Jahresrückblick 2013 Das Wahljahr macht Deutschland bunter

Berlin · Die Wähler zeigen 2013 weiteren schwarz-gelben Regierungen die Rote Karte. Als Ergebnis wird vieles anders, aber eines ändert sich nicht: das überragende Vertrauen in Bundeskanzlerin Angela Merkel.

 Die drei Parteichefs mit dem Koalitionsvertrag.

Die drei Parteichefs mit dem Koalitionsvertrag.

Foto: dpa, Maurizio Gambarini

Sie berührt überraschend sogar die Schwelle zur absoluten Mehrheit, während sich die FDP aus dem Bundestag verabschiedet — eine historische Niederlage. Rot und Grün kommen voran, aber nicht unbedingt zusammen.

Zu Beginn des Wahljahres 2013 sieht es in den Umfragen zappenduster aus für die Zukunft der Merkel-Rösler-Koalition. Zusammen liegen Union und FDP zwar weiterhin deutlich vor der möglichen rot-grünen Alternative. Doch die FDP schwächelt nachhaltig bei zwei bis drei Prozent, droht also erstmals in ihrer Geschichte an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.

Für Rösler geht es ums Ganze

Anlass für nachhaltige Nervosität sehen die meisten führenden Liberalen jedoch nicht. Schließlich haben sie im Vorjahr bei ähnlichen Meinungsklimadaten sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Schleswig-Holstein erlebt, wie die FDP geradezu aus dem Stand heraus am Wahlabend auch wieder kraftvoll da stehen kann: Mit 8,2 Prozent ist sie locker in den Landtag in Kiel wieder eingezogen, mit 8,6 Prozent mischt sie auch in NRW weiter mit.

Trotzdem geht es für FDP-Parteichef Philipp Rösler im Januar ums Ganze, als auch in seinem Heimatland Niedersachsen gewählt wird. Die Messer mutmaßlicher Putschisten sind gewetzt. Beim Dreikönigstreffen hat Entwicklungsminister Dirk Niebel bereits zu Protokoll gegeben, wie sehr es ihn zerreiße, diese Partei unter dieser Führung erleben zu müssen. In einer beispiellosen Zweitstimmenkampagne schafft die Rösler-FDP am 20. Januar die Wende: 9,9 Prozent.

Aber: Es sind vor allem CDU-Anhänger, die die FDP und damit die Koalition von CDU-Ministerpräsident David McAllister retten wollen. Als Folge schrumpft die CDU derart, dass nun Rot-Grün zusammen haarscharf vorne liegt und ein weiteres Bundesland übernehmen kann. Die Phalanx der von SPD und Grünen regierten Länder wird immer größer, die einstmals dominierende Farbkonstellation Schwarz-Gelb ist auf gerade mal drei Länder geschrumpft, und sowohl in Bayern als auch in Hessen wird 2013 ebenfalls neu gewählt.

SPD mit einem Frühstart

Anders als in vorherigen Bundestagswahlen versucht es die SPD mit einem Frühstart. Nicht erst im Frühjahr, sondern bereits ein Jahr vor dem Wahltag verkündet sie die Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück. Erlebt wird der Vorgang als "Sturzgeburt", und zwar mit denkbar ungünstiger Intonierung: So als müsse die SPD mit Steinbrück am Zaun des Kanzleramtes rütteln, weil die beiden anderen möglichen Kandidaten, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Parteichef Sigmar Gabriel lieber doch nicht wollen. Schon bald sieht sich Steinbrück einem medialen Trommelfeuer ausgesetzt: Neben seiner Abgeordnetentätigkeit ist er mit üppig bezahlten Vorträgen zum Millionär geworden. Ist er die geeignete Personifizierung eines Wahlprogrammes, das vor allem auf die soziale Gerechtigkeit setzt? Mit Bemerkungen über guten Wein und schlechtes Kanzlergehalt gibt Steinbrück dem Affen weiter Zucker.

Auf der anderen Seite vermeidet Bundeskanzlerin Angela Merkel das Klein-Klein der Einzelthemen-Positionierung. Sie unterstützt das Grundgefühl in der Bevölkerung, dass alles schon bei ihr in guten Händen sei und man sich um die Details nicht kümmern müsse: Mutti macht das schon. Und wo sie entdeckt, dass die Sozialdemokraten sie mit einem Thema in die Enge treiben könnten, übernimmt sie es einfach, so etwa die Idee von der Mietpreisbremse. Auch beim Mindestlohn blinkt die Kanzlerin links und vervollständigt die Liste jener Branchen, die über eine verbindlich gemachte Lohnuntergrenze verfügen.

