Analyse Suizid mit Gottes Segen

Düsseldorf · Die evangelische Kirche hat eine Debatte über Sterbehilfe und Sterbebegleitung angestoßen. Im Zentrum steht der Konflikt zwischen Gewissen und Lehre. Es drohe protestantische Beliebigkeit, sagen Kritiker. Aber das ist ungerecht.

 Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital und ein Glas Wasser stehen in einem Zimmer von Dignitas in Zürich.

Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital und ein Glas Wasser stehen in einem Zimmer von Dignitas in Zürich.

Foto: dpa

Nikolaus Schneider hatte fast dasselbe schon vor zwei Jahren gesagt. Damals hatte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gleichsam im luftleeren Raum über Sterbehilfe und Suizid gesprochen. Jetzt tat er es mit Bezug auf seine krebskranke Frau Anne.

2012 vor der Synode der EKD: "Wenn ein Mensch intensiv darum bittet, dann mache ich mir nach der reinen Lehre auch die Hände schmutzig. Dann sind wir für die Menschen da, nicht für die Sauberkeit unserer Position."

Im Juli 2014 in der "Zeit", zum Wunsch seiner Frau, sie zur Sterbehilfe in die Schweiz zu begleiten, falls sie sich dazu entschiede: "Das wäre zwar völlig gegen meine Überzeugung, und ich würde es sicher noch mit Anne diskutieren. Aber am Ende würde ich sie wohl gegen meine Überzeugung aus Liebe begleiten."

Die breite Resonanz darauf in den vergangenen Wochen ist emotional begreiflich - das Gespräch schnürt einem die Kehle zu. Medial ist sie erklärlich - Persönliches schlägt Abstraktes. Politisch aber ist sie erstaunlich - denn wie weit der Mensch, der Christ zumal, über seinen Tod bestimmen darf, ist in der alternden Gesellschaft nicht erst seit gestern ein großes Debattenthema.

Schneider hat für seine Aussagen Rückendeckung erhalten, politisch und theologisch. Der Vorsitzende der Kammer der EKD für Theologie, Christoph Markschies, sagte etwa: "In der evangelischen Ethik hat immer schon gegolten, dass die Gewissensentscheidung über allen noch so sinnvollen Normen steht."

Kritik übte dagegen die Stiftung Patientenschutz, die Schneider vorwarf, er spiele Sterbehelfern in die Hände. Die sonderbarste Einlassung kam von Unionsfraktionschef Volker Kauder, der befand: "Es ist wenig hilfreich, wenn der EKD-Ratsvorsitzende als Betroffener zu dieser existenziellen Herausforderung Interviews gibt." Man fragt sich, wann Kauder aufhört, sich "als Betroffener" etwa zu Steuer- und Gesundheitspolitik zu äußern.

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Die Schneider-Kontroverse ging über in die Diskussion um eine Neuregelung der Sterbehilfe, über die der Bundestag im Herbst beraten will. Da forderte unter anderem Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU), ehemaliger evangelischer Pfarrer, Ärzten zu "erlauben, ihren Patienten zu helfen" - und stellte sich so gegen weite Teile seiner Partei. Michael Bertrams, ehemaliger Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs und Mitglied der westfälischen Kirchenleitung, äußerte sich ähnlich.

Ablehnung und Zustimmung sind unklar verteilt. Sterbehilfe und Sterbebegleitung sind für die Kirchen offenbar ein Thema, mit dem sie öffentlich nicht unbedingt, wie man so sagt, "punkten" können. Ein Satz Kauders zeigt, warum: Die Antwort, wie man Menschen die Angst vorm Sterben nehmen könne, sei durch Schneiders Interview "nicht einfacher geworden".

Hier liegt das Problem. Von den Kirchen wird klare Positionierung erwartet, Wegweisung - selbst wenn Ja-Nein-Aussagen den Komplikationen des Einzelfalls gar nicht gerecht werden. Schneiders abwägender Pragmatismus steht quer zu solchen Ansprüchen, weil er die Entscheidung an den Einzelnen verweist und sogar das eigene Handeln dem Wunsch des am meisten geliebten Menschen unterordnet. Und zwar trotz klarer inhaltlicher Ablehnung: "Ein Giftcocktail ist ausgeschlossen. Den Eintritt ins Leben und auch den Abschied haben wir nicht in der Hand."

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Daher erscheint der gleichfalls in der "Zeit" erhobene Vorwurf geradezu hinterhältig, Schneider nähre den "Verdacht, dass man es bald nur noch mit einer ,Anything goes'-Konfession zu tun hat". Was wäre denn die Alternative? Die eigene Frau allein zum Sterben nach Zürich fahren zu lassen? Hier klingt der klassische, bisweilen berechtigte, oft aber eben auch billige Vorwurf durch, die Evangelischen hängten ihr theologisches Mäntelchen doch ohnehin stets in den Wind des Zeitgeists.

Die EKD hat das zuletzt 2013 erfahren, als sie mit einer "Orientierungshilfe", die eine Lanze für Patchwork-Familien, Alleinerziehende und homosexuelle Partnerschaften brach, ein Waterloo erlebte. Die Schrift war seelsorgerlich hilfreich, aber theologisch karg. Geschwind hieß es, die Kirche verrate das Zeugnis der Bibel, die doch etwa Homosexualität verdamme. Beim Thema Suizid wird das nicht eben einfacher - jede Betrachtung trifft zuerst auf das fünfte Gebot: "Du sollst nicht töten."

Der Blick auf die katholischen Brüder hilft für einen Fall wie den Schneider'schen nicht weiter. Deren Katechismus urteilt, Suizid widerspreche "der Liebe zum lebendigen Gott". Johannes Paul II. verurteilte 1995 in seiner Enzyklika "Evangelium Vitae" den "schwer unsittlichen" Suizid. Assistenz dabei bedeute, "Mithelfer und manchmal höchstpersönlich Täter zu werden". Wie hilft das einem Menschen, dessen Frau sich das Leben nehmen, dabei aber die Hand ihres Mannes halten will?

Zumindest pastorale Empfehlungen gibt die rheinische Kirche - ihre Synode hat im Januar eine Handreichung verabschiedet. Unter dem irritierend flapsigen Titel "Niemand nimmt sich gern das Leben" wird festgestellt, zwar bleibe es beim "grundsätzlichen Nein zum Suizid" - aber Pfarrer sind auch angehalten, Menschen mit Todeswunsch beizustehen. Denn: "Die Begleitung eines Menschen, der sich entschieden hat, aus dem Leben zu gehen, bedeutet nicht, diesen Weg zu befürworten."

"Entscheidend is' auf'm Platz" - der nur scheinbar banale Satz stammt von Fußball-Legende Alfred "Adi" Preißler, geboren in Duisburg. Nikolaus Schneider, begeisterter Fußballer, ebenfalls geboren in Duisburg, sagte in dem Interview, das die jüngste Debatte auslöste: "Die Liebe ist entscheidend." Das ist die diakonische Version der (nicht nur sportlichen) Weisheit, dass sich jeder Grundsatz im Konkreten beweisen muss. Und das ist alles andere als banal. Sondern barmherzig.

(RP)
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