Präsidentschaftskandidat Steinmeier Der gute Populist
Brüssel/Berlin · Frank-Walter Steinmeier ist der Liebling des Volkes. Und der Eliten. Kein Wunder also, dass CDU-Chefin Angela Merkel keinen ebenbürtigen Kandidaten fand. Der Jurist aus Detmold ist so beliebt, weil er zwei Eigenschaften hat, die in Berlin eher selten sind: Bescheidenheit und Integrität.
Mit mehr als zwei Stunden Verspätung war Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntagabend aus Berlin nach Brüssel aufgebrochen. Offenbar hatten einige Führungskräfte aus der großen Koalition noch Redebedarf. Denn nachdem das Treffen der drei Parteichefs im Kanzleramt offiziell ohne Einigung über die Präsidenten-Frage zu Ende gegangen war, liefen die Drähte erst richtig heiß.
Dabei hatte Steinmeier CSU-Chef Horst Seehofer schon am Samstag beim Kaffee in München überzeugen können, dass er ein überparteilicher Präsident sein werde. Damit waren Seehofer und Gabriel auf seiner Seite. Der Durchbruch. Als der Außenminister am Sonntagabend die Stufen zur Regierungsmaschine in Berlin hochging, wusste er, dass er der zwölfte Präsident der bundesdeutschen Geschichte wird.
Sonore Stimme, optimistischer Ton
Steinmeier ist so etwas wie ein guter Populist. Das Volk liebt ihn. Er ist der Mann, der in der "Tagesschau" mit sonorer Stimme und optimistischem Ton die unruhige Welt ein bisschen übersichtlicher macht. Er wird aber auch von den Eliten geschätzt. Der 60-jährige SPD-Außenminister ist parteiübergreifend respektiert, hat Unterstützer in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Kein Wunder, dass Merkel in der Telefonkonferenz mit ihren Parteifreunden am Montag auf diese breite Unterstützung hinwies, als sie Steinmeier als gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der großen Koalition vorschlug.
Steinmeier ist schlicht zu beliebt, um ihn zu verhindern. Erst vor ein paar Tagen hatten sich 70 Künstler sowie zwei Dutzend Wirtschaftsführer für ihn ausgesprochen. "Freundlich, sehr humorvoll, sehr intelligent, kulturliebend und ausgewogen in seinen politischen Entscheidungen", fasste der Opernsänger Thomas Quasthoff das Steinmeier-Votum der Kulturschaffenden zusammen.
Nur: Wie geht das? Wie kann einer so beliebt sein in einem Umfeld, in dem beinharte Machtkämpfe, Intrigen und Eitelkeiten dominieren? Es gibt mehrere Gründe. Der triftigste ist wohl: Steinmeier nimmt sich selbst nicht so wichtig. Seine Eitelkeit ist überschaubar. Das hat er mit der Kanzlerin gemein, wohl auch deshalb verstehen sich die beiden so gut. Verbale Ausfälle und Beschimpfungen, wie sie dem Instinktpolitiker Sigmar Gabriel widerfahren, kennt man von Steinmeier nicht. Im Gegenteil.
In Interviews legt er zum Leidwesen der Journalisten oft lange Pausen ein, bevor er antwortet. "Er ist ein vollendeter Diplomat, auch wenn es hektisch wird", sagt ein Berater über den Führungsstil des Ministers. Umso größer ist das Aufsehen, wenn er von dieser Linie abweicht: Als Steinmeier bei einem Redeauftritt im Europawahlkampf 2014 von linken Protestlern als "Kriegstreiber" beschimpft wurde, regte er sich mächtig auf und brüllte ins Mikrofon. Der Auftritt wurde zum Hit im Internet. Es war einfach zu außergewöhnlich, dass sich Steinmeier mal aufregt.
Außenminister mit "innerem Brakelsiek"
Steinmeiers Aufstieg war nicht vorherzusehen. Er wächst als Sohn eines Tischlers und einer Forstarbeiterin in bescheidenem Wohlstand im ostwestfälischen Brakelsiek auf. Hier geht alles etwas gemächlicher, unaufgeregter zu. Steinmeiers Jugendfreund und langjähriger WG-Partner Dietrich Härtel begründet die stoische Ruhe, die Steinmeier als Außenminister inmitten der größten Krisen ausstrahlt, mit dessen behütetem Aufwachsen in dem 1000-Einwohner-Dorf. Er trage ein "inneres Brakelsiek" mit sich durch die Welt, hat Härtel mal gesagt.
In der Schule fleißig und strebsam, empfiehlt der Grundschullehrer den Eltern, "den Frank" doch aufs Gymnasium zu schicken. Dort ist er Musterschüler, nie Rebell. Als Steinmeier 2005 Außenminister wird, fragen die Journalisten seinen acht Jahre jüngeren Bruder Dirk, ob Steinmeier denn wenigstens als Teenager mal über die Stränge geschlagen habe. Dirk Steinmeier verneint. Immer wieder. "An Zäunen hat er nie gerüttelt. Er klingelte an der Tür und stellte sich höflich vor", schreibt sein Biograf Torben Lütjen.
