bundestagswahl mit gut 24 Prozent stärkste Partei geworden.

Eine Frau am Cottbuser Bahnhof sagt zum Thema Flüchtlinge: "Ich habe welche im Haus, ich habe damit kein Problem." Allerdings: "Man muss nicht alles reinholen und reinlassen." Rund 15 Prozent seiner Kunden seien "Neu-Deutsche", sagt ein Verkäufer in einem Einkaufszentrum, wo es wiederholt zu Übergriffen kam. "95 Prozent empfinde ich davon als normal", sagt er. Einig sind sich die meisten, dass es nur mit wenigen Flüchtlingen Schwierigkeiten gebe, nämlich mit jungen Männern in Gruppen. Die seien laut, auch respektlos, zum Teil aggressiv, sagen sie.

Brandenburgs rot-rote Landesregierung immerhin scheint langsam aufzuwachen. Während die Potsdamer Verantwortlichen noch im vergangenen Jahr selbst nach Aussage der örtlichen SPD-Landtagsabgeordneten Kerstin Kircheis alle Hilferufe aus Cottbus vor sich hergeschoben haben, entschied Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) nun, zumindest keine Flüchtlinge mehr aus der Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt nach Cottbus zu schicken. Zudem solle es mehr Polizisten, mehr Sozialarbeiter und mehr Kindertagesstätten und Schulen in der Stadt geben, kündigten Schröter und seine Kabinettskollegen an.

Doch bis solche Maßnahmen greifen, wird noch viel Wasser die durch Cottbus dahinplätschernde Spree hinabfließen. Vorerst jedenfalls wird man Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) vor allem kostümiert in Cottbus sehen - wenn er, wie jedes Jahr, an der Aufzeichnung der Fernsehgala "Heut steppt der Adler" teilnimmt oder am 11. Februar, beim "Zug der fröhlichen Leute", zu schunkeln beginnt. Und in Cottbus die Heiterkeit einzieht.

(RP/epd)
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