Was bleibt also für einen Richtungsstreit im Wahlkampf übrig? Die blutige Syrienkrise? Da machen CDU-Kanzlerin und FDP-Außenminister sofort klar, dass der Einsatz von Chemiewaffen nicht tatenlos hingenommen werden darf, dass Deutschland aber nicht einer Koalition von Kriegswilligen angehören würde. Die Datensammelwut der US-Geheimdienste? Da ist die Union gemäßigt empört und mit Besorgnis über Wahlkampfauswirkung schnell fertig, als sie entdeckt, dass es ein SPD-Kanzleramtsminister war, der den Amerikanern nach dem 11. September 2011 Zugang zu mehr Daten verschaffte.

De Maizière agiert fragwürdig

Das fragwürdige Agieren von Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei der Beschaffung der unbewaffneten "Euro-Hawk"-Drohne muss schließlich als Wahlkampfthema herhalten. Als SPD, Grüne und Linke den Ministerrücktritt verlangen und einen Untersuchungsausschuss erzwingen, der im Eiltempo durch Akten und Zeugenbefragungen peitscht, schließen sich die Reihen der Koalition um ihren angeschlagenen Minister. Aber auch dieses Thema wurzelt mit seinen Grundentscheidungen tief in rot-grünen Regierungszeiten und ist somit für einen Richtungswahlkampf wenig geeignet.

Die Ouvertüre zu den Bundestagswahlen spielen am 15. September die Bayern: die FDP fliegt nicht nur aus der Regierung, sondern gleich auch aus dem Parlament, CSU-Chef Horst Seehofer wird gefeiert für die glanzvoll zurückeroberte absolute Mehrheit und will daraufhin eine "Koalition mit den Bürgern" eingehen, und als Folge wird die FDP unter ihrem nach einem Sturz körperlich angeschlagenen Spitzenkandidaten Rainer Brüderle geradezu kopflos und irrlichtert mit der selbst vielen Liberalen peinlichen Botschaft, man müsse die FDP wählen, damit Merkel Kanzlerin bleibe. Merkel selbst revanchiert sich nicht. Das Zweitstimmen-Erlebnis von Niedersachsen noch in den Knochen, mahnt sie alle Anhänger, ihr Kreuz ausschließlich bei der CDU zu machen, die FDP müsse es aus eigener Kraft schaffen.

Spannend macht eine Parteineugründung den Wahlkampf: Die Alternative für Deutschland punktet mit versammeltem ökologischen Sachverstand und bedient weit verbreitetes Unbehagen am Euro-Kurs der Kanzlerin. Da dieser im Wesentlichen von FDP, SPD und Grünen mitgetragen wird, übernimmt die AfD für alle Bürgerlichen mit Abneigungen gegen die Linken die Funktion der Protestpartei. Obwohl sie sich in ihren aus dem Boden gestampften Landesverbänden sehr schnell als zerstritten und intrigenzerfressen zeigt, legt sie eine phänomenale Mitgliedergewinnung hin. Dank Unmengen von kleinsten und kleinen Spenden und großem Engagement der Mitstreiter zeigt sie im Straßenwahlkampf eine schier flächendeckende Präsenz. Zur Belohnung bescheinigen ihr die Institute auf der Zielgeraden große Chancen, in den Bundestag einziehen und die Koalitionsarithmetik gründlich durcheinander wirbeln zu können.

Steinbrück Merkel ebenbürtig

Bei der SPD flammen die Hoffnungen auf, als sich ihr Spitzenkandidat im TV-Duell der Kanzlerin ebenbürtig zeigt und dies von einem Millionenpublikum mit sehr vielen noch unentschlossenen Wählern auch genauso registriert wird. Der Kanzlerin kommt dies möglicherweise zur rechten Zeit. Sie hatte schon vor Monaten ihre Anhänger vor übergroßer Siegeszuversicht gewarnt und nutzt den möglichen Stimmungsumschwung zur neuerlichen Mobilisierungsoffensive.

