Nach den Landtagswahlen CSU vermisst klares Signal von Kanzlerin Merkel

Berlin · Mit einer Welle von Aufrufen zur Geschlossenheit versuchte die CDU nach dem Wahldebakel, der wachsenden CSU-Kritik am Flüchtlingskurs zu begegnen. Die bayerische Schwesterpartei erinnert das irgendwie an Lemminge.

 Was denkt sich die Kanzlerin nur? Aber dieses Bild ist keinem Comic aus Berlin entnommen, sondern zeigt die Bundeskanzlerin beim Rundgang über die Cebit in Hannover vor einem überdimensionierten Cloud-Symbol.

Was denkt sich die Kanzlerin nur? Aber dieses Bild ist keinem Comic aus Berlin entnommen, sondern zeigt die Bundeskanzlerin beim Rundgang über die Cebit in Hannover vor einem überdimensionierten Cloud-Symbol.

Foto: ap

Als es am Nachmittag hinter verschlossenen Türen in der gemeinsamen Bundestagsfraktion zur Abrechnung nach dem Wahldesaster kam, verstärkten die Christsozialen das Feuer. Und zur Geschlossenheit fiel CSU-Rechtspolitiker Hans-Peter Uhl vor allem eines ein: "Der Zug der Lemminge ist auch eine geschlossene Veranstaltung."

Herzhaftes Gelächter hallt durch den Fraktionssaal. Wenigstens lachen können Merkel-Gegner und Merkel-Unterstützer noch zusammen.Nur kurz, dann prägte die Sorge um die Zukunft der Union wieder die Wortmeldungen. Noch eine und noch eine und noch eine. Über Stunden. Die vorherrschende Motivlage der AfD-Wähler brachte etwa Christoph Bergner auf den Punkt, "die CDU wieder auf die Spur zu bringen". Bergner war Ministerpräsident in jenem Land, in dem es nun selbst für die große Koalition nicht mehr reicht, weil die AfD jede vierte Wählerstimme bekam.

Das treibt vor allem die CSU um. Die massiven Attacken des Parteivorsitzenden Horst Seehofer auf die Flüchtlingspolitik der CDU-Kanzlerin anlässlich der Wahlnachlese waren kein einmaliger Frustabbau. Das machte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt am nächsten Tag klar, als sie Seehofers Warnungen vor Merkels Türkei-Politik eins zu eins wiederholte. Zwar wollte sie Seehofers Wort vom drohenden "Absturz" der Union nicht verwenden, doch diagnostizierte sie eine "sehr ernste Lage für die etablierten Parteien und insbesondere für die konservativen".

Wenn die eher zum Florett neigende Landesgruppenchefin zum Säbel greift, dann ist Druck im Kessel, dann ist für die CSU der Punkt gekommen, nicht nur Ja zu europäischen Lösungen zu sagen, sondern parallel nationale "Maßnahmen an der Grenze" anzupacken. Zwar hatte Seehofer selbst stets betont, dass am Ende nur zählt, wie viele Flüchtlinge kommen, doch dass die CSU die verstärkte Grenzkontrolle ausgerechnet zu einem Zeitpunkt verlangt, an dem die Zahl der Flüchtlinge von über 3000 auf unter 100 täglich gesunken ist, belegt, dass die Zahl der AfD-Wähler die Union derzeit viel mehr schreckt als die Zahl der Flüchtlinge.

Zwar hat Merkel in den letzten Monaten schon ungezählte Male selbst vor der Überforderung Deutschlands gewarnt. Doch nun fordert Hasselfeldt sie auf, endlich das Signal zu geben, dass "Deutschland nicht die Probleme vieler Krisen- und Armutsländer lösen" könne. Und wenn die Sicherung an Europas Außengrenzen nicht funktioniere, "dann müssen wir auch an unseren nationalen Grenzen Maßnahmen ergreifen", verlangt Hasselfeldt. So sollten alle Flüchtlinge abgewiesen werden, die sich nicht ausweisen könnten.

Die Zweifel an der Linie des Kanzleramtes reichen in einzelnen Punkten weit über die CSU und die Gruppe jener 44 Abgeordneten hinaus, die im Januar Merkel einen Brief schrieben. So widerspricht auch Norbert Röttgen, Chef des Auswärtigen Ausschusses, der Einschätzung von Kanzleramtschef Peter Altmaier, die Türkei sei europäischer als manche EU-Mitglieder. Relativ bescheiden ist schon Fraktionschef Volker Kauder in die Sitzung gegangen. Lange her scheinen die Zeiten, als er nur eine kleine Minderheit von Gegnern sah. Nun glaubt er nur noch daran, "dass der Kurs der Bundesregierung richtig ist und der auch von der Mehrheit der Fraktion getragen wird".

Mehrheit. Nicht große Mehrheit. Ausdrücklich bedauert Kauder, dass das gemeinsame Ziel im aktuellen Streit "leider untergeht". Und er kritisiert: "Obwohl die Zahl der Flüchtlinge im Augenblick erheblich zurückgegangen ist, wird teilweise so diskutiert, als wenn sich überhaupt noch nichts getan habe." Sein Appell findet bei vielen keinen Widerhall. Doch gibt es oft demonstrativen Applaus für Kritik am unionsinternen Streit: "Wir tragen alle die Verantwortung dafür, dass die Menschen die richtigen Informationen bekommen und nicht durch Botschaften verunsichert werden", beschwört Kauder.

Vor dem Spitzentreffen am Mittwoch von CDU und CSU zur Flüchtlingspolitik gibt es indes nur wenig Hoffnung, dass eine Verständigung gelingt. Ungeduldig beobachtet das auch der Koalitionspartner. "Der Streit in der Union schadet Deutschland bei den schwierigen Verhandlungen mit der Türkei", sagt SPD-Vize Ralf Stegner unserer Redaktion. Was Seehofer nun verhindern wolle, habe er selbst am 5. November mit beschlossen.

Seehofer falle nicht nur der Kanzlerin in den Rücken, sondern untergrabe die deutsche Verhandlungsposition und verhindere damit eine europäische Lösung in der Flüchtlingsherausforderung. "Frau Merkel muss dafür sorgen, dass sich Seehofer an die verabredete Politik der Bundesregierung hält, oder die CSU-Minister entlassen", fordert Stegner. Deutschland brauche "keinen verlängerten Arm von Viktor Orbán in der Bundesregierung".

"Ich bin bereit, die Dinge vernünftig zu behandeln, weil wir zusammengehören", sagte Angela Merkel am Dienstag Angaben von Teilnehmern zufolge nach dreistündiger Debatte in einer denkwürdigen Fraktionssitzung.

Was immer das bedeuten mag.

(RP)
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