Urteil am Landgericht Hannover Der tragische Fall des Christian Wulff

Vom Landgericht in Hannover wird am Donnerstag ein Freispruch erwartet. Hätte sich Wulff also als Bundespräsident im Amt halten können?

Die Affäre Christian Wulff
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Foto: dpa, wk cul jol

"Gut ein Jahr vor der nächsten Bundespräsidentenwahl sympathisieren Union, SPD und Grüne mit einer zweiten Amtszeit für Christian Wulff." So könnte der erste Satz dieser Analyse am heutigen Donnerstag lauten, wenn die Vergangenheit etwas anders verlaufen wäre. Stattdessen steht das Urteil im Prozess gegen den Ex-Präsidenten auf der Tagesordnung des Landgerichtes in Hannover.

Alles andere als ein Freispruch wäre inzwischen überraschend. Weit und breit ist keine strafbare Handlung in Sicht. Hätte er also eigentlich im Amt bleiben können, so dass er tatsächlich jetzt stabilisiert vor einer Fortsetzung eines erfolgreichen Wirkens für die Integration, für Versöhnung mit den NSU-Terroropfern und für frischen Wind im Schloss Bellevue stünde?

Plan B funktionierte nicht

Um die Frage beantworten zu können, muss die Geschichte von hinten bis vorne umgeschrieben werden. Start wäre also der Abend des 16. Februar 2012, als Wulff sich zum Rücktritt entschloss, weil die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn ankündigte und deshalb die Aufhebung seiner Immunität beantragte. Er soll mit engsten Vertrauten zunächst auch einen Plan B besprochen haben: kein Rücktritt, sondern nur ein "Ruhenlassen" des Amtes bis zur Klärung der Vorwürfe. Das seinerzeitige Prüfergebnis: funktioniert nicht, da die Verfassung diese Option nicht vorsieht.

Um den Rücktritt vermeidbar zu machen, hätte er also in den Wochen zuvor alle Zweifel an seiner Unbestechlichkeit überzeugend widerlegen müssen. Doch er hatte sich für eine Strategie entschieden, die darauf setzte, dass ein bisschen Aufklärung die Öffentlichkeit schon zufriedenstellen werde und sein privates Verhalten dann wieder privat sein könne.

Er ließ den Medien reichlich Stoff zur Recherche

Dabei konnte er Ende Dezember 2011 bereits studieren, wie sehr er sich mit seinem Strickmuster selbst schadete, auf Verdächtigungen mit ausweichenden Halbwahrheiten zu reagieren. Denn Hannoveraner Gerüchte hatten bereits Anfang 2010 zu der Anfrage im Landtag geführt, ob der damalige Ministerpräsident Wulff eine geschäftliche Beziehung zu dem Unternehmer Egon Geerkens unterhalte. Wulff verneinte wahrheitsgemäß — wohlwissend, dass er seinen Hauskauf mit einem Halbe-Million-Euro-Kredit aus der Hand von Geerkens' Gattin Edith finanzierte. Hätte er das im Februar 2010 im vollen Umfang eingeräumt, hätte die "Bild" im Dezember 2011 überhaupt keinen Ansatz für eine Wulff-Geschichte gehabt.

So aber ermunterte er dazu, die Recherchemaschinen der Medien anzuwerfen und auch andere Privatkontakte auf mögliche Beziehungen zu amtlichen Handlungen abzuklopfen. Und da lag genügend auf der Lichtung: ein halbes Dutzend Urlaube in Luxusvillen befreundeter Unternehmer beispielsweise. War er wirklich unabhängig, wenn er sich für die Versicherungswirtschaft starkmachte — nachdem er selbst bei einem Versicherungsunternehmer Luxusurlaub gemacht hatte? Erst langes Nachprüfen ergab, dass er sich rechtlich korrekt verhalten hatte.

Nahe der Instinktlosigkeit

Persönlich mag es sogar leicht erklärbar gewesen sein, weil er trotz Ministerpräsidenteneinkünften über 13.000 Euro nach Hauskauf, Scheidung, Unterhalt und neuer Ehe mit monatlich 3500 Euro auskommen musste. Politisch grenzt diese Urlaubsgewohnheit, an der er sogar noch als gewählter Präsident festhielt, an Instinktlosigkeit. Hätte er private Urlaube ganz normal im Reisebüro gebucht — es hätte nie Nachfragen gegeben. Zudem lieferte Wulff immer wieder neuen Grund für weitere Zuspitzung, obwohl es im Einzelnen meist nur um winzige Details ging. Etwa zum Zeitpunkt seiner Hauskredit-Umschuldung. Dazu sagte er Anfang Januar 2012, der Vertrag sei bereits im November 2011 zustande gekommen, also vor den ersten Medienberichten zur "Affäre Wulff". Die Nachfrage bei der Bank ergab dann aber, dass Wulff den Vertrag erst am 21. Dezember unterschrieben hatte, also deutlich nach den ersten Berichten.

Solche völlig unnötigen Verschleierungsmanöver führten zu der medialen Grundannahme, dass der Präsident offensichtlich irgendetwas verbergen will. Das gipfelte in grotesken Unterstellungen bis hin zu einem geschenkten Bobbycar-Kinderspielzeug. Die von vielen als unwürdig empfundene Hetzjagd auf die präsidiale Glaubwürdigkeit schien in Richtung Lächerlichkeit umzukippen, doch selbst hier blieb es beim fatalen Strickmuster: Wulff bestätigte das Geschenk eines Unternehmers und erklärte, dass es in einer Spielecke des Schlosses auch den Kindern von Besuchern zur Verfügung stehe. Paparazzi-Fotos zeigten daraufhin, dass ein Bobbycar auf der Terrasse des Wulff-Hauses in Großburgwedel stand.

Maximales Misstrauen

Wulff schaffte eine Maximierung von Misstrauen durch systematisches Missmanagement. Dazu gehörten so kapitale Fehler wie der Versuch, "Bild" mit massiven Drohungen von einer Berichterstattung abzuhalten und dies auch noch auf der Mobilbox des Chefredakteurs. Von jeder Enthüllungs- und Erklärungsstufe zur nächsten baute er bewusst oder unbewusst Gründe für Zweifel stets mit ein — und lieferte damit letztlich auch den Anlass für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, selbst wenn es letztlich nur noch um ein Abendessen und einen Hotelaufenthalt auf Einladung eines befreundeten Filmproduzenten in München ging.

Die Präsidentschaft Wulffs scheiterte daher, wie das heutige Urteil zeigen dürfte, nicht an verwerflichem Verhalten, sondern an der Unfähigkeit, Anlässe für Vermutungen zu vermeiden und Anlässe für Verdächtigungen glaubwürdig aus der Welt zu schaffen.

(may-)
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