Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels "Der Bundeswehr fehlt Munition"

Berlin · Der neue Wehrbeauftragte kritisiert, die Truppe sei flächendeckend unterversorgt, und nennt erschreckende Beispiele.

 Der gebürtige Düsseldorfer Hans-Peter Bartels (54, SPD) ist seit Mai Wehrbeauftragter des Bundestags.

Der gebürtige Düsseldorfer Hans-Peter Bartels (54, SPD) ist seit Mai Wehrbeauftragter des Bundestags.

Foto: dpa, soe jhe vfd

Der Wehrbeauftragte wacht im Auftrag des Bundestags über die Einhaltung der Grundrechte der Soldaten. Der neue Amtsinhaber Hans-Peter Bartels versteht darunter auch, dass die Ausrüstung stimmen muss. Seine ersten Eindrücke: Hier liegt vieles im Argen.

Sie sind nun zehn Wochen Wehrbeauftragter. Was war ihr beeindruckendstes Erlebnis in der Truppe?

Bartels Besonders eindrucksvoll fand ich schon meinen allerersten Besuch bei einem Heeresverband, der für die Nato-Responce-Force übte. Die dortige dynamische Mangelverwaltung...

... das hieß mal ,,dynamisches Verfügbarkeitsmanagement"...

Bartels ... ja, und der Mangel an ,,Verfügbarkeit" wurde dort sehr greifbar. Denn der Gefechtsverband, der schnell einsatzfähig sein soll und deshalb alles dabei haben muss, was er braucht, hatte aufgelistet, dass ihm ursprünglich 15.000 Dinge fehlten. Das ging von der Nachtsichtbrille bis zum Schützenpanzer. Das musste aus allen Bereichen der Bundeswehr zusammengeborgt werden, teilweise auch von außerhalb.

Das klingt eher nach Spitze des Eisberges als nach Ausnahmesituation.

Bartels Ja, wir haben es mit einer flächendeckenden Mangelwirtschaft zu tun. Dadurch wird sowohl die Ausbildung als auch der Beitrag zur Bündnisverteidigung in Europa extrem erschwert.

Haben die Soldaten wenigstens genügend Waffen und Munition?

Bartels Nein. Es ist von allem zu wenig da. Es laufen zwar neue modernste Waffensysteme zu, aber oft erst, wenn die alten längst ausgemustert sind. Und die Stückzahlen reichen oft nicht, um die Strukturen auszufüllen.

Das heißt, im Verteidigungsfall hätte die Luftwaffe zu wenig Munition?

Bartels In manchen Kategorien liegt die Luftwaffe, was ihre Wirkmittel anbelangt, signifikant unterhalb der Nato-Forderungen.

Und die Marine?

Bartels Auch dort ist von allem zu wenig da. Für unsere fünf Korvetten gibt es gerade mal 25 Flugkörper.

Wird die Bundesregierung also massiv umschichten müssen?

Bartels Das Problem ist erkannt. Aber das Umsteuern dauert. Insbesondere unsere osteuropäischen Verbündeten müssen sich darauf verlassen können, dass die Bundeswehr nicht nur ein paar tausend Soldaten in weit entfernte Auslandseinsätze schicken kann, sondern dass sie als Ganzes in Europa präsent und einsatzfähig ist. Dafür brauchen wir unter anderem schnellere, bessere Beschaffungsprozesse.

Sind die Projekte denn so weit vorbereitet, dass das bereitgestellte Geld auch ausgegeben werden kann?

Bartels Das ist die Frage! Nach meinem Eindruck besteht auch in diesem Jahr die Gefahr, dass das Ministerium den Verteidigungsetat nicht vollständig ausschöpfen kann.

Seit den 90er Jahren entwickelte sich die Bundeswehr zu einer weltweiten Einsatzarmee. Wie wird sie aussehen am Ende Ihrer fünfjährigen Amtszeit?

Bartels Die Aufgabe, an weltweiten Einsätzen teilzunehmen, wird die Bundeswehr sicherlich weiterhin erfüllen müssen. Darauf waren ja auch die letzten Bundeswehrreformen ausgerichtet. Die Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung stand da zwar auch immer mit auf dem Papier. In Wirklichkeit muss sie aber jetzt erst wieder mühsam hergestellt werden - nicht in Jahrzehnten, sondern zügig! Die Strukturen müssen wieder zu hundert Prozent gefüllt sein, nicht zu 70 oder 30 oder 3 Prozent. Und die Verlegefähigkeit über Straße und Schiene ist, Stand heute, indiskutabel.

Die Entwicklung in der Ukraine beherrscht die politische Debatte - wie wirkt sie auf die Soldaten?

Bartels Mit der russischen Annexion der Krim ist vieles anders geworden. Wir hatten gehofft, dass Einschüchterung und Gewaltpolitik in Europa endgültig der Vergangenheit angehören. Aber wir erleben nun genau das. Es gibt ein erhebliches Maß an Unsicherheit. Auch der Dschihadismus stellt eine andauernde Gefahr dar. Deshalb gewinnt die Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung in Europa heute erneut an Bedeutung.

Wie wirkt sich das praktisch aus?

Bartels Unsere Luftwaffe beteiligt sich länger schon an der Sicherung des Luftraums über dem Baltikum. Es gibt sehr viel mehr Übungen und deutsche Heereskompanien verlegen vorübergehend in osteuropäische Nato-Partnerstaaten, um dort Präsenz zu zeigen. So waren von April bis Juli 300 Soldaten der Bundeswehr in Litauen. Bald folgen 250 Bundeswehrsoldaten, die von August bis November in Lettland sein werden. Und die internationale Präsenz beim jährlichen Nato-Manöver in der Ostsee, Baltops, war diesmal so groß wie lange nicht. Das alles ist für die Soldaten sehr spürbar auf die neue Situation ausgerichtet.

Machen Sie sich angesichts der Zuspitzung des Konfliktes zwischen Türkei und Kurden und Islamischem Staat Sorgen um die in der Türkei stationierten Bundeswehr-Soldaten?

Bartels Ich mache mir vor allem Sorgen um die politische Entwicklung in der Türkei. Die könnte sich auch auf die Lage der Bundeswehrsoldaten auswirken. In der Kaserne sind die deutschen Soldaten zunächst einmal relativ sicher. Aber nach den jüngsten Terroranschlägen wird die Sicherheitslage in der Türkei insgesamt als zunehmend problematisch eingeschätzt.

Sollte man den Auftrag für die Patriot-Raketenabwehr noch einmal überprüfen?

Bartels Die ursprüngliche Bedrohungslage ist ja nicht kleiner geworden. Es gibt in Syrien Raketen mit einer Reichweite von einigen hundert Kilometern und keine syrische Zentralgewalt, die die Verfügung darüber garantieren könnte. In welche Hände die Raketen auch immer fallen, sie stellen eine potentielle Bedrohung für unseren Nato-Partner dar. Deshalb sind deutsche FlaRak-Soldaten dort.

Die Verteidigungsministerin will die Truppe attraktiver machen, auch Soldatenberuf und Familie besser vereinbaren. Kann sie die Erwartung erfüllen?

Bartels Es ist richtig, dass sie sich große Ziele gesetzt hat. Die Gesellschaft hat sich verändert, und auch das alte Bild des Soldaten, dessen Familie ihm bei Versetzungen immer wieder gerne hinterherzieht, gilt heute so nicht mehr. Männer und Frauen sind berufstätig, Männer und Frauen wollen die Kinder erziehen. Darauf hat sich der Arbeitgeber Bundeswehr einzustellen! Letztlich geht es um einen Mentalitätswandel: Die Bundeswehr darf nicht mehr so verschwenderisch mit der Zeit der Soldatinnen und Soldaten umgehen.

(RP)
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