Verfassungsschutz warnt Der Dschihad spricht deutsch

Berlin · Modern gestaltete Internet-Seiten von Islamisten richten sich gezielt an deutsche Konvertiten. Der Verfassungsschutz sieht ein "erhebliches Gefahrenpotenzial", weil sich die Selbstradikalisierung jeder Beobachtung entzieht. Aufgerufen wird zu Anschlägen mit Gift und Bakterien.

Unscharfe und verwackelte Bilder mit arabischen Schriftzeichen und kaum verständlichen Kommentaren — die ersten Bekenner-Videos aus dem Al-Qaida-Umfeld waren etwas für die Entschlüsselungsprofis der Nachrichtendienste. Aber nichts fürs breite Volk. Das scheint sich allmählich zu ändern. "Die Propaganda wird besser", lautet das Urteil von Stephan Jacobi, einem Islamismus-Experten vom Bundesamt für Verfassungsschutz. "Die Bedeutung der deutschen Sprache im Islamismus steigt an", weiß Jacobi. Das Arabische verschwinde, das Design werde gefälliger, und spätestens seit Osama bin Laden vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund zu sehen sei, werde auch klar, worauf die Terrorgruppe aus ist: auf die direkte Ansprache potenzieller Konvertiten in Deutschland.

Deutschland gehört zu jenen europäischen Ländern, die in einem "Zermürbungskrieg", aber auch durch neue Anschlagsszenarien zum Schlachtfeld des neuen Dschihads, des "heiligen Krieges" gegen die "Ungläubigen", gemacht werden sollen.

Einzelne Appelle richten sich an Internet-Profis, die nicht nur bestimmte Seiten im Netz sabotieren, sondern auch versuchen sollen, mit spezieller Schadsoftware ganze Produktionslinien und die Infrastruktur lahmzulegen. Verfassungsschutz-Vizepräsident Alexander Eisvogel spricht in diesem Zusammenhang von der Bedrohung durch einen islamistischen "CyberWar". Deshalb dürften die Geheimdienste die digitale und die reale Welt nicht mehr getrennt betrachten, sagte Eisvogel bei einem Symposium vor nationalen und internationalen Sicherheitsexperten.

Erst vor wenigen Wochen stieß der Verfassungsschutz auf eine neue Dimension der Bedrohung. Danach werde im Internet dazu aufgerufen, das Trinkwasser in deutschen Städten zu vergiften oder Cholera-Erreger in der Bevölkerung zu verbreiten. "Nie war es einfacher, schneller und kostengünstiger, für den Dschihad zu werben", fasst Jacobi zusammen.

Die Furcht vor unkalkulierbaren Anschlägen aus dem Nichts hat mit der zunehmenden "Selbstradikalisierung" scheinbar harmloser Bürger zu tun, die vermeintlich unverdächtig ihrer Arbeit nachgehen und von keinem Geheimdienst auf ihrem Weg in den Terror beobachtet werden können. Seit dem vergangenen Frühjahr ist das keine theoretische Gefahr mehr. Seit Arid Uka, jenem Aushilfsjobber bei der Flughafenpost in Frankfurt, der plötzlich eine Waffe zog und zwei amerikanische Soldaten tötete — als sein persönlicher Beitrag zum Dschihad. Der Islamist war zuvor nirgendwo einschlägig aufgefallen. Er hatte sich nach Erkenntnissen der Fahnder ein Video eines jemenitischen Hasspredigers auf seinen Rechner geladen und daraufhin den finalen Entschluss zur Tat gefasst.

Die Verletzlichkeit moderner westlicher Großstädte ist aber nicht nur ins Visier von Islamisten gerückt. Nach Einschätzung von Eisvogel hat auch die linksextremistische Gewalt eine "neue Qualitätsstufe erreicht". Wären im vergangenen Jahr die Brandbomben auf Kabelschächte der Bahn rund um Berlin wie geplant hochgegangen, wären der Verkehr und die Kommunikation in der Hauptstadt in weiten Bereichen zum Erliegen gekommen. Der Hinweis "vieles ist möglich" im Bekennerschreiben sollte nach dem dringenden Appell der Verfassungsschützer ernst genommen werden.

Nicht zuletzt die über zehn Jahre unentdeckte Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) könnte Nachahmungstäter sowohl im rechtsextremistischen Milieu finden als auch die linksextremistische Antifa "aufladen". In jüngster Zeit verzeichne der Verfassungsschutz sowohl bei Neonazis eine Art der Bewunderung für die NSU-Verbrechen als auch bei dem militanten Linksextremismus eine "zunehmende Aktionsbereitschaft".

(RP/rm)
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