Diese Bodenständigkeit wird sein Merkmal. Noch als Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder fährt Steinmeier regelmäßig zurück zu seinem Elternhaus und schläft in seinem früheren Kinderzimmer. Nach dem Abitur studiert er Jura in Gießen, lebt dort in einer WG. Brigitte Zypries, damals Studienfreundin, empfiehlt Steinmeier 1991 einen Job in der niedersächsischen Staatskanzlei. Dort fängt er dann tatsächlich als Medienreferent für einen gewissen Gerhard Schröder an. Der Beginn einer Karriere.
"Klar, er ist der Beste"
Der inzwischen promovierte Jurist (seine Doktorarbeit beschäftigt sich mit der staatlichen Intervention zur Verhinderung von Obdachlosigkeit) wird zum wichtigsten Mitarbeiter Schröders. Fleißig, loyal, blitzgescheit. Drei Jahre später ist Steinmeier Chef der Staatskanzlei. "Alle, an denen Frank vorbeigeschossen ist, gaben mir das Gefühl: Klar, er ist der Beste", schrieb Schröder später in seinen Memoiren. Steinmeier folgt ihm 1998 auch ins Kanzleramt, wird Staatssekretär, später Chef des Kanzleramts. "Seine Effizienz", wird er genannt. Er ist der geräuschlose Manager im Hintergrund und entschärft so manchen rot-grünen Streit.
Inhaltlich zeigt sich in dieser Zeit, warum Steinmeier mit den Ideologien der SPD-Linken nie etwas anfangen konnte. Er schreibt scharfe Reformpapiere zum Renten- und Gesundheitssystem und skizziert die wesentlichen Elemente der Agenda 2010 (was die Linkspartei und die SPD-Linke ihm bis heute übel nehmen). Steinmeier will den Fokus der Partei auf die Aufstiegswilligen und Leistungsträger ausrichten. "Wir müssen mehr als nur ein Segment der Bevölkerung in den Blick nehmen", sagt er oft. Mehrheitsfähig war Steinmeier deshalb bei den Genossen nie. "Er wird geachtet, nicht geliebt", bringt es einer auf den Punkt.
Dafür kann er sich auf Gerhard Schröder verlassen. Nach der Wahlniederlage 2005, die Schröder nur knapp verloren hatte, gab der scheidende Kanzler Parteichef Franz Müntefering nur einen Wunsch mit. "Nimm Frank ins Kabinett. Der kann das." Steinmeier wird Außenminister. Das Amt ist ihm auf den Leib geschnitten. Als sanfter Botschafter eines selbstbewusster auftretenden Deutschlands liegen hier die Wurzeln seiner Popularität.
Steinmeier, der mit 24 Jahren nach einer Haut-Transplantation über Nacht weißes Haar bekam, ist der Ruhepol der großen Koalition in Krisenzeiten. Und wird immer beliebter. Die SPD bekniet ihn nach den Chaos-Jahren mit Parteichef Kurt Beck schließlich, Kanzlerkandidat zu werden. Es ist Steinmeiers großer Fehler.
Der Wahlkampf ist nicht sein Ding, die Partei folgt ihm nur missmutig. Auf den Marktplätzen und in den Festzelten soll er gegen die Kanzlerin poltern, was ihm gar nicht behagt. Er verliert die Wahl krachend. 22 Prozent. Am Abend will er alles hinschmeißen. Doch Parteifreunde wie Franz Müntefering und Peer Steinbrück überreden ihn, weiterzumachen. Er wird Fraktionschef in der Opposition. In diese Zeit fällt Steinmeiers schwerste Herausforderung. Es ist eine private.
Niere für die kranke Ehefrau gespendet
Im August 2010 ist seine Frau Elke Büdenbender, die er 1988 beim Jura-Studium kennengelernt und 1995 geheiratet hatte, so schwer an der Niere erkrankt, dass nur eine Transplantation hilft. Steinmeier ist selbst der Spender und nimmt sich eine mehrmonatige Auszeit. Die Familie, so betont er es in kleinem Kreis stets, ist das Wichtigste in seinem Leben. Die Transplantation klappt, Büdenbender wird wieder gesund. Inzwischen arbeitet sie schon wieder Vollzeit als Richterin. Die gemeinsame Tochter Merit (20) ist außer Haus, studiert Arabisch im Nahen Osten.
Und Frank-Walter Steinmeier darf schon 2013 wieder in sein Lieblingsamt, das Außenministerium. Große Koalition, Teil II. Seitdem fliegt der Sozialdemokrat wieder durch die Welt, fast 200 Reisen hat er in drei Jahren absolviert. Millimeter um Millimeter kämpft er für diplomatische Fortschritte. Steinmeier war einer der Autoren des Minsker Abkommens in der Ukraine-Krise, er war der Mittler zwischen den Supermächten Russland und den USA beim Iran-Abkommen. Die Konflikte sind nicht entschärft, Steinmeiers Verhandlungspartner meist keine lupenreinen Demokraten.
Aber für Steinmeier ist Außenpolitik eben Realpolitik. Ein ständiges Werben um Dialog und Kooperation, auch in unwegsamem Gelände. Das könnte nun auch die Herausforderung im künftigen Job sein. Der neue Bundespräsident kommt in politisch aufgeheizten Zeiten ins Amt. Rechtspopulismus, Nationalismus, ein zerbröselndes Europa, Sechs-Parteien-Parlamente. Vielleicht ist es dann ganz gut, wenn einer im Schloss Bellevue sitzt, der eigentlich nicht aus der Ruhe zu kriegen ist.