Bundestag in der Hand des Volkes Das politische Berlin hält Sommer-Schlaf

Berlin (RPO). Der Bundestag ist fest in der Hand des Volkes - genauer gesagt in der Hand von Touristen und Handwerkern. Im Erdgeschoss schieben sich Besuchergruppen durch die Gänge des Reichstagsgebäudes. Im Plenarsaal werkeln Raumausstatter an den Wänden herum. Kein Abgeordneter in Sicht. Das Sommerloch ist über Berlin hereingebrochen.

 Wo sonst Scharen von Politikern ein- und ausströmen, kehren jetzt die Handwerker ein. Der Plenarsaal im Bundestag in Berlin wird instandgesetzt (Archivbild).

Wo sonst Scharen von Politikern ein- und ausströmen, kehren jetzt die Handwerker ein. Der Plenarsaal im Bundestag in Berlin wird instandgesetzt (Archivbild).

Foto: ddp

Es ist elf Uhr. Die Pförtner am Seiteneingang vom Bundestag haben Langeweile. "Nischt los", sagt einer. Wo sonst die Abgeordneten ins Parlament eilen, herrscht Leere. Nur ein paar Besucher verirren sich hierher. Die meisten Gäste kommen über den Haupteingang ins Parlament.

Eine Mitarbeiterin aus dem Büro des CDU-Abgeordneten Jens Spahn hat zwei Väter und drei Kinder im Schlepptau, um ihnen das Gebäude zu zeigen. Sie genießt die Sommerpause: "Das braucht man, um aufzutanken." Und mehr Platz für Besucher gebe es auch.

"Die brauchen auch mal Pause"

Auf den Fluren im Erdgeschoss surren Türen. Von links und rechts kommen Besuchertrupps die Gänge entlang und bestaunen die Architektur. Die Fernsehbildschirme, über die sonst Nachrichten flimmern, sind schwarz. Zwei Aufzüge sind außer Betrieb - wegen "Instandsetzungsarbeiten".

Aus dem Plenarsaal spaziert eine junge Frau mit weißen Handschuhen. Die Raumausstatterin beackert drinnen mit ihren Kollegen die Wandbezüge hinter dem Präsidium. Dass die Abgeordneten gesammelt urlauben, findet sie völlig in Ordnung. "Die brauchen auch mal Pause."

Auf der Besuchertribüne drinnen im Saal hocken ein paar Dutzend Besucher und schauen den Handwerkern bei der Arbeit zu. Ein paar Meter weiter deckt ein Kellner Tische im Abgeordnetenrestaurant. Um zwölf werden 30 Gäste erwartet. Das Café auf dem Reichstagsdach ist geschlossen. Deshalb dürfen in der Sommerpause auch Normalbürger dort speisen, wo sonst nur Parlamentarier rein dürfen. Von der üblichen Hektik ist aber keine Spur. "Entspanntes Arbeiten", sagt der Kellner und grinst.

Schleifen und verputzen im Bundestag

Auf der Präsidialebene im zweiten Stock ist vom Besuchertrubel nichts zu spüren. Vor dem Protokollsaal 1 stehen sechs große blaue Müllsäcke. Von drinnen sind surrende Schleifmaschinen zu hören. Auch um die Ecke wird gearbeitet. Handwerker kratzen Putz von den Wänden und spachteln neuen drauf. "Das geht eben nur in der Sommerpause", sagt einer der Arbeiter und nimmt einen Schluck aus der Cola-Flasche.

Einen Stock höher ist es richtig ruhig. Die Fraktionsebene, wo sich sonst Massen an Kameraleuten, Journalisten, Parlamentariern und Pressesprechern drängeln, ist komplett verwaist. Im Fraktionssaal der FDP ist es ausnahmsweise friedlich. Die Stühle stehen geordnet in Reih und Glied. Nur ein paar Krümel vom letzten Streuselkuchen liegen noch auf einem Sitz.

Auch das restliche politische Berlin ist verschlafen. Während überall auf der Welt die Börsenkurse in die Tiefe trudeln, herrscht in der Hauptstadt Ruhe. Bundeskanzlerin Angela Merkel urlaubt in Südtirol. Vor ihrem Amtssitz knien Arbeiter vor einem Gully. Ein Eiswagen rollt auf den Hof. Die Mitarbeiter im Bundespresseamt merken, dass ihre oberste Chefin nicht da ist. Das Sommerloch sei deutlich spürbar, heißt es dort. Weniger Sitzungen, weniger Termine, weniger Anfragen.

Die sonst übliche Regierungspressekonferenz auf der anderen Seite der Spree entfällt an diesem Tag. Die Fernsehmonitore im Atrium der Bundespressekonferenz laufen, zwei Journalisten trinken Kaffee. Die Kollegen in den umliegenden Büros müssen trotz Sommerpause die Zeitungsseiten füllen. Stillstand ist nicht erlaubt. Und so reißt auch die E-Mail-Flut in den Redaktionen nicht ab. Die Pressemitteilungen trudeln unbeirrt ein, nur der Nachrichtenwert hält sich in Grenzen: Das Familienministerium teilt mit, wie Kinder sicher surfen können. Das Auswärtige Amt twittert, dass bestimmte neue EC-Karten nicht zum Geldabheben in den USA taugen.

"Dieses Jahr nur ein Sommerlöchlein"

Wären da nicht die Finanzmärkte. Das Bundesfinanzministerium scheint mit der Talfahrt an den Börsen beschäftigt: Kein Sprecher erreichbar. Die Linksfraktion mag erst gar nicht vom Sommerloch sprechen. In diesem Jahr sei es allenfalls ein "Sommerlöchlein", sagt Sprecher Hendrik Thalheim. Insbesondere die Euro-Krise werde die Parlamentarier noch stark beschäftigen.

Tatsächlich zieht das Nachrichtengeschehen später am Tag noch an. Eilig werden Statements zur Krise der Börsen einberufen. Die Mitteilungen in den Posteingängen gewinnen an Gehalt. Die Sorge um die Märkte ist groß. Hinter den Kulissen beginnen die Beratungen. Schluss mit dem Urlaubsidyll, meint ein Parlamentsmitarbeiter: "Das Sommerloch ist ab heute vorbei."

(apd/jre)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort