CSU-Parteitag Horst Seehofer — der Risikospieler

Horst Seehofer spielt mit seiner CSU, schmeichelt sich beim Parteitag in München selbst mit riskantem, aber erfolgreichem Taktieren und offenbart sich als Risikospieler einer Strategie mit höchsten Einsätzen.

CSU-Parteitag: Horst Seehofer - der Risikospieler
Foto: Sven Hoppe

Man stelle sich irgendwo in Deutschland einen Parteivorsitzenden auf Orts-, Kreis- oder Landesebene vor, der statt einer angekündigten Grundsatzrede 21 Minuten lang nur anderen dankt, dass sie für ihn die Arbeit machen und er von diesem "Zeug" verschont bleibe.

Man stelle sich erschwerend vor, dass dieser Parteivorsitzende vor dem Delegiertentreffen öffentlich über seine Nachfolge und seinen möglichen Rücktritt spekuliert hat und dann sagt, man möge ihm doch bitte vertrauen, dass er sich über die Weihnachtstage das noch mal gründlich durch den Kopf gehen lasse. Ein solcher Parteichef wäre sicherlich schneller am Ende als der Parteitag selbst.

Weil CSU-Chef Horst Seehofer so vorgeht an diesem Novemberwochenende in München, gibt es ein ziemliches Gegrummel unter den Delegierten. Keine elf Monate vor der Bundestagswahl macht er Richtungsvorgaben, die allesamt personell im Nebel münden. Manche sind fassungslos, wie wenig sich Seehofer bemüht, die eigenen Leute mitzureißen, sie zu Ovationen zu treiben, glückselig und siegesgewiss in die Heimatwahlkreise zu schicken.

So wenig Zwischenapplaus hat es wohl selten bei einer Einstimmungsrede zur Parteitagseröffnung gegeben, die mit 103 Minuten auch wieder deutlich zu lang geriet und den Eindruck vermittelte, Seehofers am Ende brüchige Stimme lege eine brüchig gewordene Stellung frei.

Doch was bei ähnlicher Stimmungslage in der CSU in der Vergangenheit die rebellischen Instinkte weckte und den Ruf nach Sturz laut werden ließ, führt jetzt allenfalls zu einem verbreiteten Stirnrunzeln. Oder wird beiseite gewischt durch Selbstsuggestion: Der wird's schon richten! Hat er doch rechtzeitig zum Parteitag die Bayern-Milliarde aus dem Länderfinanzausgleich verhandelt, hat er doch das verbreitete Gefühl wieder und wieder artikuliert, dass Angela Merkels Flüchtlingspolitik nicht mit rechten Dingen zugeht, hat er doch selbst mit der Pkw-Maut wider allen Erwartungen plötzlich Erfolg.

Und so folgen die tausend Delegierten und geben Ruhe, und Seehofer das verlangte Grundvertrauen für seine Personalstrategie. Die zeichnet sich auch dadurch aus, die Kronprinzen permanent in Unsicherheit über ihre Aussichten zu belassen. Da schafft es Seehofer in 103 Minuten, über die großartige Wirtschaftspolitik zu sprechen, aber Wirtschaftsministerin Ilse Aigner kein einziges Mal zu erwähnen, über die großartige Finanzpolitik zu sprechen, aber Finanzminister Markus Söder kein einziges Mal zu erwähnen. Und zu dem Portfolio der Nachfolge-Aspiranten flugs noch ein paar hinzuzufügen.

Minutenlang überschüttet er den Landtagsabgeordneten Markus Blume mit Lob und kündigt vor dem Parteitag an, dass er mit einem, der als Chef der Programmkommission einen derart exzellenten Job gemacht habe, noch Großes vorhabe. Und mehrfach bringt er Verkehrsminister Alexander Dobrindt wieder als Hoffnungsträger der Partei ins Gespräch.

Söder spielt mit im Kandidaten-Mikado

So viele haben den Wahlspruch der Römer — divide et impera, teile und herrsche — zu befolgen versucht. Doch nur einem gelingt es wirklich, über so lange Zeit immer wieder neu zu teilen und immer weiter zu herrschen. Er hat eine Situation geschaffen, in der einer wie Söder nur schwer an sich halten kann, zumal der eine große Mehrheit in der Landtagsfraktion hinter sich wähnt. Doch sicher kann er nicht sein. Wiederholt hat Seehofer Widerstand schmerzhaft abgestraft.

So spielt Söder mit beim Kandidaten-Mikado: Bloß nicht wackeln, denn wer zuerst zittert, hat verloren. Aber es bleibt ein Risiko, die Spitzenkandidatur und die Frage, ob die CSU ihren künftigen Vorsitzenden ins Bundeskabinett schickt, so lange nicht zu klären. Werden doch überall schon die Direktkandidaten bestimmt. Risikospieler Seehofer will es offenbar möglichst lange offen lassen und schauen, wer die besseren Nerven hat und den größtmöglichen Erfolg verspricht. Und nebenbei lässt er ein weiteres Ass aus dem Ärmel blitzen: Mehr als die Hälfte der Bayern wollten, dass Seehofer beide Posten weiter selbst besetzt.

Es ist aber auch ein thematisch hochriskantes Vorgehen. Zwar entschuldigt sich Seehofer auf seine Weise für das, was er beim gemeinsamen Auftritt mit Angela Merkel vor einem Jahr auf ebendieser Parteitagsbühne verbockte, als er ihr minutenlang die Leviten las und die Kanzlerin vorführte wie ein Schulmädchen.

