Ermittlungen gegen SPD-Politiker Der tiefe Fall des Sebastian Edathy

Berlin · Der überraschende Rückzug des SPD-Politikers Sebastian Edathy aus dem Bundestag gibt ebenso Rätsel auf wie seine unprofessionelle Verteidigung gegen den Vorwurf, er habe Kinderpornografie besessen.

 Sebastian Edathy hatte am Freitag seinen Rücktritt "aus gesundheitlichen Gründen" angekündigt.

Sebastian Edathy hatte am Freitag seinen Rücktritt "aus gesundheitlichen Gründen" angekündigt.

Foto: dpa, gam axs hpl

Der tiefe Fall kommt unerwartet. Zum 44. Geburtstag hatte Altkanzler Gerhard Schröder ihm noch persönlich ein Ständchen gesungen. "Ich glaube, der hat noch eine Karriere vor sich", sagte Schröder im Herbst 2013 über den damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy aus dem beschaulichen Landkreis Nienburg in Niedersachsen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Edathy. Sollte sich bestätigen, dass kinderpornografisches Material bei ihm gefunden wurde — es wäre vernichtend. Das Bild des untadeligen Polit-Talents der vergangenen Monate ist schon jetzt beschädigt.

Das Protokoll eines rätselhaften Abstiegs: Es ist erst wenige Monate her, da hat sich Edathy als Chef-Aufklärer im Untersuchungsausschuss über die rechtsextreme Terrorzelle NSU viel Renommee erworben. Von einer "Sternstunde des Parlaments" ist nach seinem Abschlussbericht im Bundestag im August 2013 die Rede. Da ist er ein Mann, der noch vieles werden kann.

Er spricht geschliffen, strahlt Kompetenz aus. Während seine fachlichen Qualitäten und seine hohe Intelligenz allseits gelobt werden, finden sich immer wieder Kritiker, die ihm seine harschen Umgangsformen und charakterliche Schwächen vorwerfen. Selbst Parteifreunde, die ihm nahe stehen und ihn persönlich schätzen, beschreiben ihn als "unnahbar, eigenbrötlerisch und introvertiert".

Rücktritt "aus gesundheitlichen Gründen"

Seine politische Karriere endet jäh am vergangenen Freitag, als er seinen Rücktritt "aus gesundheitlichen Gründen" verkündet. Seinen Rückzug aus dem Bundestag hat er offenbar gut geplant. Seinen Mitarbeitern soll der SPD-Politiker nach Informationen unserer Redaktion bereits im Januar vertraulich signalisiert haben, dass sie sich einen neuen Job suchen müssen. Die Abgeordneten in der Bundestagsfraktion wurden hingegen von Edathys Rückzug überrascht.

In Berlin reibt man sich verwundert die Augen. Edathy galt als einer, der weiter will. Wie passt das zusammen? Seit Dienstag steht der Vorwurf des Besitzes von kinderpornografischem Material im Raum. In der SPD-Fraktion ist man bestürzt.

In den Kommentaren auf der Facebook-Seite Edathys spiegeln sich Unverständnis und Enttäuschung über einen Menschen, den offenbar viele für makellos halten. "Ich kann mir das von Sebastian überhaupt nicht vorstellen", schreibt eine Sozialdemokratin. Viele sehen hinter dem Verdacht eine rufschädigende Kampagne. "Würd' mich nicht wundern, wenn das eine Verleumdungsaktion gegen einen Antifaschisten ist. Also nicht gleich verurteilen", schreibt ein Nutzer. Auch Edathy selbst bestreitet die Vorwürfe — via Facebook.

Für viele ist nur schwer vorstellbar, dass ein Politiker, der maßgeblich an der Durchleuchtung von Geheimdiensten beteiligt war, derart brisantes Material in Wohnung und Büro hortet. Oder wird man das öffentliche Bild des Politikers — sollten sich die Vorwürfe gegen ihn bewahrheiten — revidieren müssen? In einem etwas wunderlichen Brief für die "taz" zum Jahreswechsel schwadroniert Edathy: "Ich selber müsste mich dringend ändern, sagen mein Hund, meine Bekannten und mein Steuerberater." Zum forschen sachlichen Politiker Edathy passen solche Äußerungen kaum.

Edathy stammt aus einer Pastorenfamilie, der Vater Inder, die Mutter Deutsche. Integrationspolitik und der Kampf gegen Rechtsextremismus wurden zu seinen politischen Kernfeldern, wenngleich es ihn zuletzt ärgerte, darauf festgelegt zu werden. Seinen ursprünglichen Namen Sebastian Edathiparambil tauschte er der Einfachheit halber gegen Sebastian Edathy.

Knappe Stellungnahme bei Facebook

Edathy heißt übersetzt links, passend für einen überzeugten Sozialdemokraten. Seine Karriere verläuft glatt und stetig nach oben. Als Rechtsextremismus-Experte ist er höchst anerkannt. Seit 1998 gewinnt er souverän das Direktmandat in seinem Wahlkreis. "Der kommt an hier, sieht man ja auch an den Wahlergebnissen", sagt einer seiner Anhänger im Wahlkampf.

In der eigenen Fraktion hatten manche Zweifel, ob der zuweilen auch aufbrausende Edathy bei einem so sensiblen Thema wie den NSU-Morden das nötige Fingerspitzengefühl haben würde. Kühl und souverän sorgt er an der Spitze des Gremiums dafür, dass die sachorientierte Arbeit des Ausschusses "über Parteigrenzen hinweg" als "historisch" eingestuft wird. Edathy urteilt prägnant und schonungslos.

Der kurz angebundene, verschämte Rückzug passt nicht zu dem Bild, das er bis zuletzt von sich zeichnete. Es ist die Lokalzeitung seines Wahlkreises, "Die Harke", die die Vorwürfe öffentlich macht und sich auf "Kreise der Landes-SPD" beruft. Die gleiche Zeitung veröffentlicht auch ein Foto von Edathys Wohnung, das während der Durchsuchung aufgenommen worden sein soll. Es zeigt ein großes Durcheinander von Kisten und Bilderrahmen. Edathys zahlreiche Verteidiger im Netz wollen nicht glauben, dass an den Vorwürfen etwas dran sein könnte.

Edathy selbst beschränkt sich auf die knappe Stellungnahme per Facebook. Für einen Bundespolitiker ist es durchaus ungewöhnlich, dass er dieses Medium zu seiner Verteidigung wählt. Er, der in einem der größten Untersuchungsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik an der Spitze stand, lässt zu seiner persönlichen Verteidigung nicht einmal einen Anwalt sprechen. Der Fall gibt Rätsel auf. Auf seiner Facebook-Seite schreibt eine Frau: "Etwas bleibt immer hängen, leider." Edathy ist lange genug im politischen Geschäft, um zu wissen, dass sie recht hat.

(rl/qua)
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