Da für die Wahlentscheidungen realistische Machtoptionen wichtig sind, spielt sich vor dem Wahltermin auch eine Ausschließeritis ab. Selbst wenn es erneut rechnerisch möglich wäre, erteilt die SPD einem rot-rot-grünen Bündnis eine neuerliche Absage. Die Grünen legen sich zwar nicht definitiv fest, haben sich aber ein derart "linkes" Wahlprogramm gegeben, dass es schon inhaltlich mit einem anderen Partner als der SPD schwerlich klappen könnte. Hinzu kommt, dass sie mit Beginn der eigentlichen Wahlkampfphase nur Gegenwind bekommen: Zuerst müssen sie erklären, warum der Eindruck von beabsichtigten Steuererhöhungsorgien falsch sein soll, dann knallt ihnen ihre frühere Verstrickung in Pädophilen-Forderungen auf den Tisch und schließlich bedienen sie das Vorurteil einer Zwangsbeglückungspartei mit dem Thema eines wöchentlichen fleischfreien "Veggi-Days" für alle.

Am Wahlabend ist dann schnell klar: Rot-Grün bleibt chancenlos, weil die SPD mit erneut unter 26 Prozent ihr zweitschlechtestes Ergebnis einfährt und die Grünen von 10,7 auf 8,4 Prozent fallen. Die FDP hofft zwar noch ein wenig, doch nach der ersten Hochrechnung gibt sie auf: Draußen. Die AfD ist schwierig hochzurechnen, da die Demoskopen keine Erfahrungswerte besitzen, doch scheitert auch sie mit 4,7 Prozent. Auch die Piraten haben nach ihrem Höhenflug bei den Landtagswahlen nichts mehr zu erwarten: 2,2 Prozent. Schließlich freut sich die Linke darüber, mit 8,6 Prozent drittstärkste Partei in Deutschland geworden zu sein — was sie darüber hinwegsehen lässt, ebenfalls 3,3 Prozentpunkte verloren zu haben.

Merkel überstrahlt alles

Eindeutiger Sieger ist die Kanzlerin. In verschiedenen Hochrechnungen wird ihr zwischenzeitlich sogar die absolute Mehrheit der Sitze bescheinigt. Wie bei der CSU in der Bayernwahl in der Woche zuvor (47,7 Prozent) fährt die Union nun auch bundesweit mit 41,5 Prozent ein lange vermisstes Ergebnis ein. Am Ende fehlen ihr nur fünf Mandate zur Alleinregierung. Das heißt aber: Ohne Partner keine Regierungspartei.

Der Jubel mündet deshalb bald in ein sehr langes Geduldspiel: Ernsthaft wie nie sondieren die Christdemokraten sowohl mit den Grünen als auch mit der SPD. Nachdem die Grünen abgesagt haben, ziehen sich die Koalitionsverhandlungen mit der SPD bis zur Kanzlerwahl so lange hin wie nie zuvor. Schließlich hat sich die SPD entschlossen, die Entscheidung in die Hände der Mitglieder zu legen. Nachdem diese mit Dreiviertel-Mehrheit zugestimmt haben, kann knapp drei Monate nach der Wahl die nächste große Koalition ihre Arbeit aufnehmen.

Im Schatten der Bundestagswahl hat sich Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier die Chance zum Weiterregieren gesichert. Die FDP hat sich zwar so gerade eben noch mal in den hessischen Landtag gerettet, doch empfindet sie den Stimmenverlust als Votum, auf jeden Fall in die Opposition zu gehen. Über Monate sondieren CDU und SPD, CDU und Grüne, SPD und Grüne, SPD und Linke miteinander, bis das, wozu sich die Grünen auf Bundesebene noch nicht trauten, in Hessen Gestalt annimmt: die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland.

Am Ende des Wahljahres sind zwar viele der am Anfang schon handelnden Personen auf der Bildfläche geblieben, aber die Koalitionslandschaft hat sich verändert. Zudem gibt es nirgendwo ein "Durchregieren": die 80-Prozent-Übermacht der großen Koalition ist im Bundestag zwar erdrückend, doch im Bundesrat haben Union und SPD nur die Mehrheit, wenn sie mit den Grünen Kompromisse eingehen. Und für die eröffnen sich mit der Union neue Machtperspektiven. Der Wähler hat die Politik also weiterhin spannend gemacht.

Alle unsere Texte zum Jahresrückblick finden Sie nach und nach hier.

(may)
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