Schavan und Rösler im Interview "Der Glaube ist innerer Kompass"

(RP). Die praktizierenden Katholiken im Kabinett, Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), sprechen im Interview mit unserer Redaktion über das Christliche in der christlich-liberalen Koalition, über das Beten in der Politik und das "Happy End" der Osterbotschaft

 Annette Schavan wird Verschwendung von Steuergeldern vorgeworfen

Annette Schavan wird Verschwendung von Steuergeldern vorgeworfen

Foto: AP, AP

Herr Minister Rösler, was bedeutet das Osterfest für Sie und Ihre Familie?

Rösler Für unsere Familie ist das Osterfest das wichtigste Fest, wichtiger noch als Weihnachten. Für uns ist das auch eine echte Fastenzeit, also kein Alkohol, keine Süßigkeiten.

Haben Sie es durchgehalten?

Rösler Mit dem Alkohol schon. Bei den Süßigkeiten ist es schiefgegangen. In dem stressigen Amt als Gesundheitsminister musste ich gelegentlich naschen.

Wie begehen Sie die Tage?

Rösler Sehr traditionell. Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag gehen wir in die Kirche. Der Ostergottesdienst fängt am Sonntagmorgen bereits um 5 Uhr in der Früh an, wenn es noch dunkel ist. Dann wird die Genesis gelesen. Unsere Kirchengemeinde feiert die Auferstehung Christi mit Lagerfeuer und Kerzen.

Schavan Die Kartage und das Osterfest sind für mich Höhepunkte des Jahres. Die Osterbotschaft vermittelt uns Christen, dass es nicht alleine auf unsere Kraft ankommt. Vielmehr bekommen wir ungewöhnliche Kräfte geschenkt. Der Tod hat nicht das letzte Wort.

Wie erklären Sie Ihren Kindern Ostern, Herr Rösler?

Rösler Es geht um Leid, um Buße, aber am Ende vor allem um Auferstehung. Das ist das Entscheidende, um den Glauben zu verdeutlichen.

Sie mögen Geschichten mit einem "Happy End", haben Sie mal gesagt. Ist die Ostergeschichte eine?

Rösler Gewissermaßen schon. Es gibt Höhen und Tiefen, zuerst muss tiefes Leid durchlebt werden, um Befreiung zu spüren. Es gibt kein Ostern ohne Karfreitag. Am Ende steht aber die Auferstehung, die frohe Botschaft.

Schavan Hosianna und Kreuzigung liegen eben eng beieinander.

Das kennt man aus der Politik.

Schavan (schmunzelt) Ja, das ist wahr. Aber an Ostern kommt nach dem Kreuz die Auferstehung. Für mich ist die Ostergeschichte der tiefste Grund christlicher Hoffnung.

Es ist auch eine Geschichte von starken Frauen, wenn man an Maria von Magdala denkt.

Schavan Das stimmt. Und als Maria vom Grab kam und den Jüngern erklärte, dass das Grab leer ist, wollten sie ihr das nicht glauben. Das zeigt auch: Frauen sollten sich nicht irre machen lassen.

Ein guter Anlass, um über die Rolle der Frau in der katholischen Kirche nachzudenken?

Schavan Ja, die katholische Kirche verzichtet zu stark auf das Charisma und die Erfahrungen der Frauen. Es sind in der Regel Frauen, die die Kinder auf die Kommunion vorbereiten, die ehrenamtlich tätig sind und das Gemeindeleben prägen. Schon beim Diakonat bleibt die Kirche mit ihrem Nein gegenüber Frauen rückwärtsgewandt.

Müssen Sie als gläubige Politiker viele Kompromisse eingehen, Ihre christlichen Werte Mehrheiten opfern?

Schavan Ich glaube, fromm sein und politisch sein, das gehört zusammen. Aus dem Glauben heraus entsteht eine entschiedene Einstellung zum Respekt gegenüber dem Menschen und der Würde seiner Freiheit. Das Christentum ist eine wirksame Kraft gegen alles Totalitäre. Der Kompromiss gehört zur Politik. Manchmal muss man dem kleineren Übel zustimmen, um das größere zu verhindern.

Rösler Der Glaube ist kein Hindernis in der Politik. Im Gegenteil: Er ist mein innerer Kompass, daran orientiere ich mich. Abstriche musste ich bisher bei Entscheidungen nicht machen. Für mich lassen sich Politik und Glaube nicht trennen.

Was ist mit Militäreinsätzen? Die Ex-Bischöfin Margot Käßmann hat gesagt: "Nichts ist gut in Afghanistan."

Rösler Man sieht das als Politiker natürlich eher politisch. Für uns als Politiker gilt: Wir können uns nicht darauf beschränken zu sagen, was falsch ist, sondern müssen herausfinden, was besser gemacht werden kann — und danach handeln.

