Öffentliche Finanzen Das Märchen von der schwarzen Null

Dinslaken · Ein ausgeglichener Bundeshaushalt wird von Union und SPD als seriös verkauft. Das Gegenteil ist der Fall - jahrelang wurden Kosten auf die Kommunen abgewälzt. Höchste Zeit, dass der Bund seine Rechnungen bezahlt. Ein Gastbeitrag.

 Euro-Münzen (Symbolbild).

Euro-Münzen (Symbolbild).

Foto: Oliver Berg/dpa

Als sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, der zudem die Bürde einer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung zu tragen hat, hat man es nicht leicht in diesen Tagen. Eine besondere Herausforderung stellt für uns der Umstand dar, Zeuge einer Gespensterdebatte um die schwarze Null, also einen ausgeglichenen Bundeshaushalt, sein zu müssen.

Da hat die Union den Wechsel der Zuständigkeit für Finanzen hin zur SPD mit lautem Wehklagen begleitet. Sie befürchtet, dass das Erbe von Wolfgang Schäuble - nämlich in den acht Jahren seines Wirkens als Finanzminister Garant für eine seriöse Finanzpolitik und der schwarzen Null auf Bundesebene gewesen zu sein - in Gefahr gerate. Und der neue Finanzminister Olaf Scholz hatte schon vor Amtsantritt nichts Eiligeres zu tun, als zu beteuern, dass er die seriöse Finanzpolitik der schwarzen Null seines Amtsvorgängers natürlich fortzusetzen gedenke.

 Der Autor: Michael Heidinger, Jahrgang 1963, ist Sozialdemokrat, promovierter Volkswirt und Bürgermeister von Dinslaken.

Der Autor: Michael Heidinger, Jahrgang 1963, ist Sozialdemokrat, promovierter Volkswirt und Bürgermeister von Dinslaken.

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Spätestens jetzt tritt beim Ökonomen und aktiven Kommunalpolitiker ein erhebliches Störgefühl auf und die Frage auf den Plan, was denn wohl an der Finanzpolitik der letzten acht Jahre seriös gewesen sein soll. Wie seriös ist eine Politik der schwarzen Null, die den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben nur deswegen erreicht, weil sie Ausgaben, die durch Bundesgesetze verursacht werden und damit vom Bund zu verantworten sind, auf andere Gebietskörperschaften, und hier insbesondere auf die Kommunen, abwälzt? Genau dieses Verhalten hat aber die Finanzpolitik auch in den letzten acht Jahren mit der Folge geprägt, dass mittlerweile rund 90 Prozent der durch Bundesgesetze in besonderer Weise belasteten kommunalen Haushalte fremdbestimmt sind. Und hierfür trägt Wolfgang Schäuble die Verantwortung.

Um gerecht zu bleiben: in den letzten vier Jahren unter Mitverantwortung des sozialdemokratischen Teils der Bundesregierung. Schäubles Finanzpolitik darf deshalb nicht nur nicht fortgesetzt werden, sie muss vielmehr im Interesse einer dann wirklich seriösen Finanzpolitik sofort beendet werden.

"Wer bestellt, bezahlt"

Dass das passiert, dafür bietet der zwischen Union und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag große Chancen. In ihm ist endlich eine Forderung berücksichtigt, die die Kommunen schon seit Jahren erheben: die Umsetzung des Konnexitätsprinzips ("Wer bestellt, bezahlt"). Wer allerdings die weiteren in diesem Kapitel des Koalitionsvertrages gemachten Ausführungen auf sich wirken lässt, dem müssen Zweifel kommen, ob die Autoren die mit der vollständigen Umsetzung des Konnexitätsprinzips einhergehenden Konsequenzen auch vollständig bedacht haben.

Denn in einer Situation, in der der Bund vollständig die finanzielle Verantwortung für die im Bundestag beschlossenen Leistungen übernimmt, also endlich seine Rechnungen bezahlt, gäbe es die im Koalitionsvertrag thematisierten "finanzschwachen Kommunen" nicht mehr, die auf eine Entlastung des Bundes oder auf Hilfen für strukturschwache Regionen angewiesen sind.

Wie ist das zu erklären? Durch eine Definition und einen Blick in die Struktur der kommunalen Haushalte!

Als finanzschwach dürfte sinnvollerweise eine Kommune nur dann bezeichnet werden, wenn die rein für kommunale Belange vorgesehenen Einnahmen, also im Wesentlichen die Grundsteuer B, die Gewerbesteuer sowie die Gewinne kommunaler Beteiligungen, nicht ausreichen, die Ausgaben der kommunalen Daseinsvorsorge für Kultur, Sport, öffentliche Gebäude, Grünanlagen und so weiter zu finanzieren. Das ist aber nicht der Fall.

Der Bund soll seine Rechnungen bezahlen

Fakt ist vielmehr, dass die oben beschriebenen Einnahmen die Ausgaben der Kommunen für ihre ureigenen Aufgaben deutlich übersteigen, in den Städten Dinslaken, Oberhausen, Duisburg und Dortmund sogar doppelt so hoch sind. Diese Kommunen sind folglich nicht finanzschwach und brauchen auch keine Strukturhilfen. Auf eines allerdings sind sie angewiesen: dass der Bund endlich seine Rechnungen bezahlt und sie nicht mit den bekannten Folgen zwingt, mit ihren kommunalen Einnahmen die Bundesgesetze für die soziale Sicherung zu begleichen.

Mir ist nur zu bewusst, dass die vollständige Umsetzung des Konnexitätsprinzips, also die sofortige Übernahme aller durch Bundesgesetze verursachten Auszahlungen durch den Bund, zu erheblichen Verwerfungen im Bundeshaushalt führen würde und insofern nicht leistbar ist. Die Realisierung des Konnexitätsprinzips sollte deshalb in drei Schritten erfolgen.

In einem ersten Schritt ist zu regeln, dass alle mit dem Erlass neuer Gesetze oder der Veränderung bereits bestehender Gesetze verbundenen Auszahlungen durch den Bund übernommen werden, und zwar vollständig. Die Verankerung sollte zur Erhöhung der Verlässlichkeit dabei im Grundgesetz erfolgen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Land Nordrhein-Westfalen, das das Konnexitätsprinzip in der gerade beschriebenen Ausprägung bereits vor 14 Jahren in die Verfassung aufgenommen hat.

Auf Scholz wartet eine große Herausforderung

In einem zweiten Schritt sind dann peu à peu auch die bisher durch Bundesgesetze verursachten finanziellen Belastungen durch den Bundeshaushalt zu übernehmen. Geld genug ist hierfür im Bereich der öffentlichen Haushalte vorhanden, waren die Einnahmen 2017 doch um 36,6 Milliarden Euro höher als die Ausgaben.

Schließlich sind durch den Bund auch die kommunalen Altschulden zu begleichen, die dadurch entstanden sind, dass Kommunen mit ihren kommunalen Einnahmen und dem Verlust des Vermögens jahrzehntelang die Umsetzung der Bundesgesetze subventioniert haben.

Auf den sozialdemokratischen Bundesfinanzminister wartet somit eine große Herausforderung. Er sollte deshalb aufhören, den Unsinn von der schwarzen Null nachzuerzählen, sondern die große Chance wahrnehmen, Architekt einer wahrhaft seriösen Finanzpolitik zu sein, die endlich wieder dem Anspruch eines marktwirtschaftlich konzipierten Wirtschafts- und Finanzsystems gerecht wird.

(RP)
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