Nun spricht er davon, dass es ein "grober politischer Fehler" wäre, Dissens auf offener Bühne auszutragen. Aus der hypothetischen Formulierung wird eine Selbstanklage, indem er unterstreicht, da so seine Erfahrungen gemacht zu haben. Dabei weist er mit einer Kopfbewegung auf die Stelle, an der vor einem Jahr Merkel stand, und macht den Sack zu mit der Bemerkung, es sei doch "nicht verkehrt", wenn man "im höheren Alter klüger" werde.

Das ist erkennbar Teil seiner Bemühungen, die selbst gesprengten Risse in der Union wieder zu kitten, weil die Union nur gemeinsam und nicht im Streit die Bundestagswahlen 2107 gewinnen und damit die Vorlage für erfolgreiche Landtagswahlen 2018 liefern könne. Unter seinen fünf thematischen "Kompassnadeln in die Zukunft" kommt die Flüchtlingsfrage nach der Inneren Sicherheit und den Steuererleichterungen nur noch an der dritten Stelle.

Keine Versöhnung mit Merkel um jeden Preis

Doch es bleibt für ihn dabei, dass er hier die "Seele der CSU nicht verkaufen" werde. Sprich: Keine Versöhnung mit Merkel um jeden Preis, eher eine Verständigung darauf, mit zwei leicht unterschiedlichen Konzepten vor die Wähler zu treten. Das ist in der Vermittlung von Unions-Einigkeit bestenfalls herausfordernd zu nennen.

Zudem hat Seehofer etwas losgetreten, was er noch nicht beruhigt bekam. Die an der CSU-Basis weit verbreitete "Merkel-muss-weg"-Stimmung, die Seehofer übers Jahr mit zuerst anklagend-vorwurfsvollen, später vor allem süffisanten Bemerkungen anfeuerte, macht ihm nun selbst zu schaffen in dem Bemühen, die Christsozialen wieder hinter Merkel als wichtigstem Erfolgsfaktor für die nächste Bundestagswahl zu versammeln.

Geschätzt jeder dritte CSU-Anhänger ist noch auf dem Baum, will offenbar nicht runter. "16-plus-3" wird deshalb zur Hoffnungsformel des Parteichefs. Der Antrag, die CSU-Abgeordneten darauf festzulegen, auf keinen Fall 2017 Merkel erneut zu wählen, findet bei einigen hundert Delegierten im Saal 16 Befürworter bei drei Enthaltungen. Verschwunden ist die Anti-Merkel-Stimmung also noch nicht, bleibt das Risiko im Geschehen.

Nicht ohne Risiko ist auch seine Volte, die Mitglieder darüber abstimmen zu lassen, ob sich die CSU für bundesweite Volksentscheide einsetzen soll. Das Ergebnis zeigt die ganze Tücke. Offiziell feiert die Parteiführung ein eindeutiges Votum: Mit 68,8 Prozent hätten "mehr als zwei Drittel der Mitglieder" für die Volksentscheide gestimmt. Wer genauer hinsieht, entdeckt, dass sich lediglich 36 Prozent aller Mitglieder an der Abstimmung beteiligten, somit exakt 24,82 Prozent festlegen konnten, welchen Kurs die Partei nehmen soll. Übertragen auf die Republik bedeutete dies, dass radikale Ränder gegen die Repräsentanten von 75 Prozent der Bevölkerung bestimmen könnten, wohin dieses Deutschland geht. So etwas darf ebenfalls riskant genannt werden.

Das gilt erst Recht für die Grundausrichtung, die Seehofer seiner Partei verordnet. Sowohl das neue Grundsatzprogramm mit einer Schärfung eines "Mitte-Rechts" verorteten Parteiprofils als auch Leitanträge, die gegen eine Linksfront in Deutschland und gegen einen "politischen Islam" mobil machen, dienen dem strategischen Ziel, das dauerhafte Festsetzen der AfD neben der CSU zu verhindern.

Die AfD ist das Schreckgespenst der Union

"Tektonische Verschiebungen" habe es in den zurückliegenden Monaten gegeben, analysiert Seehofer und fürchtet, dass die Union mit der AfD das erlebt, was der SPD zuerst mit den Grünen und dann mit der Linken passiert ist: Wählersegmente, die sich abwenden und eine klassische Volkspartei immer weiter schrumpfen lassen, weil sie neue Heimaten neben der Sozialdemokratie gefunden haben. Aber auch innerhalb der Partei ist der Kurs als riskant bewertet.

Da wird gefragt, was die CSU gewinne, wenn sie die Thesen der AfD bediene und sich mit scharfen Positionierungen als christliche Partei auch von den christlichen Kirchen absetze. Ganz davon zu schweigen, dass es ohnehin riskant ist, einen aufgeklärten Islam stärken zu wollen, indem der politische Islam unter generellen Extremismus-Verdacht gestellt wird.

Es ist Seehofers leidenschaftlicher Versuch, diese tektonische Bewegung zu stoppen und zurückzudrehen. Bei solchen Dimensionen versteht sich von selbst, dass das nur die Besten und Stärksten können. Und die bereit sind zum Risiko. Da hat Seehofer offenbar noch nicht die richtige Person gefunden. Außer sich selbst.

(may-)
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