Türkei Yücels Inhaftierung ist ein Skandal ohne Folgen

Meinung | Berlin · Die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei ist ein weiterer Schlag ins Gesicht des freiheitlichen Westens. Machthaber Erdogan zeigt Europa mit dieser absurden und ungerechten Inhaftierung die kalte Schulter. Doch spürbare Konsequenzen sind nicht zu erwarten.

 Deniz Yücel drohen in der Türkei bis zu fünf Jahren Untersuchungshaft.

Deniz Yücel drohen in der Türkei bis zu fünf Jahren Untersuchungshaft.

Foto: dpa, ks aen kde kno

Längst schert sich Erdogan nicht mehr darum, was Angela Merkel und andere westliche Staatenlenker sagen oder denken. Er kann es, denn entgegenzusetzen haben ihm Merkel und ihre EU-Partner nicht mehr als mahnende Worte. Wirtschaftliche Schritte gegen die wirtschaftlich bereits angeschlagene Türkei, die Erdogan möglicherweise beeindrucken könnten, würde die EU nicht in Erwägung ziehen, das weiß der Machthaber am Bosporus.

Von demokratischen Grundwerten hat sich Erdogan schon lange verabschiedet. Nirgendwo in der Welt sitzen so viele Journalisten in Gefängnissen wie in der Türkei. Sie rangiert in der Rangliste der Organisation "Reporter ohne Grenzen" zur Pressefreiheit von 180 Staaten auf Platz 151. Dass die Türkei noch vor gar nicht so langer Zeit sogar als EU-Beitrittskandidatin gehandelt worden war, erscheint heute absurd. In rasantem Tempo hat sich das Land bereits von der Demokratie in eine Autokratie verwandelt.

Den nächsten Schritt will Erdogan im April gehen, wenn das nach mehreren Säuberungswellen in Angst und Schrecken versetzte Volk bei einem Verfassungsreferendum über einen weiteren Machtzuwachs für den Herrscher entscheiden soll. Schwer vorstellbar ist es angesichts der Repressionen, dass dieses Referendum nicht zu Gunsten Erdogans ausfallen wird. Bis zum Wahltag achtet der Präsident darauf, dass nichts anbrennt — und lässt unliebsame Journalisten wie Yücel reihenweise hinter Gittern verschwinden.

Doch Yücel ist nicht irgendein Reporter — er besitzt anders als die große Mehrheit der 150 inhaftierten Journalisten neben einem türkischen auch einen deutschen Pass. Damit hat diese Affäre das Zeug zu einer außenpolitischen Krise. Zwischen der Bundesregierung und Ankara stehen die Zeichen endgültig auf Konfrontation. Kanzlerin Merkel und die gesamte deutsche Öffentlichkeit kritisieren die Inhaftierung aufs Schärfste.

Doch das EU-Türkei-Abkommens zur Flüchtlingsfrage gefährdet der Fall Yücel nicht, da mag es noch so zwielichtig erscheinen. Denn beide Seiten sind auf das Abkommen weiter angewiesen: die Türkei braucht die vielen Milliarden der EU, die sie bekommt, weil sie Hunderttausende an der Flucht in die EU hindert. Umgekehrt brauchen Merkel und die EU dringend diesen unseligen Vertrag. Denn würde die Türkei ihre Pforten öffnen und die Flüchtlinge nicht mehr aufhalten, dürfte die EU in eine neue Krise stürzen — und Merkel die kommenden Wahlen verlieren.

(mar)
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