Schavan Der christliche Glaube bedeutet kein bestimmtes politisches Programm. In Sachfragen können Christen zu unterschiedlichen Auffassungen kommen. Der Glaube gibt uns Werte vor, die als Kompass wirken.

Kann man als Politiker Barmherzigkeit zeigen, oder wird das gleich als Schwäche gedeutet?

Schavan Unbarmherzige Politiker sind schlimm. Barmherzigkeit ist etwas zutiefst Menschliches, unabhängig davon, ob ich dafür belächelt werde.

Rösler Das finde ich auch, bei Menschen, die keinen inneren Kompass haben, sollte man vorsichtig sein. An dem Wort der Barmherzigkeit lässt sich gut konkrete Politik ablesen. Der Rechtsanspruch auf Hilfe im Sozialstaat ist für alle Menschen in Gesetze gegossene Barmherzigkeit.

Schavan Die Sozialgesetzgebung ist Ausdruck des Respekts vor jedem Menschen. Gleichzeitig wissen wir, dass keine noch so gute Gesetzgebung die notwendige Barmherzigkeit unter Menschen ersetzen kann.

Sind Sie als Christ in der FDP eigentlich ein Exot, Herr Rösler?

Rösler Diese Zeiten sind vorbei, das hat sich überlebt. Das liberale Verständnis der Trennung von Kirche und Staat bedeutet nicht die Abschaffung von Kirche. Bei gläubigen Liberalen ist es aber so, dass wir den Glauben nicht wie eine Monstranz vor uns hertragen. Mein politisches Handeln und mich prägt er jedenfalls.

Beten Sie für politische Entscheidungen?

Rösler Für konkrete Entscheidungen nicht, aber vor großen Ereignissen gehe ich in die Kirche. Beispielsweise vor meiner Vereidigung als Minister im Bundestag. Ich war in der Kirche und habe mich beim lieben Gott für mein bisheriges Glück im Leben bedankt. Ein gesundes Maß an Demut hilft der Politik. Nur besonders eitle Politiker kann man gut foppen.

Schavan Mich hat Politik mehr Demut gelehrt als jede andere Phase meines beruflichen Lebens. Dazu gehört auch das regelmäßige Gebet, zum Beispiel die tägliche Laudes und die Vesper. Das nimmt mir Entscheidungen nicht ab, lässt mich aber um Kraft beten, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Hat die Missbrauchs-Debatte Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche verändert? Sind Sie enttäuscht von ihrer Kirche?

Rösler Es wird sehr darauf ankommen, wie die Kirche jetzt weiter mit den Fällen umgeht. Am Anfang hat man vielleicht zu sehr den Fehler bei anderen gesucht und nicht so sehr bei sich. Jetzt aber geht es der Kirche wirklich mehr um Aufklärung. Den Gläubigen an der Basis geht es nicht um Anklage, sondern um Aufklärung. Die muss geleistet werden.

Schavan Die Kirche kann jetzt auch anderen helfen, mit Schuld umzugehen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit Schuld vermittelt.

Wann ist ein "C" im Namen einer deutschen Partei nicht mehr mehrheitsfähig?

Schavan Die Rolle des Christentums in der Politik nimmt ja nicht ab. Das zeigt doch die Gruppe Christen in der FDP — die wäre vor 20 Jahren noch unvorstellbar gewesen. Auch das "C" der Union ist nicht von Mehrheiten abhängig. Dass eine Gesellschaft spürt, wofür wir stehen, ist grundsätzlich positiv und inspirierend für eine Gesellschaft. Vielleicht ist es ja auch so: Je weniger das Christentum anderswo präsent ist, desto interessanter kann die Verbindung zwischen Christentum und Politik sein.

Gibt es also eine Renaissance des Christentums?

Rösler Es gibt zumindest eine starke Sehnsucht nach Halt und einer moralischen Instanz — auch wenn sich die katholische Kirche momentan in einer sehr schwierigen Zeit befindet. Der Glaube wird zunehmend wieder zu den Menschen zurückkehren.

Wie viele Bundestagsabgeordnete können denn Ihrer Mutmaßung nach den Inhalt der Ostergeschichte unfallfrei wiedergeben?

Rösler Eine ganze Reihe.

Und in Ihrer Fraktion?

Rösler Auf jeden Fall mehr als die Hälfte.

Schavan Der Inhalt der Ostergeschichte ist so sehr Kulturgut geworden, dass selbst jene, denen das Christentum nicht viel bedeutet, sie dennoch erzählen können. Die Frage ist aber nicht, was wir erzählen können, sondern was die Geschichte uns bedeutet.

Was ist denn so christlich an der christlich-liberalen Bundesregierung, wie sie sich jetzt nennt?

Rösler Man wollte mit diesem Namen zunächst einmal deutlich machen, dass die Koalition mehr ist als nur ein weiteres Farbenspiel; sie ist eine werteorientierte Koalition, etwa in der Grunddebatte der Solidarität, der Starke hilft dem Schwachen. Auch die Entlastung der Familien ist ein urchristliches Anliegen.

