Zahl der Studenten in NRW auf Rekordniveau Der Akademisierungswahn schadet unserem Land

Meinung | Düsseldorf · Jahr für Jahr brechen die Studentenzahlen neue Rekorde. Auch in NRW hat die Zahl der Studenten an Hochschulen einen neuen Höchststand erreicht. Doch der Akademisierungswahn ist falsch – denn er verursacht zu viele Bildungsverlierer.

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Jahr für Jahr brechen die Studentenzahlen neue Rekorde. Auch in NRW hat die Zahl der Studenten an Hochschulen einen neuen Höchststand erreicht. Doch der Akademisierungswahn ist falsch — denn er verursacht zu viele Bildungsverlierer.

Im Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis zum 30. September 2014 blieben 37 100 betriebliche Lehrstellen frei — ein Höchststand, wie Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) erst kürzlich in Berlin erklärte. Wo sind die ganzen Schulabgänger? An der Uni. Die Anzahl der Studenten liegt seit dem Jahr 2009 über der der Azubis. 2,13 Millionen junge Menschen waren damals an den Universitäten eingeschrieben, aber nur 2,11 Millionen junge Erwachsene steckten in einer Berufsausbildung. In den Jahren davor hatte es immer mehr Auszubildende als Studierende gegeben. Auch in Nordrhein-Westfalen hat die Zahl der Studenten an Hochschulen im Wintersemester 2014/15 einen neuen Höchststand erreicht: Sie lag mit 716 454 um 4,4 Prozent über dem Wert des Wintersemesters 2013/14, wie das statistische Landesamt heute mitteilte.

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Die zunehmende Akademisierung verändert den Arbeitsmarkt: Schon jetzt gibt es immer mehr Studiengänge für ehemalige Ausbildungsberufe — etwa in der Pflege. Und weil es immer mehr Akademiker gibt, stellen die Firmen vor allem die Hochqualifizierten ein. Für Fachkräfte mit einem geringeren Bildungsabschluss wird es schwieriger, eine Stelle zu finden. Von Schulabbrechern ganz zu schweigen. Dabei sollte sich die deutsche Wirtschaft nach den besonderen Stärken des traditionellen deutschen Bildungssystems fragen. Zu diesen Stärken gehört das System der dualen Ausbildung in Unternehmen und staatlichen Berufsschulen. Es ist der Grund für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland. Großbritannien hat die doppelte Akademikerquote und die doppelte Jugendarbeitslosigkeit. "Das duale System spielt auch integrationspolitisch eine sehr wichtige Rolle. Die Vorstellung, dass die Kinder und Enkel von Einwanderern, die keine Bildungstradition haben, alle studieren werden, ist illusorisch", betont der Bildungsphilosoph Julian Nida-Rümelin. Und er hat Recht. Das wirklich attraktive Integrationsangebot ist die Berufsbildung. Doch zurzeit wracken wir das duale System ab — und schaden damit der Gegenwart und Zukunft unseres Landes.

Das Bundesinstitut für berufliche Bildung hat kürzlich errechnet, dass wir bis 2030 im Bereich der "mittleren" Qualifikationen 11,5 Millionen Arbeitskräfte ausscheiden und nur sieben Millionen nachfolgen werden. Im akademischen Bereich werden 3,2 Millionen ausscheiden und 4,9 Millionen neu dazu kommen. Also ein Überschuss. Die Studie schließt daraus, dass der Bachelor-Abschluss die Facharbeiter-Ausbildung teilweise ersetzen wird. Wer in unserer Gesellschaft, in der Politik, in den Wirtschaftsunternehmen hat darüber schon einmal eine Diskussion geführt?

Seit einigen Jahren vermitteln wir jungen Menschen den Eindruck, dass jeder, der irgendwie kann, studieren sollte. Eine gefährliche Botschaft. Jugendliche, die sich für einen Ausbildungsberuf entscheiden, sollten das nicht nur deswegen tun, weil ihnen nichts anderes offensteht. Nicht jeder kann, will und soll Maschinenbauer, Ingenieur oder Arzt werden. Deshalb sollten die staatlichen Bildungsangebote Jugendlichen in (dualen) Ausbildungen unterstützen — und Firmen dafür sorgen, dass junge Menschen mit mittlerer Reife die Schule nicht voller Verzweiflung verlassen. Sonst produziert Deutschland zu viele Bildungsverlierer.

(jam)
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