Schavan Christlich-liberal ist eine richtig gute Kombination. Wenn ich mir zentrale Projekte unserer Koalition ansehe, so steckt dahinter immer die Absicht, Kräfte in der Gesellschaft freizusetzen. Wir wollen an einer selbstbewussten Gesellschaft arbeiten. Christlich-liberal ist mehr als nur das Zusammenspiel von CDU und FDP. Dem christlich-liberalen Programm liegt die Botschaft zugrunde: Wer sich treu bleiben will, muss sich ändern. Die Politik ist mehr als technokratische und materialistische Konzepte.

Warum ist dann das Binnenverhältnis in der Koalition so wenig vom Prinzip der Nächstenliebe geprägt?

Schavan Das sieht nur so aus.

Herr Rösler?

Rösler Ich habe jetzt auch nicht das Gefühl, als wäre das anders. Auch von der äußeren Wahrnehmung ist das jetzt deutlich besser geworden.

Schavan Auch Christen und Liberale sind Menschen mit Stärken und Schwächen. An manchen Tagen sind wir stärker, an anderen schwächer.

Was war Ihre größte Niederlage als Christin?

Schavan Da denke ich weniger an konkrete Entscheidungen, sondern eher an Situationen, in denen ich das Gefühl habe, wir werden zu technokratisch. Wir sind in der Gefahr, den Eindruck zu erwecken, als seien alle Fragen, die mit Geld zu tun haben, wichtiger als Fragen, die mit Kultur zu tun haben. Sicher, als Christ in der Politik muss ich mir manches schwerer machen. Das kann mich aber nicht davon abhalten, Entscheidungen so beeinflussen zu wollen, dass viel von dem am Ende drinsteckt, wovon wir als Christen überzeugt sind. Natürlich muss man immer wieder Abstriche machen; als Niederlagen würde ich das aber nicht bezeichnen wollen.

Rösler Von richtigen Niederlagen bin ich in dieser Hinsicht eigentlich verschont geblieben. Aber natürlich gibt es schon Ergebnisse, die ich mir anders gewünscht hätte. Zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik.

Ihr Bekenntnis zum Christentum hat fast etwas von einer Widerstandshaltung: Sie haben sich vor zehn Jahren taufen lassen, in einem Alter, in dem viele eher an einen Austritt aus der Kirche denken. Und Ihre Partei zeichnet sich nicht durch sonderlich große Nähe zu den Kirchen aus.

Rösler Widerstand ist das falsche Wort. Mein Vater als echter Liberaler hat mich damals bewusst aus dem Religionsunterricht rausgenommen, damit ich später, wenn ich groß bin, selber entscheiden kann, ob und, wenn ja, welcher Kirche ich angehören möchte. Ich belegte also das Fach Werte und Normen. Ich bekam dann während meines Studiums in einem Krankenhaus in Hannover erstmals mit Leiden und Sterben zu tun. Das war schon schwer. Und als ich die Schwestern fragte, wie sie damit zurechtkommen, lautete die Antwort: Herr Rösler, wir sind ein christliches Haus. Das hat mich sehr beeindruckt.

Und der beträchtliche Weg dann bis zur Taufe?

Rösler Ich führte dann mit meiner damaligen Freundin intensive Gespräche. Die ist engagierte Katholikin, Messdienerin und Ärztin. Sie wurde meine Taufpatin und ist heute meine Frau.

Gibt es zur Geschichte eines späten Kircheneintritts auch die Möglichkeit eines späten Kirchenaustritts?

Schavan Das ist mir ganz fern. Institutionen sind nie immer nur hilfreich. Ich bin in der Kirche groß geworden, im katholischen Rheinland. Das war eine Aura des Selbstverständlichen. Mit meinem Theologie-Studium wollte ich dann schauen, was dahintersteckt. Kirche ist für mich Heimat. Und daran ändert sich nichts.

Noch einmal zurück zur Ostergeschichte, an der — neben Jesus — viele Menschen mitwirken. Wer ist für Sie Judas?

Rösler Einer der spannendsten Charaktere der gesamten Ostergeschichte, weil er Verräter ist; aber er gehört zur Ostergeschichte. Es bleibt offen, ob er nun schuldig ist oder nicht.

Und Maria von Magdala?

Schavan Die Liebende, die Jüngerin, die den auferstandenen Herrn im Garten trifft.

Pontius Pilatus?

Rösler Ein Typ Politiker.

Petrus, der Jesus dreimal verleugnete?

Schavan Das ist der, der den Mund zu voll genommen hat.

Simon von Kyrene, der für Jesus das Kreuz trägt?

Rösler Ein gutes Vorbild.

Und die Soldaten, die unter dem Kreuz das Gewand von Jesus verlosen?

Schavan Das sind die Handlanger, die nicht wissen, was sie tun und deshalb tun, was sie gewohnt sind.

(RP)
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